Schweres türkisches Küstengeschütz Curt Winkler (Obermaat d. Res.)
Die gefangenen Vögel
Bon dem wundervollen Frühling
sangen
Auch die vielen Vögel, die gefangen
Kauern hinler ihren Gitterstangen.
Sangen von den sonnenwarmen,
Hellen
Tagen, von den jungen Quellen,
Die in lauter Freude schäumen,
Bon den sterngesticklen, weichen
Maiennächten, von dem bleichen
Mondlicht auf den Blütenbäumen.
Wußten mit den kleinen zarten
Kehlen
Tausend Seligkeiten zu erzählen,
Die da draußen hinter Hecken träumen.
Und — wie all die vielen Vögel sangen.
Hast auch Du es leise angefangen,
Seele, hinter deinen Gitterslangen.
Martha von Sperling-Manstein
*
Oie zweite Bekehrung
Von Kurt Martens
In einer Gesellschaft ansehnlicher, auch nicht
ungebildeter Männer sprach man zu vorgerückter
Stunde von deni und jenem, besonders aber von
der hohen Politik, die niemand zu durchschauen,
von strategischen Ereignissen, die niemand zu be-
urteilen imstande war, am nieisten aber von den
Nahrungsmitteln. Dann wieder kam man auf
die Zeichen der Zeit und wollte bemerkt haben,
daß die religiösen Gefühle einen erfreulichen Auf-
schwung nähmen. Irgendein geistreicher Kopf wies
darauf hin, daß die Macht des Christentums wellen-
förmig, manchmal sogar in Sturzwellen steige,
sinke und wieder steige, und daß gegenwärtig nicht
nur gottlob das Boik, sondern auch die geistigen
Schichten sich für die Staatsreligion von neuem
zu erwärmen begännen.
Ein älterer Herr von freundlich klugem Aus-
sehen und gelassenen Formen, der Wenigen be-
kannt war und sich bisher aufs Zuhören beschränkt
hatte, gab dem Sprecher unter gewissen Ein-
schränkungen recht. Übrigens habe er jene Welle
auch an sich selbst erlebt, insofern als ihm die
Bekehrung zuin christlichen Glauben schon zwei-
mal widerfahren sei.
Da es die anderen zu interessieren schien, legte
er mit ruhigem Ernst Zeugnis davon ab und
erzählte:
„Das erste Mal geschah es in nieiner Kindheit.
Von freidenkenden Eltern erzogen, wuchs ich zu-
nächst als ein kleiner Heide auf. In der Schule
jedoch hatte ich das Glück, einen jener nicht allzu
häufigen vortrefflichen Religionslehrer zu erhalten,
die es verstehen, aus eigener Glaubensgtut heraus
das Christentum in seiner ursprünglichen Tiefe und
Schönheit vor empfängliche» Kindergemüiern auf-
leuchten zu lassen. Aus der dicken, verstaubten
Binde, die Jahrhunderte des Mchbrauhs um die
Mystik seiner asketischen Sittenlehre gebildet haben,
legte er den süßen, wundertätigen Kern mit zarten,
Finger frei; und so gewann er nüch — vornehm-
lich in einer Stunde, als er von der Heilslehre
der Erlösung durch Demut und aufopfernde Liebe
sprach — für den werktätigen Glauben und den
begeisterten Entschluß zur Nachfolge Christi. Den
nachhaltigsten Eindruck machten mir die Selig-
preisungen .... selig die Sanftmütigen, denn sie
werden das Erdreich besitzen. . . selig die Fried-
fertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Diesen Lohn, den wir in uns selber fühlen, wollte
ich mir erwerben, so schwere Überwindung es auch
kosten würde. Nicht einnial das Gebot, daß, wenn
mich jemand auf die rechte Backe schlüge, ich auch
die linke darbieten müsse, sollte unbeachtet bleiben.
Ich war ein selbstherrlicher, streitsüchtiger Junge
und hatte es bis dahin für höchst ehrenvoll und
verdienstlich gehalten, mir von niemand etwas
gefallen zu lassen, sondern darauf loszuschlagen,
wenn ich mich im wirklichen oder vermeintlichen
Rechte fühlte. Das wurde nun in der Tat eine
Zeitlang anders. Ich brachte es über mich, von
meinen Kameraden schweigend Unrecht zu leiden,
ohne ihnen zu grollen, übte Geduld und Nach-
sicht, wenn sie meiner spotteten, schloß nüch den
Arnien, Schwachen und Unansehnlichen an, kämpfte
Erbitterung und Rachsucht mit eiserner Selbstzucht
in mir nieder. So furchtbar dieser Kampf oft
war, zu keiner Zeit meines Lebens habe ich mich
so glücklich gefühlt, so eins mit dem göttlichen
Weltgeist und nieinen besten Triebe». Danials,
glaube ich, hätte ich mit der Kraft des Gemütes
und des aufopfernden Willens das Unmögliche
leisten können. Ich hätte das Zeug gehabt zu
einem kindlichen Märtyrer.
