An diesem Tag schien die Sonne. Die Knospen
sprangen. Und der Lack an meinen Stiefeln auch.
Das sali nicht sehr erquickend aus, aber für
Lack kann man nicht garantieren. Auch bei Frie-
densware nicht. Man soll überhaupt beim Stiefel-
kaufen nie Garantie fürs Lackiertwerden ver-
langen.
Nachts träumte ich von meinen Stiefeln. Und
von dem Bezugschein-Fräulein. Ich sah im Traum-
buch nach: Stiefel mit Fräulein bedeutet Glück.
Am nächsten Tag regnete es. Darauf waren
die Stiefel nicht vorbereitet. Sollte ich einen
Spaziergang wagen? — Gewiß. Es war ja
Friedensware.
Bis zur ersten Straßenecke ging es ganz gut.
Dort aber hatte der vorsorgliche Magistrat eine
Pfütze angelegt. Ein kleines Binnenmeer. Für
Nichtschwimmer.
Nicht als ob ich hineingetappt wäre! Keine
Idee, ich fiel hinein. Es ist gar nicht wahr,
daß das Publikum so verständnislos ist, wie
die Kritiker immer behaupten. Es zeigte sich
sehr verständnisinnig und erfreut.
Als ich mich gerettet hatte, fühlte ich, daß mir die
Trockenheit an den Füßen abhanden gekommen war.
Ich ging etwas glitschig. Als ob ich statt der Stiefel
Glacehandschuhe an den Füßen hätte. Eine Vier-
telstunde später war es, als watete ich in Lehm.
Ich ging in einen Hausgang und sah auf meine
Füße herunter: die Stiefel waren noch dran.
„Friedensware hält was aus!" dachte ich
befriedigt.
Zu Haufe setzte ich mich an die Zentralheizung
und legte die Füße auf den Heizkörper. Ich
fühlte, wie meine Stiefel trockneten. Ich hörte
sie deutlich knistern. Wie fernes Feuerwerk. Es
war direkt poetisch. Als sie trocken waren, holte
ich die Beißzange und zog sie aus.
An dem linken Schuh fehlte die Sohle. Da-
für war der Strumpf ein wenig angebrannt.
An dem rechten war die Sohle noch vorhanden,
aber sie glich einem Abreißkalender. Lauter lose
Blätterchen. Kochrezepte standen nicht darauf.
Ringsherum prangten kleine Löcherchen. Da
hatten ehemals die Nägel gesessen.
Ich überlegte und kam zu dem Resultat, daß
man die Stiefel ausbessern lassen niüsse. Ich
packte sie ein und brachte sie zum Buchbinder.
Und jetzt trage ich wieder meine alten Stiefel.
Mit dem rechten großen Zeh als Periskop.
Auch der linke Zehhäuptling kriegt neuerdings
Frühlingsgefühle und betrachtet sich durch das
Leder die Landschaft.
Eigentlich sind es noch recht elegante Schuhe.
Ich bin froh, daß ich sie keinem Bettler gegeben
habe. Friedensware soll man überhaupt nicht
verschenken.
*
Der Baum der himmlischen Freude
Nicht alle finden hin. Nicht alle sehn
Das hochgewölbte Dach, drin Sterne stehn.
Der Stamm steigt überall, am Markt, im Feld.
Er ist die Achse des Gewölbes Welt.
Die Blatter sind vielbunt und vielgestalt;
Die alten scheinen jung, die jungen alt.
Von Ast zu Ast zieht sich ein Fadennetz
In edler Einfalt ewigem Gesetz.
Will sich ein Bienenschwarm sein Haus erbaun.
Ist bald ein morscher alter Ast zu schaun;
Ihn höhlt der Holzwurm, ihn zersticht der Specht.
Doch ringsum rinnt das saftige Gesiecht
Des Baumgeäders, das den Bau verknüpft.
Durch vielverwvrrne Winkelwege schlüpft
Der Panzerzwerg, ein wimmelndes Gewirr
Von winzigem Geziefer, das Geschwirr
Der Hummel, die um Blütenlippen summt
Und kaum im höchsten Liebesrausch verstummt.
Die Wurzeln sind um Brocken und Gestein
Geknotet und gehn in das Dunkel ein
Als Gange in die Unterwelt. Der Kern
Der Erde glüht durch sie von Stern zu Stern,
Denn wo ei» Halmchen aus der Scholle quillt,
Ist es des Baums lebendig Ebenbild.
Wo eine Blume ihren Becher hebt,
Ist eine Schwelle, die er überschwebt.
