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Nicht „international", wie man's heute zu-
weilen sein will, um doch nichts anderes als
Klassenhaß über die Grenzen hinüber zu tragen.

Er gehörte der weniger verbildeten Generation
an, die noch den Satz verstand und nach ihm lebte,
daß wahre Liberalität Anerkennung sei. Wohl-
tuend zugleich und bezeichnend für sein Wesen
war die echte, ungekünstelte Bescheidenheit, die
aus seinen Worten sprach.

Wenn er von Ereignissen, bei denen er eine
Rolle gespielt hatte, oder von Begegnungen mit
Größen dieser Welt erzählte, fehlte jede Beto-
nung seiner eigenen Bedeutung, ja er konnte über
das Werk seines Lebens mit einer Zurückhaltung
sprechen, die mich rührte.

Auch er hatte in eineni langen Leben gesehen,
„wie vieles vom Zufall abzuhängen scheint, wie
Unvernünftiges gelingt, Vernünftiges fehl schlägt,
Glück und Unglück sich unerwartet ins Gleiche
stellen" und so fehlte ihm im vorgeschrittenen
Alter nicht die Neigung zur Resignation. Sieg-
haft blieb in ihm seine Freude am neuen Wer-
den, an der Jugend, an reiner Menschlichkeit.

Er gestand den Kommenden alle ihre Rechte
zu und nie fiel es ihni ein, von der Fugend zu
verlangen, daß sie mit ihm „ältelen" solle.

Die Tegernseer Gegend mar ihm eine liebe
Heimat geworden und er wehrte sich lebhaft gegen
die Meinung, als wäre er Fremder und Gast.

Er kannte die Leute in Gmund, Ostin und
die weiter den See hinunter wohnen, er kümmerte
sich ehrlich um ihr Wohlergehen, war inimer be-
reit, ihnen zu helfen, und immer bereit, sich mit
ihnen zu freuen.

Ich werde nie vergessen, wie tief ihn das
Schicksal seines Hausherrn, des Fischbacher Irgei,
der durch einen Unfall sein Leben verlor, be-
troffen hat.

Aber auch sonst habe ich oft Gelegenheit ge-
habt, zu sehen, wie gütig und voll Rücksicht er
auf den Geringsten achtete, der ihm begegnete.

Wenn es ihm wirklich einmal geschah, daß
er bei einer Spazierfahrt an einen. Begegnenden
vorüber fuhr, ohne zu grüßen, dann ließ er, so-
wie er es bemerkte oder auf das Versehen auf-
merksam gemacht wurde, den Wagen halte» und
hörte nicht auf zu grüßen, bis der andere gemerkt
hatte, daß ihn „der Doktor" wirklich nicht etwa
absichtlich übersehen hatte.

Auch wie er zu geben und zu helfen wußte,
war nobel.

Diese Zeile» sollen nut anderen an seinem
Geburtstage erscheinen. Sonst war der 13. Juli
ein von Bielen gefeierter Tag am Unterbuchberg,
wo sich dann Alt und Jung zusammenfand, um
recht nach dem Herzen des Gefeierten fröhlich
zu sein.

Von nun an bleibt »ns nur die Erinnerung
an diese Tage und an ihn.

Rottach a. Tegernsee 20. V. 17.

Ludwig Thoma

*

(Line politische Hirth-Erinnerung

Ende der neunziger Jahre, als ich im politischen
Teil der „Münchner Neuesten Nachrichten" arbeitete,
nahm die lveltpolitik zeitweise ein drohendes Ge-
präge an. Die Luft war wiederholt mit Zündstoff
geladen. Allerdings nur für aufmerksame Be-
obachter. Zu diesen gehörte unser Herr Or. Georg
ksirth. wie er niemals versäumte, wöchentlich
mehrmals in der Redaktion der Neuesten vorzn-
fprcchen, um nach dem Rechten zu sehen, so sahen
wir ihn in solchen erregten Zeitläuften häufiger
und länger bei uns und wurden allemal um wert-
volle Fingerzeige bereichert. Der beherrschenden Per-
sönlichkeit dieses grundehrlichen Patrioten, dessen

glühende Vaterlandsliebe über jeden parteipoliti-
schen verdacht erhaben war, konnte sich keiner
seiner Mitarbeiter entziehen, mochte er auch über
manches anderer Meinung fein.