Dann aber kani im Lauf der Jahre der All-
tag mit seinen Ansprüchen. Ich trat ins „Leben"
hinaus, in das äußere Leben, wo man ohne die
Gewalt der Ellbogen n!cl>t vorwärts kommt. Es
hieß Geld verdienen, sich eins Stellung in der
Gesellschaft erobern, Erfolge aufweisen, den Mit-
menschen gehörig imponieren. Die Leidenschaften
begannen sich zu rühren .... Ehrgeiz, Eifersucht,
Habgier und wie sie alle heißen. Da also war's
um nnch geschehen. Mein Christenlum kehrte sich
in sein Gegenteil uni nämlich von innen nach
außen, wurde landläufig und konventionell, wurde
Mittel zu fremdem Zweck. Es hat mir viel ge-
. nützt, für einen frommen Mann zu gelte», doch
niemals war es schlimmer um meine Frömmig-
keit bestellt."
Der wunderliche fremde Herr lächelte melan-
cholisch und schwieg.
„Aber die zweite Bekehrung?" fragte ein vor-
witziger Jüngling. „Wie war es damit? Sie
sagten doch, Sie hätten noch eine zweite erlebt?"
Die Miene des Alteren nahm einen
verschlossenen Ausdruck an:
„Ach so . .. das zweite Mal! Ja,
ich weiß rocht, ob es erlaubt ist, davon
zu sprechen. Die zweite Bekehrung
widerfuhr mir in den ersten Wochen
des Krieges. Da wachten die Gefühle
meiner Jugend wieder auf. Und dies-
mal scheinen sie wirklich von Dauer zu
sein. Jetzt halte ich daran fest . . . jetzt
kann ich nicht mehr anders ... nun
kurz und gut," so schloß er leise und
versonnen: „Jetzt bin ich in Wahrheit
wieder — Christ."
Auf die Anwesenden, die doch alle
derselben Religion avgehörten, wirkte
das Bekenntnis sonderbarerweise pein-
lich. Das Gespräch über diese» Gegen-
stand wurde abgebrochen und glitt
wieder auf die Nahrungsmittel über.
Der verdächtige Glaubensgenosse wurde
sachte in den Hintergrund geschoben. Es war,
als habe-er etwas Ungehöriges gesagt.
Der neugierige Jüngling allein wagte es, ihm
anzudeute», daß ec jede Überzeugung achte, ja
vielleicht sogar teile. Der andere ließ sich indes
auf keine weiteren Erklärungen ein. Nur das
eine fügte er hinzu: wenn er jenen letzten, an-
stößig wirkenden Satz nur in einem anderen Ton-
fall, nämlich mit machtvoll dröhnender Enipyase
von sich gegeben hätte, wäre der Eindruck jeden-
falls ein sehr günstiger gewesen.
*
Mutterlieder
von Olga Stilckrath-Stawitz
Ging ich heut' vorbei am Heckendorn;
Auf dem schmalen Pfad durchs hohe Korn
Ragteir aris dem goldnen Ahrenmeer
Ein paar taube Halme — körnerleer.
Ob zum Dank geneigt die andern stehn —
Diese schienen stumm emporzuflehn:
Gib auch uns den Segen, Vater, gieb!
Wie mir heiß das Blut zum Herzen trieb!
Bebend blickte ich ins Licht empor,
Dünkte mich in frommer Beter Chor.
Zagend stimmte meine Seele ein:
Laß mich keine taube Ähre sein!
*
Nicht des Priesters fromme Worte,
Nicht des Altars myst'sche Pracht,
Gottheitahnend, wundergläubig
Hat mich erst mein Kind gemacht.
Uird es gilt des Weltalls Tiefe
Nun als Raum mir immerdar
Eines wunderreichen Gottes,
Dem auch ich ein Tempel war.
*
Nun ist es still geworden,
Ganz still — nach all dem Graus;
Bon Sorgen und von Ängsten
Ruht tief die Seele aus.
Was ich an Qual gelitten
Versank für alle Zeit
In zweier Kinderaugen
Blauer Unendlichkeit.