Wo du auch gehst, du wanderst im Geleis
Des Schattens seiner Krone wie im Kreis.
Ein blinder Maulwurf, grubst du dich empor,
Da überschüttete dich Glanz und Flor.
Du sahst ihn schweben über Schutt und Staub
Und kranztest dich mit seinem lichten Laub.
Du brachst die Frucht und schlugest lief beglückt
Die Augen auf und sahst die Welt entzückt.
Doch mußtest du erst eingegraben sein
In Gneis, Geröll und bröckelndes Gestein.
Nicht jeder nagt die harte Kruste durch.
Er liegt sein Leben lang bei Molch und Lurch,
Zufrieden schon, wenn er die Axt einschlagt
Und dürren Ast in glatte Bretter sagt.
Ein Haus zu richten, daß der halbe Schlaf
Gestört nicht sei, der seine Seele traf.
Dich aber freut des hohen Wipfels Wehn,
Darin wie Früchte groß die Sterne stehn,
Der Wipfel, den die weiße Wolke greift,
Wenn ihrer Schleppe Saum vvrüberstreift.
An deine Wange schmeichelt sich der Wind.
Du bist der Blütenstaub. Verweh gelind!
Max Fleischer
*
Weshalb?
Bon Irene Reckwitz
Robert Rüegs Atem ging schneller und seine
Hände waren schwer. — Noch konnte er den
Blick nicht lassen von dem Bucke, das in seinem
Schoße lag. Es war ein dicker Band in violettem
Leinen mit schwarzen Verzierungen und schwarzen
Lettern. Schon der Einband fesselte jedes schön-
heitsfrohe Auge.
Seltsam, dachte Robert Rüeg, gerade lila und
schwarz, die beiden Farben, die ich mir als Künstler
erwählt habe. — Bor ein paar Stunden hatte er
mit prickelndem Erwarten dies Buch in die Hand
genonunen, denn es sollte etwas ganz Besolrderes
sein, dies Bekenntnis einer Frau. So etwas
reizte Robert Rüeg, den blonden Maler, den
großen Frauenkenner, der raffiniert der Frauen-
seele immer neue Geheimnisse entlockte.
Nach der ersten Seite hatte er kurz den Kopf
gehoben. Ein kraftvoller, sprühender Stil, sicher
Else Bi&ie
gleitend wie selten bei einer Frau. Dazu vom
ersten Wort an Herz und Sinn umhüllend wie
eine vertraute Liebkosung. Und schon waren
seine Augen weilergejagt, getrieben von einem
jähen Gedanken. Nicht schnell genug konnte sein
Hirn die Buchstaben aufnehmen, und seine Lippen
wurden heiß. — Dann strich er die Haare zurück
und lehnte sich tief in den Sessel. Dies Buch,
das er eben gelesen hatte, das den größten
Erfolg des Jahres hatte, dies Bekenntnis einer
Frau — es war die Geschichte seiner ersten
großen Liebe.
Die Frau, die dieses Buch geschrieben, hatte als
blutjunges Mädel an seinem Halse gehangen und
ihm Alles gegeben — auch das Letzte, das man
nur einmal zu geben hat.
Und diese Frau liebte ihn noch! Sie liebte
ihn mit der ganzen Kraft ihres Herzens, das
sagte ihm jede Zeile, jedes Wort ihres Buches.
Sie liebte ihn — stürmisch und inbrünstig wie sie
ihn als Mädchen geliebt. Und wie gleißende
Raketen sprangen die Erinnerungen in Robert
Rüeg empor. Wie blaue Ringe gaukelten sie
um ihn her. Wie lockende Schleier, die ihn um-
hüllten.
Sein Denken wurde zugedeckt von diesen Er-
innerungen.
Erst als es dämmerig wurde, fuhr er hoch.
Zehn Jahre waren seither vergangen. Er war
der große Künstler geworden. Das Leben hatte
ihn emporgehoben und ihm seine höchsten Selig-
keiten zugeworfen. Es hatte Frauenschönheiten
gleich blinkenden Perlenketten vor ihm aufgereiht
und es hatte ihm Frauenliebe gesät, wohin sein
Blick fiel. Zuletzt Edith, die hochmütige, deren
Haar in seinem Tizianblond ihn ein paar Monate
halb krank gemacht hatte.
Doch sie alle, die Frauenherzen, die sich ihm
hingegeben hatten — er hatte sie nach kurzer Zeit
weggelegt wie ein abgetragenes Kleid.
