Die Eltern
Nach Bildern von Beck (1848) gemalt von Rudolf Hirth du Frenes (1892)
Der Vater: Georg Hirth, Advokat und Notar in Gräfentonna bei Gotha (geb. Mai 1809, gest. Juni 1857). — Die Mutter: Louise Hirth, 1819-1860, Tochter de* Auge Placide Drevelles
du FrSnes, 1773-1823, der 1792 aus Frankreich floh und Professor der franz. Sprache am Gymnasium zu Gotha wurde, und dessen Gattin Jos6phine, geborene Boisseau (aus Namur) 1790-1876.
— dieser unruhige Geist konnte nicht einen Mo-
nat sein Briefpapier beibehalten. In Hirihs Na-
tur haben sich einmal, was selten genug geschieht,
echte Genialität und große Tatkraft zu wirklichem
Schaffen verbunden.
Ob es recht ist, so kurz und obenhin von dem
Briefwechsel des hervorragenden Mannes zu spre-
chen? Ob man nicht besser täte, einmal einen
Teil seiner Briefe zusammen mit anderen Doku-
menten seines Lebens zu veröffentlichen? Dann
würden wir die Gesamtschilderung eines Mannes
erhalten, die durch die geniale Eigenartigkeit des
Geschilderten und durch Aufzählung dessen, was er
erarbeitet und errungen hat, von großem Inter-
esse für unser Volk werden müßte. Georg Hirth
der Künstler, der Gelehrte und der Poli-
tiker im Wirken auf seine Freunde und
sein Volk, so könnte das Buch heißen.
*
Widmungsblatt
Was die Brust der Mutter dem Kinde
spendet, das vermag die „herzlose Mischungs-
analyse" des Chemikers niemals voll zu
werten, denn es ist
„Leben von ihrem Leben"
und nur die Lebens-Wissenschaft (Biologie)
wird es versuchen dürfen der Natur auf
ihren dunkel tiefgründigen Gedankenwegen
zu folgen.
Was aber gab Dir, Georg Hirth, Mut.
Kraft und Recht uns Allen mit wahrhaft
„aviatischem" Schwünge voranzueilen und
uns leuchtende Ideen, flammende Worte an
einem fernen Horizonte erscheinen zu lassen?
Es war eine seltsam in reine Erkenntnis
umgewertete Energie der Empfindung: es
war Dein großes, heißes Herz für Menschheit
und Jugend!
München, 12.VII. 11. Prof. m. Pfaundler
*
Hirchs Kampf mit der Entropie
Eine Vorahnung
Als Hirth seine „Entropie der Keim-
systeme" schrieb, suchte er fast täglich Unter-
redungen mit mir über die physikalische Aus-
dehnung des Begriffs der Entropie. Der Entropie
selbst, sowie namentlich der aus ihr springenden
Folgerung einer Degradation aller Energie setzte
er ein instinktives, aber hartnäckiges Mißtrauen
entgegen. Im Gegensatz zu der Entropie bildete er
in diesem Buch bekanntlich das Wort „Ektropie",
welches seiner tiefen Überzeugung von der „Ent-
lastung" gegenüber der Belastung den wissen-
schaftlichen Ausdruck geben sollte. Unterdes sind
17 Jahre vorübergegangen und heute kann man
in der Physik die Frage aufwerfen, ob es nicht
Energieen gibt, die sich nicht oder nicht vollständig
in Wärme verwandeln lassen, für welche also das
bisherige Maß der Energie nicht gilt und für
welche auch die Folgerung der Entropie nicht zu-
Irifft, die also im Gegenteil ektropisch wirken
können. Eine Vorahnung Hirth's, hervorgegangen
aus dem liefen, ihm innewohnenden Optimismus.
München, 23.V. 17. prsf. Leo Graetz
Beim Unterbuchberger
Auf der Höhe über St. Quirin liegt der Hof
zum Unterbuchberger, ein stattliches Haus, unter
hohen Bäumen versteckt.
Den Weg, der von Quirin aufwärts führt,
bin ich während vierzehn Jahren oft und gerne
gegangen, um ein paar Stunden beim Doktor
Hirth, beim „Schorsch", wie er sich lieber nennen
hörte, zu verbringen.
Gewöhnlich stand er schon in seinem blauen
Janker auf der Freitreppe oder am Eingänge
und begrüßte herzlich den Ankommenden.
Saß man dann am langen Tische, und fehlte
niemand, der zur Familie gehörte, dann wurde
es dem Doktor behaglich, und nach feinen von
echter Teilnahnie zeigenden Fragen nach Befinden
und Umständen des Gastes, konnte er auch ins
Erzählen kommen.
Er hatte manches erlebt, war vielen bedeuten-
den und merkwürdigen Männern begegnet, hatte
in der Politik, in der Kunst, in der Literatur ein
Wort mitgeredet, starke Interessen lebhaft ver-
treten, und sprach nun mit abgeklärter Ruhe von
dem allem, wie eben von etwas Vergangenem,
hinter ihm Liegenden. Alte Anhänger und Gegner
beurteilte er mit der gleichen Milde und mit dem
stillen Humor eines Mannes, der die Werte seiner
Kämpfe wohl abzuschätzen weiß und dem, wie
Goethe sagt, „zu gelegener Zeit auch das Absurde
fröhlich wird."
Er gehörte, so rege sein Intereffe an der Gegen-
wart blieb, doch einer andern Zeit an, in der man
im schöneren Sinne weltbürgerlich war.