Ls gab in der Reichs- und lveltpolitik kein
Gebiet, das ihn nicht gefesselt, keines, auf dem er
als Unkundiger gegolten hätte. Auf Deutschlands
Beziehungen zu seinen Nachbarn war ständig sein
Augenmerk gerichtet, und von der Verantwortung,
die ihr großer Leserkreis den Neuesten Nachrichten
auferlegte, war er voll durchdrungen. So ver-
folgte er, im Gegensatz zu der kläglichen Verständ-
nislosigkeit vieler, die Rassenkämpfe der Deutschen
in Österreich mit einer wahrhaft inbrünstigen An-
teilnahme. (Daß die Neuesten für ihre Hirthsche
deutsch-österreichische Politik damals mit längerer
Lntziehnng des Postdebits „bestraft" wurden, sei
in diesen, Zusammenhang lediglich gestreift.) Nicht
minder eindringlich legte ksirth uns fortgesetzt nahe,
die eingewurzelte Schmollpolitik Frankreichs, die
seiner Überzeugung nach durch keinerlei Annähe-
rungsversuche zu einer aufrichtigen Absage ihrer
Revanchetränme zu bekehren sei, unausgesetzt zu
verfolgen. Kurz, Anregung und Belehrung flössen
reichlich ans den politischen Plaudereien mit dem
wunderbar beweglichen Feucrgeist.

Line dieser Aussprachen ist mir in dieser Ariegs-
zcit öfters in der Lrinncrung lebendig geworden.
Ls war in jener kritischen Zeit, wo anläßlich der
verworrenen Dreyfns-Sache mit der Möglichkeit
eines deutsch-französischen Konfliktes ernstlich ge-
rechnet werden mußte und wo ksirth, allen gegen-
teiligen Zuschriften aus dem Leserkreis zum Trotz,
uns dringend empfahl, angesichts der offenkundigen
Kriegshetzer an der Seine die Lntwicklung der
Spionen -Affaire mit der notwendigen Ausführ-
lichkeit und Gewissenhaftigkeit zu behandeln, lvir
standen wieder einmal, wie die Jünger um den
Meister, um ihn versammelt, und da warf er un-
vermittelt die Frage auf, von welchem Staat
Deutschland wohl der nächste große Krieg aufge-
drängt werde. Die einstimmige Antwort lautete,
wie zu erwarten war: natürlich mit Frankreich!
Und das Erstaunen mar allgemein, als ksirth feine
Augen mit der ihnen eigenen überlegenen Ruhe
über den kleinen Kreis gleiten ließ und dann ernst
und bestimmt entgegnete: „Nein, meine Herren;
die Nation, mit der wir den nächsten großen
Krieg ansfechten müssen, das sind unsere englischen
Vettern." Allseitiges Staunen, vermischt mit
gläubigem Lächeln. In der Tat, in einem solchen
Licht konnte nur die Phantasie eines Georg ksirth
die englische Politik erblicken.

Lr mochte diese Aufnahme erwartet haben und
war sich wohl bewußt, wieder einmal insgeheim
verdächtigt zu werden, um geistreich zu scheinen,
paradox geredet zu haben, was er dann aber in
seiner temperamentvollen Art als Begründung hin-
zufügte — und mir persönlich in der Folgezeit zu
wiederholten Malen eindringend auseinandersetzte
— das mußte auch den Ungläubigen nachdenklich
stimmen. Daß Deutschlands wirtschaftliches Lm-
porkomincn mit gebieterischer Notwendigkeit unfern
Außenhandel zum Ivelthandel und dieser unsere
Politik zur lveltpolitik drängen — und daß wir
auf diesem lvcge unserer nationalen Lntwicklung
als unbequemer Konkurrent mit dem englischen
Imperialismus eines Tages unausweichlich in

einen Lntscheidungskampf auf Leben und Tod
geraten müssen: das hatte allerdings damals noch
niemand in Rechnung gestellt.