Alle — bis — auf Eine. Mit dieser Einen war
es anders gewesen. Und sie liebte ihn noch —
diese Eine — liebte ihn —.
Fast schwerfällig stand er auf und ging mit
langsamen Schritten umher. Dann sagte er ein
paar kurze Worte zu der Haushälterin und seine
Stimme klang belegt dabei. —
Wenige Stunden später saß Robert Rüeg in
dem Zug München—Berlin. Und während seine
Augen in die weite Nacht hinausstarrten, wußte
sein Herz sich nicht zu fassen vor Ungeduld und
krampfhafter Erregung. Zehn Jahre waren es
her. — Nun war Rut die Frau von dreißig Jah-
ren, die berühmte, berüchtigte.
Er würde vor ihr stehen und sie an sich reißen.
Er würde sie dem Manne wegnehmen, den sie
nicht liebte, und er würde sie sich wieder zu eigen
machen — auch vor der Welt.
Sie würde ja kein Ballast sein bei seinem
Sternenflug. Sie würde seine göttlichen Ein-
gebungen nicht verseuchen durch alltägliche Ge-
danken, hatte sie doch selbst einen empfindsamen
Künstlersinn.
In diesem Augenblick fühlte der blonde Maler
genau, daß er nur deshalb den Umweg über all
die vielen Frauen hatte machen müssen, um
desto echter und strahlender Ruts seltenen Geist
aus dem Durchschnitt herauszuerkennen, um
desto bewußter und jubelnder zu dieser Einen
— Einzigen zurückzukehren. Und sie beide
würden restlos sich alle Glückseligkeiten des
Lebens öffnen und ihre Liebe würde uner-
schöpflich sein wie ein Edelstein, dessen Glühen
ohn' Ende ist.
-Am nächsten Mittag stand er in
einer verlorenen Billenstraße vor einem freund-
lichen Hause. Er hob den Kopf und sah in
die schwer und übervoll duftenden Linden, die
den Torweg überschatteten. Damals waren es
Ebereschen gewesen, unter denen sie standen,
als er Rut das erste Mal heimbegleitet hatte.
Und in dem herbstlichen Laub über ihnen
hatten sonnendurchsogene Beeren geglutet.
Und dann sah er sich in dem Empfangs-
zimmer und konnte die Aufregung nicht be-
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sprangen. Und der Lack an meinen Stiefeln auch.
Das sali nicht sehr erquickend aus, aber für
Lack kann man nicht garantieren. Auch bei Frie-
densware nicht. Man soll überhaupt beim Stiefel-
kaufen nie Garantie fürs Lackiertwerden ver-
langen.
Nachts träumte ich von meinen Stiefeln. Und
von dem Bezugschein-Fräulein. Ich sah im Traum-
buch nach: Stiefel mit Fräulein bedeutet Glück.
Am nächsten Tag regnete es. Darauf waren
die Stiefel nicht vorbereitet. Sollte ich einen
Spaziergang wagen? — Gewiß. Es war ja
Friedensware.
Bis zur ersten Straßenecke ging es ganz gut.
Dort aber hatte der vorsorgliche Magistrat eine
Pfütze angelegt. Ein kleines Binnenmeer. Für
Nichtschwimmer.
Nicht als ob ich hineingetappt wäre! Keine
Idee, ich fiel hinein. Es ist gar nicht wahr,
daß das Publikum so verständnislos ist, wie
die Kritiker immer behaupten. Es zeigte sich
sehr verständnisinnig und erfreut.
Als ich mich gerettet hatte, fühlte ich, daß mir die
Trockenheit an den Füßen abhanden gekommen war.
Ich ging etwas glitschig. Als ob ich statt der Stiefel
Glacehandschuhe an den Füßen hätte. Eine Vier-
telstunde später war es, als watete ich in Lehm.
Ich ging in einen Hausgang und sah auf meine
Füße herunter: die Stiefel waren noch dran.
„Friedensware hält was aus!" dachte ich
befriedigt.
Zu Haufe setzte ich mich an die Zentralheizung
und legte die Füße auf den Heizkörper. Ich
fühlte, wie meine Stiefel trockneten. Ich hörte
sie deutlich knistern. Wie fernes Feuerwerk. Es
war direkt poetisch. Als sie trocken waren, holte
ich die Beißzange und zog sie aus.
An dem linken Schuh fehlte die Sohle. Da-
für war der Strumpf ein wenig angebrannt.
An dem rechten war die Sohle noch vorhanden,
aber sie glich einem Abreißkalender. Lauter lose
Blätterchen. Kochrezepte standen nicht darauf.
