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überlegte, welchen der Wege sie wohl eher ein-
schlagen könnte, und entschied sich für den zweiten.
Sogleich umfing ihn die volle Einsanikeit des
Waldes mit süßem Vogelfang und dem Laut des
Wassers. Es dunkelte tiefer. Anselm merkte, daß
gegen Nordwest schwere Wolken heraufgezogen
kamen, gleichwohl wanderte er weiter.

Wie er nun so ging, in seinen Gedanken, die
ihm die Gestalt des schönen Mädchens, das er
aus der Ferne liebte, in den Kleidern, die er alle
so gut kannte, immer wieder lockend erscheinen
ließen, das Herz mit Süßigkeit und Schmerz ihni
erfüllend, sodaß er oft stehen blieb und den Nanien,
den er ihr um ihres goldenen Haares willen ge-
geben hatte, seufzend aussprach: „Freya!", — war
er seiner Einsamkeit so sehr gewiß, daß er sich ver-
wunderte, wenn ein Mensch, etwa ein Tourist, ein
Reisigweiblein, ein Schulkind ihm entgegen kam.
Er wußte eine Bank vor der schönen Wiese der
Libellen, in der er oft lag und sich mühte, das alte
kindheitliche Sommergefühl wieder zu genießen.
Er schritt schneller aus, als er plötzlich jemand zu
Rade gegen sich heranfahren gewahrte. Es war
ein Mädchen in weißer Bluse und grauem Rock,
eine Ahnung durchzog ihn, er sah schärfer hin
und nun vermeinte er auch schon, das Herz stehe
ihm still für immer. Denn es war Freya, die
da langsam den Waldweg daher gefahren kam.
Ihr goldenes Haar hob sich strahlend von dem
sonnigen Laub und wie wunderbar schlank sie
war! — eine stille Verzückung ergriff ihn, daß
er weiterging, ohne zu
achten. Da läutete die
Glocke der Fahrerin laut,
er wich zur Seite und
blieb stehen. Es ergriff
ihn auf einmal wie eine
Ehrfurcht vor ihr, er
wollte den Hut abneh-
nien und merkte, daß er
ihn in der Hand hielt.

Ein wenig in Verwir-
rung gebracht, trat er
auf die Böschung und
erwartete ihr Herankom-
men. Wie gut er ihr
heute ins Gesicht sehen
konnte, da war sie ja!

— o, das schöne Antlitz
voller Jugend, dieses Ant-
litz, an dem drei große
Elemente: das Hochge-
birg, das Meer und die
Sonne gemeinsam gebil-
det halten! O — mit
nahe sie ihm jetzt war!

Er sah sie an, er scheute
sich gar nicht mehr, und
sie sah ihn auch an, so
ernst und klar. Dies
alles war nur ein Augen-
blick, dann war sie vor-
über. Anselni drehte sich
um und es durchzückte
ihn beseligend: sie halte
gleichfalls den Kopf nach
ihm zurückgewandt; —
nun fuhr sie schneller
und war schon um die
Wegbiegung und entrückt.

Er blieb erst eine Wei-
le wie verzaubert stehen.

Auf einmal fiel ihm et-
was noch viel Wunder-
bareres ein, als was
eben gewesen war. Er
jauchzte innerlich. „Ihr
erstes Wort an mich war

Glockengeläute," sagte er zu sich und fühlte, wie
das Lächeln sein Gesicht erhellte. „Mit einer
Glockenstimme hat sie mich gegrüßt!" Sein Herz
schlug überschwänglich vor Freude. „O, welches
menschliche Wort wäre diesem Glockenzeichen nahe
gekommen, ich glaube: nicht einmal das Wort
Liebe. Es war ein Gruß von Seele zu Seele
und sie wußte es nicht. Ein Gott führte ihr die
Hand zur Glocke!" Er lachte und schwärmte.
Als er zu seiner Bank kam, fand er dort Frauen
mit Reisigbünden rasten. Sie redeten laut: eine
rief An:elm an, ähr die Stunde zu sagen. Er
gab den Bescheid; es kam ihm auf einmal merk-
würdig kühl und dunkel vor. Da sah er, daß
der ganze Himmel schwarz umzogen war.