lvohl hätte wirklichen Kennern Lnglands schon
damals die verschleierte Feindseligkeit der gelben
Presse, die langsam, aber erfolgreich begann, die
öffentliche Meinung zu vergiften, nicht entgehen
müssen; aber niemand wäre bei uns vor zwanzig
Jahren so vermessen gewesen, zu behaupten, daß
um die Jahrhundertwende die Zerstörung des
deutschen Außenhandels bereits das wohlerwogene
Kriegsziel mächtiger englischer Kreise war. Der
einzige politische Kopf, der schon in den letzten
Regierungsjahren der Königin Viktoria, da Albert-
Lduard noch ein unbeschriebenes Blatt schien, mit
weitem Blick in dunklen Umrissen das gewaltige
Ringen voraussah, das sich heute abspielt, war
der unpolitische, kunstbeflisscne l)r. Georg Birth.
Mag sein, daß manche seiner Freunde ihn später
eines Bessern belehrt haben. Daß er wohl die
ersten Akte, nicht aber den Ausgang des erschüt-
ternden Dramas erleben durfte, wird fein letzter
großer Schmerz gewesen sein,

Hofrat Di\ Wilhelm Ruland-München

*

Vater Hirth

Ls gab eine Zeit in meinem Leben, da saß
ich nachts in meinem einsamen Ivaldhause und
arbeitete an mir. Ivcnn ich mir wieder über eine
Torheit klar geworden war, schrieb ich's nieder; und
„Nachtlicht" schrieb ich darunter, vr. Georg Birth
hat mich dann an's Tageslicht gezogen. Ls lag eine
gemeinsame liebe Lrinncrung darin, wenn er mich
auch später immer noch sein „Nachtlicht" nannte.

lvas ich ihm dankte, konnte ich ihm nur schlecht
sagen. Als ich ihm zu,n ersten Male von Ange-
sicht zu Angesicht gegenüberstand, hatte ich wohl
glühende Dankesworte im Kopfe, aber ich brachte
sie nicht über die Lippen. Die Ehrfurcht mar zu
groß, »in meinen Gefühlen Bedeutung beimeffeu
und Ausdruck verleihen zu können. Georg ksirth
war damals hoch in den sechziger Jahren, ich war
in den dreißiger«; mein Freimut erlahmte schon
vor dem sichtbaren Altersunterschiede.

Trotz meiner Unbeholfenheit blieb er gütig zu
mir und opferte mir seine Zeit, lvir fuhren in
seinem lvagen hinaus in's Freie. Bei einem Ge-
hölz hielt der Kutscher. Das geschah wie selbst-
verständlich. Ein paar Kinder schienen auch schon
auf das Kommen des Wagens gewartet zu haben,
denn sie stürmten uns entgegen.

„Aha: Großvater," dachte ich.

Nein, — die drei Kleinen waren seine eigenen
Kinder! Er lachte über mein ungläubiges Gesicht,
lind ich wollt's lange nicht glauben, denn ich be-
saß ja selbst Kinder, und die waren sämtlich älter
als diese, die der alte ksirth sein eigen nannte.
Mit viel Humor stellte er fest, daß ich von uns
beiden der bei weitem ältere Vater war!

von dem Augenblicke an standen wir auf ge-
meinsamem Boden. Meine Verehrung für ihn
war eher noch größer als zuvor, aber ich sah nicht
mehr den Mann von fast biblischem Alter in Georg
ksirth, sondern ich erkannte in ihm den wahren,
den lebensfrischcn Vater der „Jugend". Ihm
konnte ich Herz und Seele erschließen, ihm konnte
ich vertrauend die Freundeshand drücken, ihm ver-
mochte ich endlich zu sagen, wie glühend dankbar
ich ihm sei.

wenn ich heute an den Mann zurückdenke, dem
ich den ersehnten Umschwung meines Lebens ver-
danke, dann sehe ich nicht Georg ksirth, den be-
rühmten, gewaltigen, gebietenden Mann mit dem
leuchtenden, abgeklärten Greisenauge vor mir, son-
dern Georg ksirth, den Freund, der als Vater
jünger war als ich. Horst Schittler

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[nicht signierter Beitrag]: Vignette
Horst Schöttler: Vater Hirth
Wilhelm Ruland: Eine politische Hirth-Erinnerung
 
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