Dorfstraße in Wiedensahl
sich über mein Haupt. Ich hätte mir nun einfach
ein Paar heraussuchen und damit verschwinden
können, aber erstens bin ich ein ehrlicher Mensch,
zweitens hatte ich nur einen Schuh an und drittens
waren zu viele Leute im Laden, und denen wollte
ich doch meine Geschäftsgeheimnisse nicht verraten.
„Bitte!" sagte das Fräulein, »ahm mein rechtes
Bein und versuchte, den Fuß in einen Stiefel zu
zwängen.
Mein Hut fing an zu wackeln. So heftig
sträubten sich meine Haare. Sie kniff, zog, stieß,
quetschte. „Anprobieren" nannte sie das.
So viele Engel kann es unmöglich im Him-
mel geben, wie ich bei dieser Gelegenheit singen
hörte. Entschieden hatte ich ein paar Zehen zu
viel am Fuß.
Das Fräulein schwitzte und ich tat dasselbe.
„Au!" sagte ich. „Aul" Nicht um ein Ge-
spräch anzufaugen, sondern aus Gefühl.
Das Fräulein sah mich mit wasserblauen Augen
vorwurfsvoll an und strampelte weiter. Offenbar
hatte ihr der Arzt schwedische Gymnastik verordnet.
„Wenn Sie vielleicht eine Axt brauchen?" be-
merkte ich höflich.
Ei» Ruck, — der Fuß war im Stiefel. Blau
ist meine Lieblingsfarbe.
„Er paßt," sagte das Fräulein. „Er paßt
vorzüglich. Gehen Sie einige Schrittet"
Ich erhob niich, wankte wie der alte Moor,
wenn er aus dem Hungerturm komnit, und fiel
auf einen Stuhl.
„Er muß noch ein wenig ausgetreten werden,"
erläuterte meine Peinigerin. „Das muß so sein!
Stiefel, die passen, passen nicht."
Ehe ich Zeit hatte, mich von diesem Apho-
rismus zu erholen, rief sie den Kassierer herbe
und mit vereinten Kräften wanden sie meinen
Fuß wieder aus dem Schuh heraus. Als sie
fertig waren, verlangte der Kassierer Gehalts-
aufbesserung und eine Brotkarte für Schwer-
arbeiter. §
„Ist es auch gutes Leder?" wagte ich mich
zu erkundigen.
„Bitte, Friedensware!" sagte sie beleidigt.
„Wenn Sie sich überzeugen wollen?"
Sie bog den Schuh ein wenig. Sehr zierlich
machte sie das. Die Sohle sprang ab und das
Oberleder bekam einen Riß.
Nun ja, ich hatte ja gleich den Eindruck ge-
habt, in ein reelles Geschäft geraten zu sein.
„Das kommt vor," sagte das Lebewesen.
„Ich sehe es!" bemerkte ich. „Vielleicht geben
Sie mir drei Nummern größer?"
Endlich war der Einkauf beendet. Prima Frie-
densware, hatte sie mir nochmals versichert, indem
sie meine alten Guckloch - Stiefel einpackte. Ich
wollte sie erst einem Bettler schenken, dann aber
nahm ich sie doch mit. Stolz verließ ich das Lokal.
Ha, neue Stiefel! Hmtata, hmtata, eigentlich
bin ich doch ein sehr schöner Mensch! Ob ich mir
Wilhelm Busch f
ein Verhältnis an sch affe? Welches Mädchen
würde, »ach einem Blick auf meine Pedale, noch
„Nein" sagen können?
Freilich, Vermögen hatte ich keines mehr: die
Stiefel kosteten dreißig Mark.
Aber wie schön waren sie auch!
„Süße Friedensware,
Komm, ach komm in meine Brust!"
singt Altmeister Goethe in seinem Nachtlied. Über-
haupt Goethe! . . .
Deshalb nenne ich ihn auch Altmeister.
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sich über mein Haupt. Ich hätte mir nun einfach
ein Paar heraussuchen und damit verschwinden
können, aber erstens bin ich ein ehrlicher Mensch,
zweitens hatte ich nur einen Schuh an und drittens
waren zu viele Leute im Laden, und denen wollte
ich doch meine Geschäftsgeheimnisse nicht verraten.
„Bitte!" sagte das Fräulein, »ahm mein rechtes
Bein und versuchte, den Fuß in einen Stiefel zu
zwängen.
Mein Hut fing an zu wackeln. So heftig
sträubten sich meine Haare. Sie kniff, zog, stieß,
quetschte. „Anprobieren" nannte sie das.
So viele Engel kann es unmöglich im Him-
mel geben, wie ich bei dieser Gelegenheit singen
hörte. Entschieden hatte ich ein paar Zehen zu
viel am Fuß.
Das Fräulein schwitzte und ich tat dasselbe.
„Au!" sagte ich. „Aul" Nicht um ein Ge-
spräch anzufaugen, sondern aus Gefühl.
Das Fräulein sah mich mit wasserblauen Augen
vorwurfsvoll an und strampelte weiter. Offenbar
hatte ihr der Arzt schwedische Gymnastik verordnet.
„Wenn Sie vielleicht eine Axt brauchen?" be-
merkte ich höflich.
Ei» Ruck, — der Fuß war im Stiefel. Blau
ist meine Lieblingsfarbe.
„Er paßt," sagte das Fräulein. „Er paßt
vorzüglich. Gehen Sie einige Schrittet"
Ich erhob niich, wankte wie der alte Moor,
wenn er aus dem Hungerturm komnit, und fiel
auf einen Stuhl.
„Er muß noch ein wenig ausgetreten werden,"
erläuterte meine Peinigerin. „Das muß so sein!
Stiefel, die passen, passen nicht."
Ehe ich Zeit hatte, mich von diesem Apho-
rismus zu erholen, rief sie den Kassierer herbe
und mit vereinten Kräften wanden sie meinen
Fuß wieder aus dem Schuh heraus. Als sie
fertig waren, verlangte der Kassierer Gehalts-
aufbesserung und eine Brotkarte für Schwer-
arbeiter. §
„Ist es auch gutes Leder?" wagte ich mich
zu erkundigen.
„Bitte, Friedensware!" sagte sie beleidigt.
„Wenn Sie sich überzeugen wollen?"
Sie bog den Schuh ein wenig. Sehr zierlich
machte sie das. Die Sohle sprang ab und das
Oberleder bekam einen Riß.
Nun ja, ich hatte ja gleich den Eindruck ge-
habt, in ein reelles Geschäft geraten zu sein.
„Das kommt vor," sagte das Lebewesen.
„Ich sehe es!" bemerkte ich. „Vielleicht geben
Sie mir drei Nummern größer?"
Endlich war der Einkauf beendet. Prima Frie-
densware, hatte sie mir nochmals versichert, indem
sie meine alten Guckloch - Stiefel einpackte. Ich
wollte sie erst einem Bettler schenken, dann aber
nahm ich sie doch mit. Stolz verließ ich das Lokal.
Ha, neue Stiefel! Hmtata, hmtata, eigentlich
bin ich doch ein sehr schöner Mensch! Ob ich mir
Wilhelm Busch f
ein Verhältnis an sch affe? Welches Mädchen
würde, »ach einem Blick auf meine Pedale, noch
„Nein" sagen können?
Freilich, Vermögen hatte ich keines mehr: die
Stiefel kosteten dreißig Mark.
Aber wie schön waren sie auch!
„Süße Friedensware,
Komm, ach komm in meine Brust!"
singt Altmeister Goethe in seinem Nachtlied. Über-
haupt Goethe! . . .
Deshalb nenne ich ihn auch Altmeister.
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