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Die gefangenen Vögel
Bon dem wundervollen Frühling
sangen
Auch die vielen Vögel, die gefangen
Kauern hinler ihren Gitterstangen.
Sangen von den sonnenwarmen,
Hellen
Tagen, von den jungen Quellen,
Die in lauter Freude schäumen,
Bon den sterngesticklen, weichen
Maiennächten, von dem bleichen
Mondlicht auf den Blütenbäumen.
Wußten mit den kleinen zarten
Kehlen
Tausend Seligkeiten zu erzählen,
Die da draußen hinter Hecken träumen.
Und — wie all die vielen Vögel sangen.
Hast auch Du es leise angefangen,
Seele, hinter deinen Gitterslangen.
Martha von Sperling-Manstein
*
Oie zweite Bekehrung
Von Kurt Martens
In einer Gesellschaft ansehnlicher, auch nicht
ungebildeter Männer sprach man zu vorgerückter
Stunde von deni und jenem, besonders aber von
der hohen Politik, die niemand zu durchschauen,
von strategischen Ereignissen, die niemand zu be-
urteilen imstande war, am nieisten aber von den
Nahrungsmitteln. Dann wieder kam man auf
die Zeichen der Zeit und wollte bemerkt haben,
daß die religiösen Gefühle einen erfreulichen Auf-
schwung nähmen. Irgendein geistreicher Kopf wies
darauf hin, daß die Macht des Christentums wellen-
förmig, manchmal sogar in Sturzwellen steige,
sinke und wieder steige, und daß gegenwärtig nicht
nur gottlob das Boik, sondern auch die geistigen
Schichten sich für die Staatsreligion von neuem
zu erwärmen begännen.
Ein älterer Herr von freundlich klugem Aus-
sehen und gelassenen Formen, der Wenigen be-
kannt war und sich bisher aufs Zuhören beschränkt
hatte, gab dem Sprecher unter gewissen Ein-
schränkungen recht. Übrigens habe er jene Welle
auch an sich selbst erlebt, insofern als ihm die
Bekehrung zuin christlichen Glauben schon zwei-
mal widerfahren sei.
Da es die anderen zu interessieren schien, legte
er mit ruhigem Ernst Zeugnis davon ab und
erzählte:
„Das erste Mal geschah es in nieiner Kindheit.
Von freidenkenden Eltern erzogen, wuchs ich zu-
nächst als ein kleiner Heide auf. In der Schule
jedoch hatte ich das Glück, einen jener nicht allzu
häufigen vortrefflichen Religionslehrer zu erhalten,
die es verstehen, aus eigener Glaubensgtut heraus
das Christentum in seiner ursprünglichen Tiefe und
Schönheit vor empfängliche» Kindergemüiern auf-
leuchten zu lassen. Aus der dicken, verstaubten
Binde, die Jahrhunderte des Mchbrauhs um die
Mystik seiner asketischen Sittenlehre gebildet haben,
legte er den süßen, wundertätigen Kern mit zarten,
Finger frei; und so gewann er nüch — vornehm-
lich in einer Stunde, als er von der Heilslehre
der Erlösung durch Demut und aufopfernde Liebe
sprach — für den werktätigen Glauben und den
begeisterten Entschluß zur Nachfolge Christi. Den
nachhaltigsten Eindruck machten mir die Selig-
preisungen .... selig die Sanftmütigen, denn sie
werden das Erdreich besitzen. . . selig die Fried-
fertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Diesen Lohn, den wir in uns selber fühlen, wollte
ich mir erwerben, so schwere Überwindung es auch
kosten würde. Nicht einnial das Gebot, daß, wenn
mich jemand auf die rechte Backe schlüge, ich auch
die linke darbieten müsse, sollte unbeachtet bleiben.
Ich war ein selbstherrlicher, streitsüchtiger Junge
und hatte es bis dahin für höchst ehrenvoll und
verdienstlich gehalten, mir von niemand etwas
gefallen zu lassen, sondern darauf loszuschlagen,
wenn ich mich im wirklichen oder vermeintlichen
Rechte fühlte. Das wurde nun in der Tat eine
Zeitlang anders. Ich brachte es über mich, von
meinen Kameraden schweigend Unrecht zu leiden,
ohne ihnen zu grollen, übte Geduld und Nach-
sicht, wenn sie meiner spotteten, schloß nüch den
Arnien, Schwachen und Unansehnlichen an, kämpfte
Erbitterung und Rachsucht mit eiserner Selbstzucht
in mir nieder. So furchtbar dieser Kampf oft
war, zu keiner Zeit meines Lebens habe ich mich
so glücklich gefühlt, so eins mit dem göttlichen
Weltgeist und nieinen besten Triebe». Danials,
glaube ich, hätte ich mit der Kraft des Gemütes
und des aufopfernden Willens das Unmögliche
leisten können. Ich hätte das Zeug gehabt zu
einem kindlichen Märtyrer.
