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nie anders als in einer langschößigen, blendend
sauberen, weißen. Flanelljacke sah, die oben einen
herrlichen, hohen Hals und ein gut Stück her-
nieder vorn die Keble und einen Teil der Brust
frei ließ. Bei jeder Witterung. Gelegentlich hatte
sie mir einmal erzählt, daß sie es unverbrüchlich
so halte, seit einer schweren Halskrankhei», die
sie früher einmal durchgemacht, und daß sie seit-
her kerngesund und gegen jede Erkältung gefeit
sei. Hals, Kehle und Brust zeigten, wie auch
ihr Gesicht, eine klare, gesunde, luftgebräunte,
von vielen, schönen, feinen Fältchen durchzogene
Haut.

Nur bei ganz seltenen Gelegenheiten, etwa,
wenn sie zum Abendmahl oder an einem der hohen
Festtage sich zur Kirche begab, oder zu einer Fa-
milienfeier eingeladen wurde, legte sie ihre be-
sondere Staatskleidung an, in der sie sich nicht
minder stattlich ausnahm, sonst ging und stand sie,
mochte zu ihr kommen, wer wollte, zu ihrer
eigenen Bequemlichkeit und munterem Wohlbe-
hagen in ihrer weißen Flanelljacke, und zeigte sich
tagaus tagein, im Zimmer wie im Freien, —
und meist machte sie sich mit einer Hand- oder
Gartenarbeit im Freien Bewegung — und so
ziemlich bei jeder Witterung barhäuptig, wobei
sie ihr volles, schimmernd weißes Haar nach
irgend einer alten Mode hinten auf dem Scheitel
zu einem Knoten aufgesteckt und vorn über den
Ohren, an den hohen Schläfen herunter, zu ein
paar Schnecken zusammengerollt trug.

Ihre tägliche Lebensweise war eine streng
und unverbrüchlich geregelte. Sie aß noch immer
mit einem gesunden und sehr ausgiebigen Appe-
tit und gut. Frühmorgens, wenn sie sehr bei-
zeiten aufgestanden war, nahm sie ein Kännchen
guten, ziemlich kräftigen Kaffee mit Sahne und
Zucker und zwei tüchtige, gut mit Butter bestri-
chene Semmeln zu sich — diese Semmelreihen
bestanden jede aus drei großen, appetitlich ge-
bräunten, aus dem besten Weizenmehl gebackenen
Semmeln —; dann bis zu Mittag, das sie um
12 Uhr einnahm, nichts weiter. Dafür aß sie
dann aber wieder sehr reichlich und gut: eine gute
Suppe, ein gehöriges Stück Braten (zur Herbst-
zeit Gänse- oder Entenbraten) und Gemüse dazu,
Brot — das herrliche Roggenbrot, das am Orte
gebacken wurde — und irgend ein Nachtischlein.
Dann trank sie einen guten Nachmit-
tagskaffee, mit Kuchen oder Semmel
dazu, und genoß später höchstens noch
etwas Obst, worauf sie sich dann „mit
den Hühnern" zu Bett begab.

Daß sie sich auf all solche Weise
nichts abgehen ließ und so frisch, ge-
sund und munter war, konnte man ihr
nicht verdenken: denn abgesehen davon,
daß sie es ja „dazu hatte", hatte es
das Leben von jeher keineswegs so be-
sonders gut mit ihr gemeint, sondern
eher das Gegenteil.

Ihr Mann war Besitzer einer großen
Kalkbrennerei gewesen und hatte auch
sonst einen ansehnlichen Grundbesitz sein
eigen genannt, sie hatten nicht nur am
Ort, sondern auch in der weiteren Um-
gebung zu den wohlhabendsten Leuten
gehört. Aber er war ein Draufgänger
gewesen, hatte sie wohl auch gelegent-
lich brutal behandelt: und lange genug,
obgleich sie schon heute seit gut vierzig
Jahren Wittwe war. Das Vermögen
hatte er durchgebracht bis auf das Haus,
den Garten und den Obstberg: doch
hatte sie auch dies Anwesen nur mit
Mühe erhalten und wieder voranbrin-
gen können.