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Nach Bildern von Beck (1848) gemalt von Rudolf Hirth du Frenes (1892)
Der Vater: Georg Hirth, Advokat und Notar in Gräfentonna bei Gotha (geb. Mai 1809, gest. Juni 1857). — Die Mutter: Louise Hirth, 1819-1860, Tochter de* Auge Placide Drevelles
du FrSnes, 1773-1823, der 1792 aus Frankreich floh und Professor der franz. Sprache am Gymnasium zu Gotha wurde, und dessen Gattin Jos6phine, geborene Boisseau (aus Namur) 1790-1876.
— dieser unruhige Geist konnte nicht einen Mo-
nat sein Briefpapier beibehalten. In Hirihs Na-
tur haben sich einmal, was selten genug geschieht,
echte Genialität und große Tatkraft zu wirklichem
Schaffen verbunden.
Ob es recht ist, so kurz und obenhin von dem
Briefwechsel des hervorragenden Mannes zu spre-
chen? Ob man nicht besser täte, einmal einen
Teil seiner Briefe zusammen mit anderen Doku-
menten seines Lebens zu veröffentlichen? Dann
würden wir die Gesamtschilderung eines Mannes
erhalten, die durch die geniale Eigenartigkeit des
Geschilderten und durch Aufzählung dessen, was er
erarbeitet und errungen hat, von großem Inter-
esse für unser Volk werden müßte. Georg Hirth
der Künstler, der Gelehrte und der Poli-
tiker im Wirken auf seine Freunde und
sein Volk, so könnte das Buch heißen.
*
Widmungsblatt
Was die Brust der Mutter dem Kinde
spendet, das vermag die „herzlose Mischungs-
analyse" des Chemikers niemals voll zu
werten, denn es ist
„Leben von ihrem Leben"
und nur die Lebens-Wissenschaft (Biologie)
wird es versuchen dürfen der Natur auf
ihren dunkel tiefgründigen Gedankenwegen
zu folgen.
Was aber gab Dir, Georg Hirth, Mut.
Kraft und Recht uns Allen mit wahrhaft
„aviatischem" Schwünge voranzueilen und
uns leuchtende Ideen, flammende Worte an
einem fernen Horizonte erscheinen zu lassen?
Es war eine seltsam in reine Erkenntnis
umgewertete Energie der Empfindung: es
war Dein großes, heißes Herz für Menschheit
und Jugend!
München, 12.VII. 11. Prof. m. Pfaundler
*
Hirchs Kampf mit der Entropie
Eine Vorahnung
Als Hirth seine „Entropie der Keim-
systeme" schrieb, suchte er fast täglich Unter-
redungen mit mir über die physikalische Aus-
dehnung des Begriffs der Entropie. Der Entropie
selbst, sowie namentlich der aus ihr springenden
Folgerung einer Degradation aller Energie setzte
er ein instinktives, aber hartnäckiges Mißtrauen
entgegen. Im Gegensatz zu der Entropie bildete er
in diesem Buch bekanntlich das Wort „Ektropie",
welches seiner tiefen Überzeugung von der „Ent-
lastung" gegenüber der Belastung den wissen-
schaftlichen Ausdruck geben sollte. Unterdes sind
17 Jahre vorübergegangen und heute kann man
in der Physik die Frage aufwerfen, ob es nicht
Energieen gibt, die sich nicht oder nicht vollständig
in Wärme verwandeln lassen, für welche also das
bisherige Maß der Energie nicht gilt und für
welche auch die Folgerung der Entropie nicht zu-
Irifft, die also im Gegenteil ektropisch wirken
können. Eine Vorahnung Hirth's, hervorgegangen
aus dem liefen, ihm innewohnenden Optimismus.
München, 23.V. 17. prsf. Leo Graetz
Beim Unterbuchberger
Auf der Höhe über St. Quirin liegt der Hof
zum Unterbuchberger, ein stattliches Haus, unter
hohen Bäumen versteckt.
Den Weg, der von Quirin aufwärts führt,
bin ich während vierzehn Jahren oft und gerne
gegangen, um ein paar Stunden beim Doktor
Hirth, beim „Schorsch", wie er sich lieber nennen
hörte, zu verbringen.
Gewöhnlich stand er schon in seinem blauen
Janker auf der Freitreppe oder am Eingänge
und begrüßte herzlich den Ankommenden.
Saß man dann am langen Tische, und fehlte
niemand, der zur Familie gehörte, dann wurde
es dem Doktor behaglich, und nach feinen von
echter Teilnahnie zeigenden Fragen nach Befinden
und Umständen des Gastes, konnte er auch ins
Erzählen kommen.
Er hatte manches erlebt, war vielen bedeuten-
den und merkwürdigen Männern begegnet, hatte
in der Politik, in der Kunst, in der Literatur ein
Wort mitgeredet, starke Interessen lebhaft ver-
treten, und sprach nun mit abgeklärter Ruhe von
dem allem, wie eben von etwas Vergangenem,
hinter ihm Liegenden. Alte Anhänger und Gegner
beurteilte er mit der gleichen Milde und mit dem
stillen Humor eines Mannes, der die Werte seiner
Kämpfe wohl abzuschätzen weiß und dem, wie
Goethe sagt, „zu gelegener Zeit auch das Absurde
fröhlich wird."
Er gehörte, so rege sein Intereffe an der Gegen-
wart blieb, doch einer andern Zeit an, in der man
im schöneren Sinne weltbürgerlich war.
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