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Gruß im Walde

Bon Johann Aniann

Es wollte immer nicht Abend werden. Anselm ging in das
Schlafzimmer der Eltern hinüber, dessen Fenster auf die Straße und
das jenseitige Hügelgelände sahen. Bis zur Pappelgruppe stieg es
sacht an, aber mitten in den unteren Weingärten hinter dem weißen
Bauernhause bog es unvermutet steiler empor, dann kamen Hecken
und Büsche und nun streckten sich die oberen Weingärten über den
Höhenrücken hin und hinab. Schön geordnet in Reihen bereits hoch-
stehender Rebenstöcke, deren Gleichmaß nur ab und zu einer der
Pfirsich- und Pflaumenbäume unterbrach, fügten sie in das allgemeine
Grün der Landschaft einen fremden, schattigen Ton. Wenn Anselm
sich gegen links hin beugte, konnte er Freyas Garten sehen, der neben-
hin anstieg, ähnlich den Weingärten in lauter junge Bäumchen ein-
geteilt und nach oben von einem schmalen Weg gegen das Weingelände
abgeschlossen. Kein Mensch war in dem Garten; nur ein weißes Tier,
ein Lamm oder eine Ziege, Anfelni konnte es nicht gut unterscheiden,
ging oben hin und her, vom Laub und Gras weidend.

Es kani Anselm an, auszugehen. Die alten Wege waren ihm
schon allzu vertraut, als daß er es sich vornehmen wollte, sie wieder
aufzusuchen, aber meist führte es ihn doch dorthin. Die lange Dorf-
slraße zog gegen Westen: die Sonne hing niedrig vom Hinnnel, genau
zwischen den Häuserreihn, so daß sie Anselm blendete, er sah kaum
den Weg vor sich und etwa noch den gleißenden Goldglanz wie einen
zauberhaften See auf dem Pflaster verfließen. Warm durchdrang's
ihn, warm rührte es ihm die Wangen an. Er sah nicht die drei alten
riesigen Kastanien, die er so liebte, nicht die weißen Rosen in den Vor-
gärten, nicht die winkligen alten Häuser des oberen Ortes, nicht das
schöne im Bogen geführte alte Gartengitter, hinter deni ein blauer
Brunnen stand, nicht die kunstvolle Laube des Eschenbaums, nicht,
wie der Bach, dessen Rauschen er wohl hörte, mutwillig von einer
Seite der Straße auf die andere übersprang. Aber da war auch schon
das uralte Haus, das so tief gebaut war, daß es mit den, Dach vom
Straßenboden aufzusteigen schien, während es doch in Wahrheit mit
lieben Fenstern unten im Gartengrunde stand und nach zwei Seiten
in das weite grüne Land Ausschau hielt. So oft Anselni hier vor-
über katn, fühlte er das Österreichische dieses Grüns, dieser Höhen,
dieser Obstbäume als eine kleine flüchtige Beseligung im Herzen und
er war dankbar und fast auch ein wenig stolz darauf, mit zu dieser
Erde zu gehören. Wenn er dann, am Hause der Finanzwache vor-
bei, in den schönen Waldgang einlrat, dann gehörte er freilich einer
anderen Heimat an.

Wie oft war Anselm diesen Waldweg gegangen! Die grauen
und moosigen Stämnie der Buchen taten ihnr wohl und das grüne,
sonndurchleuchtets Laub über ihm und um ihn her schien ihn vor
allem Bösen, auch dem in seiner eigenen Seele, treulich zu behüten.
Außer dem stärkeren Rauschen des Baches war kaum ein Laut ver-
nehmlich, der weiche Waldboden beimpfte die Schritte und die Blätter
hingen regungslos von den Zweigen. Anselm geriet allmählich ins
Träumen: einige Gestalten aus einem Trauerspiele erschienen ihm
und er verspürte Lust, es wieder einmal durchzugehen: viele Verse
waren doch schön gewesen. Ein Gedicht das er liebte, fiel ihm ein,
er sagte es sich vor, es bezauberte ihn wieder, er sang es. Wenn
Freya jetzt käme, dachte er, so wäre ich heute ganz glücklich. Er
erinnerte sich, daß er sich einmal nachts auf der dritten Bank gegen
den Ausgang des Weges gesehen hatte; er war damals, äl nlich wie
heute gestimmt, dahingegangen, als er sie auf dieser Bank sitzen
gewahrt hatte: natürlich war er, ohne weiter hinzusehen, ausgeschritlen,
nur über das Eine zufrieden, daß sie im Dunkel nicht nrerken konnte,
wie er errötet war, aber er zitterte an allen Gliedern, als er dann
auf die Landstraße einbog, uni zurückzukehren. Seither freilich konnte
er an dieser Bank nie vorüber gehen, ohne Freyas zu gedenken,
ohne eine leise Hoffnung zu fühlen, sie werde wieder dasitzen, vielleicht
allein, und nun war et wieder nur von den, einen, dem Liebesgedanken
erfüllt und eine Zukunft, die er ja doch nie erleben konnte, stellte sich
ihm in allerlei Luftspiegelungen aufs entzückendste vor.

Wenn ich ihr nur jetzt begegnete!, dachte er. Der Weg verließ
den Wald für eine Weile, die Landschaft ward wieder aufgetan, im
vollen Grün lag der Hermannskagel da mit der Warte auf dem
Gipfel, und Anjelm stand vor einem Kreuzweg. Geradeaus führte
die Waldstraße nach Weidlingbach, rechts ein schmaler Pfad durch
tieferen Forst und einem Bache entlang zur Zägerwiese. Anselm

Vor8laät von St Mihiel

Paul Segieth (Bayer. Inf.-Rgt.)
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