Aber auch in ihrer nachherigen Frei-
heit war ihr das Leben nicht gerade so
besonders besser geworden. Äbgesehen
von allen verwickelten Geld- und son-
stigen Angelegenheiten, durch die sie sich
selbständig hatte hindurch würgen müssen,
hatte sie auch mit ihren Kindern und An-
verwandten mancherlei Sorge und Be-

schwer gehabt. Einige ihrer Kinder waren ihr weg-
gestorben, die übrigen waren, nachdem sie sie mit
Mühe und Not vorwärts gebracht, in die weite
Welt hineingegangen und hatten sich kaum weiter
um sie bekümmert, so daß sie schon seit vielen
Jahren da auf ihrem kleinen Anwesen und in
ihrem hohen Alter mutterseelenallein lebte.

Mit den Leuten hielt sie nicht gerade zu viel
und zu nahen Verkehr, war, im Abstand und
stets auf eine gerechte und anständige Weise,
hilfsbereit, mitteilsam und in ihrer frischen, mun-
teren Art aufgeschloffen, aber nicht mehr als das,
was für sie die allgemeine Achtung und Respekt
genoß: eine» Respekt, den auch ihre Gartenar-
beiter teilten — obgleich das in dieser Gegend
ein derbes, rauhes, wohl auch „fozialissisch an-
gestecktes" und in diesem Sinne schwieriges Volk
war —, und der wohl zu keinem geringen Teil
auf der unwillkürlichen Sympathie beruhte, die
solche Leute für volksmäßige, phyüsch gesunde
und anselmliche, aufrechte und selbständige Per-
sonen besseren Standes haben.

Aber nicht das alles: Ich wollte eigentlich
über ein besonderes Gespräch berichten, das ich
mit ihr hatte.

Daß ich mich vom ersten Augenblick meines
Aufenthaltes an für sie interessierte, und daß ich
also nähere Bekanntschaft mit ihr schloß, bedarf
natürlich keines weiteren Wortes. Aber wie das
in diesen jungen Jahren so ist, und es bei einem
jungen Menschen geht, der seinen Hang zum
Nachdenken hat: das hohe Alter, wenn es ihm
begegnet, kann er ja nicht verstehen: es hat, in
welchem Falle auch immer, so seine Seite, mit
der es an das letzte Ende mahnt, es muß nach
dem Dafürhalten eines jungen Menschen unter
dem Schatten stehen, daß es näher und näher
an den dunklen Rand herangeht, nichts mehr vor
einem ist, sozusagen: keine Dimension mehr. Und
das kann denn wohl eines jungen Menschen Wiß-
begier nach solch einem Zustande wecken. In diesem
Sinne aber hatte ich eines Tages mit der alten
Frau Haug das erwähnte Gespräch.

Es war an einen, schönen, sonnigen August-
Vormittag, eines Sonntags. Ich kam die Land-
straße her von einer frühen Wanderung in die
Berge hinein noch vor Beginn des Gottesdienstes
zurück und dachte, als ich in die Nähe des An-

wesens gelangt war, daß ich doch bei der Frau
Haug einlreten und mir zu meinem Frühstück eine
Düte voll ihrer herrlichen Aprikosen mitnehmen
könnte, die gerade in ihrer besten Reife standen

Schon als ich von der Landstraße ab über den
kleinen Voranqer hinweg auf das Gartenstackel
zuschritt, erblickte ich sie in ihrer weißen, in der
Sonne schimmernden Flanelljacke und vernahm ihre
kräftige, intelligent geschwinde, muntere Stimme:

„Husch, husch, husch I Sind'r mir denn wirk-
lich schon wieder hinne?l Ei der Daus ! Beester!
Beester! Wollt Ihr, wollt Ihr gleich 'naus?!"
hörte ich sie rufen und sah, wie sie hurtig mit
ihrer großen, stattlichen, weißen Gestalt, ein Reisig
schwingend und mit ihm scheuchend hinter etwas
her war, das ich bei genauerem Hinsehen und
näher hinzugekommen als ein Rudel schon an-
nähernd halbwüchsiger, gelber, flaumiger Enten-
küken erkannte, die, laut piepsend, wackelnd und
sich überpurzelnd spornstreichs aus dem Garten-
gebiet in den Hof zurück strebten.