Ringsherum prangten kleine Löcherchen. Da
hatten ehemals die Nägel gesessen.
Ich überlegte und kam zu dem Resultat, daß
man die Stiefel ausbessern lassen niüsse. Ich
packte sie ein und brachte sie zum Buchbinder.
Und jetzt trage ich wieder meine alten Stiefel.
Mit dem rechten großen Zeh als Periskop.
Auch der linke Zehhäuptling kriegt neuerdings
Frühlingsgefühle und betrachtet sich durch das
Leder die Landschaft.
Eigentlich sind es noch recht elegante Schuhe.
Ich bin froh, daß ich sie keinem Bettler gegeben
habe. Friedensware soll man überhaupt nicht
verschenken.
*
Der Baum der himmlischen Freude
Nicht alle finden hin. Nicht alle sehn
Das hochgewölbte Dach, drin Sterne stehn.
Der Stamm steigt überall, am Markt, im Feld.
Er ist die Achse des Gewölbes Welt.
Die Blatter sind vielbunt und vielgestalt;
Die alten scheinen jung, die jungen alt.
Von Ast zu Ast zieht sich ein Fadennetz
In edler Einfalt ewigem Gesetz.
Will sich ein Bienenschwarm sein Haus erbaun.
Ist bald ein morscher alter Ast zu schaun;
Ihn höhlt der Holzwurm, ihn zersticht der Specht.
Doch ringsum rinnt das saftige Gesiecht
Des Baumgeäders, das den Bau verknüpft.
Durch vielverwvrrne Winkelwege schlüpft
Der Panzerzwerg, ein wimmelndes Gewirr
Von winzigem Geziefer, das Geschwirr
Der Hummel, die um Blütenlippen summt
Und kaum im höchsten Liebesrausch verstummt.
Die Wurzeln sind um Brocken und Gestein
Geknotet und gehn in das Dunkel ein
Als Gange in die Unterwelt. Der Kern
Der Erde glüht durch sie von Stern zu Stern,
Denn wo ei» Halmchen aus der Scholle quillt,
Ist es des Baums lebendig Ebenbild.
Wo eine Blume ihren Becher hebt,
Ist eine Schwelle, die er überschwebt.
Wo du auch gehst, du wanderst im Geleis
Des Schattens seiner Krone wie im Kreis.
Ein blinder Maulwurf, grubst du dich empor,
Da überschüttete dich Glanz und Flor.
Du sahst ihn schweben über Schutt und Staub
Und kranztest dich mit seinem lichten Laub.
Du brachst die Frucht und schlugest lief beglückt
Die Augen auf und sahst die Welt entzückt.
Doch mußtest du erst eingegraben sein
In Gneis, Geröll und bröckelndes Gestein.
Nicht jeder nagt die harte Kruste durch.
Er liegt sein Leben lang bei Molch und Lurch,
Zufrieden schon, wenn er die Axt einschlagt
Und dürren Ast in glatte Bretter sagt.
Ein Haus zu richten, daß der halbe Schlaf
Gestört nicht sei, der seine Seele traf.
Dich aber freut des hohen Wipfels Wehn,
Darin wie Früchte groß die Sterne stehn,
Der Wipfel, den die weiße Wolke greift,
Wenn ihrer Schleppe Saum vvrüberstreift.
An deine Wange schmeichelt sich der Wind.
Du bist der Blütenstaub. Verweh gelind!
Max Fleischer
*
Weshalb?
Bon Irene Reckwitz
Robert Rüegs Atem ging schneller und seine
Hände waren schwer. — Noch konnte er den
Blick nicht lassen von dem Bucke, das in seinem
Schoße lag. Es war ein dicker Band in violettem
Leinen mit schwarzen Verzierungen und schwarzen
Lettern. Schon der Einband fesselte jedes schön-
heitsfrohe Auge.
Seltsam, dachte Robert Rüeg, gerade lila und
schwarz, die beiden Farben, die ich mir als Künstler
erwählt habe. — Bor ein paar Stunden hatte er
mit prickelndem Erwarten dies Buch in die Hand
genonunen, denn es sollte etwas ganz Besolrderes
sein, dies Bekenntnis einer Frau. So etwas
reizte Robert Rüeg, den blonden Maler, den
großen Frauenkenner, der raffiniert der Frauen-
seele immer neue Geheimnisse entlockte.