Rasch kehrte er um, nicht ohne die Erwartung,
Freya wieder zu begegnen. Aber das Glück
kommt nie öfter als einmal über unfern Weg.
Auf der dritten Bank faß die häßliche junge Frau
wieder, die er meist in dieseni Walde traf; sie
blickte von ihrem Buche auf und starrte ihm mit
stechenden Augen unverwandt ins Gesicht, bis er
vorüber war.- Beim Finanzhause spürte er den
ersten Tropfen. Er lief die Straße hinab, aber
bei Freyas Hause konnte er sich doch nicht ent-
halten, zu den Fenstern hinaufzusehen. Niemand
zeigte sich dort. Kaum war er daheim, brach der
Regen los, niit so übeistarker Gewalt, daß das
Straßenpflaster ihn zurückschleuderte und strecken-
weise eine richtige Wasserkunst hervorbrachte. In
einigen Minuten war der Wolkenbruch vorüber

und die Sonne stand, zum Untergang bereit,
aber voll leuchtend, wieder über dem Dreimark-
stein. —

Als Anselm später wieder an das Schlaf-
zimmerfenster trat und zu ihrem Garten hinüber
sah, erkannte er hoch oben das weiße Tier, das
weidend hin und her ging. Aber war dort auf
der Bank nicht noch etwas Weißes? Ja, ein
Mädchen saß dort. Ob sie es wohl war? Anselm
kämpfte mit einem Gedanken, den er nicht gut-
heißen konnte, doch endlich öffnete er den Schrank
seiner Mutter, nahm das Opernglas hervor, be-
zog eine schützende Stellung hinter dem Vorhang,
faßte sich ein Herz und setzte das Glas an die
Augen. Erst schwankte die Landschaft durcheinan-
der, dann sah er das weiße Tier, aber er konnte
trotzdem nicht unterscheiden, welcher Art es war,
ein Lamm oder eine Ziege. Ich möchte lieber,
daß es ein Lanim fei, dachte er, — da ging es
ihm heiß durch das Herz: denn nun zeigte das
Fernglas ihm wahrhaftig Freya. Sie saß auf
der Bank, über ein Buch gebeugt. Anselni ver-
mochte nicht, das Glas wegzunehmen, er sah und
sah nur hin. Jetzt kam das weiße Tier auf das
Mädchen zu, legte sich zu feinen Füßen, und sie
beugte sich im Lesen herab und liebkoste es. Es
war ein Bild von unbeschreiblicher Anmut. Dies
steht nun in den Büchern, dachte Anselm: wenn
ich's erfunden hätte, würde es niemand mehr als
schön oder rührend gelten lassen wollen. Er sah
wieder hin. Die schönen Hände des Mädchens
ruhten, geschloffen, um
den Hals des Tieres und
er mußte an eine jung-
fräuliche Heilige denken
mit dem Einhorn.

*

Liebe Jugend!

Meine (Hjähr. Hilde
muß für die Schule in
einem Aufsatz den Inhalt
von Goethes „Erlkönig"
wiedergeben; sie hat die
Sache mit einem heiligen
Ernst angepackt und kann
es gar nicht begreifen,
weshalb meine Frau beim
Lesen plötzlich lachen muß.
Die Ahnungslose hat
nämlich den Satz ge-
schrieben :

„Der Vater versuchte
vergeblich, sein Rind zu
stillen."

Neulich kommt sie zu
mir, wie gerade der eng-
lische Text von „Hamlet"
aufgeschlagen vor mir liegt.
Neugierig sieht sie mir über
die Schulter und will schon
wieder entspringen, aber
ich halte sie fest und be-
fehle: „Hier, übersetze!"
Ich zeige mit dem Finger
auf den herrlichen Satz,
der bei Schlegel lautet:
„welch ein Meisterwerk
ist der Mensch! Wie edel
durch Vernunft! u. s. w.

Hilde liest nun zunächst
eirglisch: “What a piece
öf work >8 a man !” und
übersetzt dann: „Was für
ein Stück Arbeit ist der
Mensch!"

kkermann Pampel (München)

Der Stadtsrack

,No, Sie Ham sa no a ganz a nett's Bäuchl, Herr Nachbar!'
„Täuschung, mein Lieber, das ist mein Hamster-Rucksack."

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Hermann Pampel: Der Stadtfrack
 
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