„Na, nu kommen Sie doch bloß mal her,
sehn Sie doch mal!" rief sie mir, aus vollem
Halse lachend, und von der kleinen Anstrengung,
die sie gehabt, noch rot, und mir mit ihren klugen,
hellen, kleinen, lichtblauen Augen entgegenblickend
zu, wie ich zwischen Stachelbeer-, Iohannisbeer-,
Himbeerbüjchen, Rosen, Lilien und welch' einer
Fülle lachender Sommerblumen den auf beiden
Seiten mit Buchsbaum eingefaßten Gartenweg
hin auf sie zuschritt.

„Nu sehn, sehn Sie doch bloß! Nee wirklich,
muß man »ich lachen, ob man will oder nich?"
Und wieder lachte sie, daß ihr der breite Busen
und der stattliche Bauch schütterten. „So leid 's
einem ja um die schönen, schönen Portulaks tut:
aber — haben sie das nich genau wie nach der
Schnur gemacht? Nu, wahrhaft'g: schier zum
Gärtnern könnt' ich se brauchen! Is nich so?
O, wie ich sage, wie ich sage: ihr'n Entenverstand
Hamm se auch!"

Es war allerdings zum Staunen. Es handelte
sich um ein langes, schmales Beet von wunder-
schönen, in ihrer besten, buntesten Blüte stehenden
Portulaks, die sie tatsächlich wie genau nach der
Schnur von dem einen Ende nach dem anderen
hin abfallend, also von dem letzteren her auf-
wärts, abgefreffen hatten, so daß unten kaum noch
die letzten Stümpschen zu erblicken wa-
ren, während oben einen noch die letzten,
übrig gebliebenen Blüten anlachten . ..

Doch die Sonntagsstille draußen
zwischen den Waldbergen hatte mich in
eine besondere, nachdenkliche Stimmung
versetzt, und das brachte mich in diesem
Augenblick aus jene besonderen Ge-
danken und ihre wunderliche Wißbegier,
die mir ihr hohes Alter — sie hat übri-
gens danach noch gut über zehn Jahre
gelebt, hat's in die Neunziger gebracht
und ist dann des sanftesten Todes ge-
storben — zuweilen abgewann: und so
geschah es, daß ich aus der Sache, wie
ich unter sonstigen Umständen wohl ge-
tan haben würde, für diesmal weiter
kein Gespräch machte, sondern nach ein
paar, allerdings unwillkürlich belustig-
ten Worten, auf die ein kleines Still-
schweigen gefolgt war, mein Anliegen
vorbrachte.

Es traf sich gut, ein Spankorb voll
frisch erst heut' Morgen oben auf dem
Berg gepflückter, prächtigster Aprikosen
stand drüben auf deni Laubentische, die
Frau Haug nachher mit halte ins Haus
hineinnehmen wollen.

Wir begaben uns. sie in ihrer mun-
teren, helltönigen Weise plaudernd in
die Laube, und es geschah denn auch,
wie mir erwünscht war, daß wir uns
noch ein Weilchen zu einem kleinen
Plausch niederließen.

Uber den viele», schönen, in der
Sonne leuchtenden Gartenblumen summ-
ten die Bienen; je länger je lieber uni-

Hichard Kost

D ü n n b l er

„Dös san Zeit'n! Jetzt freust Di, balst an Maßkruag
mit an' Sprung erwischst!"

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Register
Richard Rost: Dünnbier
 
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