Nach der ersten Seite hatte er kurz den Kopf
gehoben. Ein kraftvoller, sprühender Stil, sicher
Else Bi&ie
gleitend wie selten bei einer Frau. Dazu vom
ersten Wort an Herz und Sinn umhüllend wie
eine vertraute Liebkosung. Und schon waren
seine Augen weilergejagt, getrieben von einem
jähen Gedanken. Nicht schnell genug konnte sein
Hirn die Buchstaben aufnehmen, und seine Lippen
wurden heiß. — Dann strich er die Haare zurück
und lehnte sich tief in den Sessel. Dies Buch,
das er eben gelesen hatte, das den größten
Erfolg des Jahres hatte, dies Bekenntnis einer
Frau — es war die Geschichte seiner ersten
großen Liebe.
Die Frau, die dieses Buch geschrieben, hatte als
blutjunges Mädel an seinem Halse gehangen und
ihm Alles gegeben — auch das Letzte, das man
nur einmal zu geben hat.
Und diese Frau liebte ihn noch! Sie liebte
ihn mit der ganzen Kraft ihres Herzens, das
sagte ihm jede Zeile, jedes Wort ihres Buches.
Sie liebte ihn — stürmisch und inbrünstig wie sie
ihn als Mädchen geliebt. Und wie gleißende
Raketen sprangen die Erinnerungen in Robert
Rüeg empor. Wie blaue Ringe gaukelten sie
um ihn her. Wie lockende Schleier, die ihn um-
hüllten.
Sein Denken wurde zugedeckt von diesen Er-
innerungen.
Erst als es dämmerig wurde, fuhr er hoch.
Zehn Jahre waren seither vergangen. Er war
der große Künstler geworden. Das Leben hatte
ihn emporgehoben und ihm seine höchsten Selig-
keiten zugeworfen. Es hatte Frauenschönheiten
gleich blinkenden Perlenketten vor ihm aufgereiht
und es hatte ihm Frauenliebe gesät, wohin sein
Blick fiel. Zuletzt Edith, die hochmütige, deren
Haar in seinem Tizianblond ihn ein paar Monate
halb krank gemacht hatte.
Doch sie alle, die Frauenherzen, die sich ihm
hingegeben hatten — er hatte sie nach kurzer Zeit
weggelegt wie ein abgetragenes Kleid.
Alle — bis — auf Eine. Mit dieser Einen war
es anders gewesen. Und sie liebte ihn noch —
diese Eine — liebte ihn —.
Fast schwerfällig stand er auf und ging mit
langsamen Schritten umher. Dann sagte er ein
paar kurze Worte zu der Haushälterin und seine
Stimme klang belegt dabei. —
Wenige Stunden später saß Robert Rüeg in
dem Zug München—Berlin. Und während seine
Augen in die weite Nacht hinausstarrten, wußte
sein Herz sich nicht zu fassen vor Ungeduld und
krampfhafter Erregung. Zehn Jahre waren es
her. — Nun war Rut die Frau von dreißig Jah-
ren, die berühmte, berüchtigte.
Er würde vor ihr stehen und sie an sich reißen.
Er würde sie dem Manne wegnehmen, den sie
nicht liebte, und er würde sie sich wieder zu eigen
machen — auch vor der Welt.
Sie würde ja kein Ballast sein bei seinem
Sternenflug. Sie würde seine göttlichen Ein-
gebungen nicht verseuchen durch alltägliche Ge-
danken, hatte sie doch selbst einen empfindsamen
Künstlersinn.
In diesem Augenblick fühlte der blonde Maler
genau, daß er nur deshalb den Umweg über all
die vielen Frauen hatte machen müssen, um
desto echter und strahlender Ruts seltenen Geist
aus dem Durchschnitt herauszuerkennen, um
desto bewußter und jubelnder zu dieser Einen
— Einzigen zurückzukehren. Und sie beide
würden restlos sich alle Glückseligkeiten des
Lebens öffnen und ihre Liebe würde uner-
schöpflich sein wie ein Edelstein, dessen Glühen
ohn' Ende ist.
-Am nächsten Mittag stand er in
einer verlorenen Billenstraße vor einem freund-
lichen Hause. Er hob den Kopf und sah in
die schwer und übervoll duftenden Linden, die
den Torweg überschatteten. Damals waren es
Ebereschen gewesen, unter denen sie standen,
als er Rut das erste Mal heimbegleitet hatte.
Und in dem herbstlichen Laub über ihnen
hatten sonnendurchsogene Beeren geglutet.
Und dann sah er sich in dem Empfangs-
zimmer und konnte die Aufregung nicht be-
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