Dann aber kani im Lauf der Jahre der All-
tag mit seinen Ansprüchen. Ich trat ins „Leben"
hinaus, in das äußere Leben, wo man ohne die
Gewalt der Ellbogen n!cl>t vorwärts kommt. Es
hieß Geld verdienen, sich eins Stellung in der
Gesellschaft erobern, Erfolge aufweisen, den Mit-
menschen gehörig imponieren. Die Leidenschaften
begannen sich zu rühren .... Ehrgeiz, Eifersucht,
Habgier und wie sie alle heißen. Da also war's
um nnch geschehen. Mein Christenlum kehrte sich
in sein Gegenteil uni nämlich von innen nach
außen, wurde landläufig und konventionell, wurde
Mittel zu fremdem Zweck. Es hat mir viel ge-
. nützt, für einen frommen Mann zu gelte», doch
niemals war es schlimmer um meine Frömmig-
keit bestellt."
Der wunderliche fremde Herr lächelte melan-
cholisch und schwieg.
„Aber die zweite Bekehrung?" fragte ein vor-
witziger Jüngling. „Wie war es damit? Sie
sagten doch, Sie hätten noch eine zweite erlebt?"
Die Miene des Alteren nahm einen
verschlossenen Ausdruck an:
„Ach so . .. das zweite Mal! Ja,
ich weiß rocht, ob es erlaubt ist, davon
zu sprechen. Die zweite Bekehrung
widerfuhr mir in den ersten Wochen
des Krieges. Da wachten die Gefühle
meiner Jugend wieder auf. Und dies-
mal scheinen sie wirklich von Dauer zu
sein. Jetzt halte ich daran fest . . . jetzt
kann ich nicht mehr anders ... nun
kurz und gut," so schloß er leise und
versonnen: „Jetzt bin ich in Wahrheit
wieder — Christ."
Auf die Anwesenden, die doch alle
derselben Religion avgehörten, wirkte
das Bekenntnis sonderbarerweise pein-
lich. Das Gespräch über diese» Gegen-
stand wurde abgebrochen und glitt
wieder auf die Nahrungsmittel über.
Der verdächtige Glaubensgenosse wurde
sachte in den Hintergrund geschoben. Es war,
als habe-er etwas Ungehöriges gesagt.
Der neugierige Jüngling allein wagte es, ihm
anzudeute», daß ec jede Überzeugung achte, ja
vielleicht sogar teile. Der andere ließ sich indes
auf keine weiteren Erklärungen ein. Nur das
eine fügte er hinzu: wenn er jenen letzten, an-
stößig wirkenden Satz nur in einem anderen Ton-
fall, nämlich mit machtvoll dröhnender Enipyase
von sich gegeben hätte, wäre der Eindruck jeden-
falls ein sehr günstiger gewesen.
*
Mutterlieder
von Olga Stilckrath-Stawitz
Ging ich heut' vorbei am Heckendorn;
Auf dem schmalen Pfad durchs hohe Korn
Ragteir aris dem goldnen Ahrenmeer
Ein paar taube Halme — körnerleer.
Ob zum Dank geneigt die andern stehn —
Diese schienen stumm emporzuflehn:
Gib auch uns den Segen, Vater, gieb!
Wie mir heiß das Blut zum Herzen trieb!
Bebend blickte ich ins Licht empor,
Dünkte mich in frommer Beter Chor.
Zagend stimmte meine Seele ein:
Laß mich keine taube Ähre sein!
*
Nicht des Priesters fromme Worte,
Nicht des Altars myst'sche Pracht,
Gottheitahnend, wundergläubig
Hat mich erst mein Kind gemacht.
Uird es gilt des Weltalls Tiefe
Nun als Raum mir immerdar
Eines wunderreichen Gottes,
Dem auch ich ein Tempel war.
*
Nun ist es still geworden,
Ganz still — nach all dem Graus;
Bon Sorgen und von Ängsten
Ruht tief die Seele aus.
Was ich an Qual gelitten
Versank für alle Zeit
In zweier Kinderaugen
Blauer Unendlichkeit.
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