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GEORG HIRTH (Bleistiftzeichnung von Olaf Gulbransson)

lieber Preßfreiheit

(Aus der Begrüßungsrede beim Festessen des Allgemeinen
deutschen Schriftsteller- und Journalistentages im alten Rat-
haus-Saale zu München am 9. Juli 1893. Abgedruckt in „Wege zur
Freiheit", S. 838 ff.)

Wir alle stehen unter dem frischen Eindrücke der trefflichen Worte, welche
gestern*) ein Mann zu uns gesprochen hat, der dazu berufen ist, dereinst
die Königskrone dieses Landes zu tragen. Besonders wohltuend für uns
Zeitungsleute war in seiner Rede die menschenfreundliche Rücksichtnahme
auf die Schwierigkeiten unseres Berufes, auf die Hast und Überstürzung,
mit der wir oft arbeiten müssen. Möchten diese freundlichen Worte nicht
bloß von den Herren Staatsanwälten, sondern auch vom verehrlichen
Publico beherzigt werden. Denn während gar viele Leute, die sich weise
dünken, nicht niüde werden, über die Presse weidlich zu schimpfen und ihr
wohl gar die Existenzberechtigung abzusprechen, sagt uns PrinzLndwig
in seiner klaren, den gesunden Menschenverstand so außerordentlich sym-
pathisch verkörpernden Weise: „Das Zeitungslesen ist eine Kunst,
und für hochstehende und höchststehende Personen im Staate
ist diese Kunst, die gewiß nicht leicht ist, auch die, sich von den
Einflüssen ihrer Umgebung frei zu machen und Dinge zu er-
fahren und zu hören, die ihnen sonst bei ihrer unvermeidlichen
Isolierung mehr oder weniger verborgen bleiben."

Run, verehrte Kollegen, in solchen Worten aus solchen« Munde liegt
eine wirklich herzerquickende Entschädigung für alle Verkennungen, denen
unser Beruf, denen die Lauterkeit unserer Bestrebungen zum allgemeinen
Besten, denen unsere Personen selbst ausgesetzt sind. Wir erwarten keine
Orden, keine amtlichen Belobigungen, keinen gleißende» Dank, wir wollen
und — dürfen nicht „hoffähig" werden, schon um nicht bei unserer Klientin,
der öffentlichen Meinung, das Ansehen der Unabhängigkeit einzubüßen,
— aber solche Worte, wie sie Prinz Ludwig gesprochen, tuen wohl und vor
allem: sie sind ermunternd und ermutigend, indem sie uns von den
Zweifeln an der Notwendigkeit und Ersprießlichkeit unseres dornenvollen
Berufes befreien, von jenen pessiniistifchen Zweifeln, welchen jeder
Idealist vorübergehend erliegt, wenn er sein Herzblut in die Tinte ergossen
und das eine mit der andern vergeblich verspritzt hat. Georg Hirth

*) am 8. Juli 1893.

Georg Hirths Stimme

Wie der Kriegsmann dem Ansturm der Feinde seine rücksichtslose Tapfer-
keit entgegenstellt, so müssen wir Friedensmenschen der Heuchelei in ihren
zahlreichen politischen, sozialen, geschlechtlichen, konfessionellen und bureau-
kratischen Abarten und auf allen Wegen und Stegen unsere verachtenden
Fußtritte versetzen. Alles was uns bedrückt und bedroht, will offen und
niutig bekannt sein. Nur so, und wenn die unerhörte Wohltat der Auf-
klärung nicht durch verlogene Lobhudeleien der „guten" alten Zeit entstellt,
wenn die Lehren der Geschichte nicht länger mit liebedienerischen Klitte-
rungen verfälscht werden, — nur so können wir eine neue furchtlose
Sittlichkeit erwecken. * „Wege zur Liebe", Vorwort.

Den Enthaltsamen gehört die Zukunft. Allerdings bezieht sich diese
Wahrheit nicht nur auf den Alkohol und den Mißbrauch der Liebe, sondern

auch auf den Aberglauben. „Wege zur Liebe", S. 546.

*

Wenn man im Laufe der Jahre viele Tausende von Kunstwerken
aller Zeiten und Zonen in die Hand nimnit, mit dem ausgesprochenen
(oder besser verschwiegenen!) Hintergedanken des Kausens — dann vergeht
einem die leidige Stilnörgelei, man wird allmählich objektiv und lernt „das
Ding an sich" schätzen. Das beste springt uns wie eine Wildkatze ins Ge-
sicht, das „nur Stilvolle" bleibt wie Blei liegen, kaum belächelt und nur
geachtet, weil es — abstammt. Der Maler v. Pettenkofen sprach mir
einmal seine Verwunderung darüber aus, daß ich mich mit einem Museum
umgeben und dadurch mir viele Sorgen aufgeladen habe: er finde in jeder
Stadt „seine" Museen, er brauche sich nur einzubilden, daß sie der Mensch-
heit und also auch ihm gehören. Es ist aber doch ein großer Unterschied,
ob man nur Liebhaber oder auch Samniler ist, ein etwa gerade so großer
Unterschied, wie zwischen der Verliebtheit und dem Heiraten. Die Leiden-
schaft des Sammelns verhält sich zu derjenigen des bloßen Liebhabers wie
das Baterwerden zum Fensterln. Die Leidenschaft des künstlerischen Sach-
besitzcs hat Maupaffant sehr plastisch in einer Novellette (La chevelure)
geschildert; es ist ein angenehmes Fiebern, das eine gewisse Immunität gegen

die Oberflächlichkeit zurllckläßt. „Wege zur Kunst", S. 474/75.

*

Nur Dankbarkeit macht innerlich reich. Sie ist die Würze unserer Er-
innerungen, die uns keine Zukunft rauben kann. Unsere Wohltäter, nament-
lich die freiwilligen, bilden unsere Leibnobelgarde; wie können wir wohl den
Glauben an die Menschheit verlieren, wenn wir in Gedanken diese Garde
aufmarschieren lassen? „Wege zur Heimat", S. 441.

Die Frau ist am schönsten, wenn sie liebt; der Mann, wenn er für
eine gerechte Sache oder eine neue Idee begeistert ist. So wenigstens scheint
es uns Männern; — möglich, daß es Frauen gibt, die unigekehrt urteilen.

„Wege zur Kunst", S. 469.

*

Gegen Feinde, die uns erwürgen wollten, gibt es nur eine Waffe,
den festen Blick der gewaltigen Überlegenheit. Keine Eroberungen,
sondern notgedrungene Schutzwehren! Sie müssen erfahren, daß
jeder Rückfall in ihr Verbrechen Wahnsinn wäre. Auch Miß Rulethewaves
wird so „lieb" sein, sich vor dieser Logik zu beugen.

„Jugend" 1915, Nr. 13.

Wer sich Mühe geben wollte, aus meinen zahlreichen Schriften eine
systematische Kette aller vorgebrachten Anschauungen und Argumente her-
zustellen, der würde sich von dem logischen Zusammenhang und soliden
Aufbau meiner Freiheitsmoral überzeugen. Bon dieser, welche in der
Verherrlichung des materiell-energetischen Systems „Mensch"
gipfelt, habe ich an mir selbst eine durchgreifende Stärkung und Verjüngung
erfahren, und ich kann jungen Leuten, die nicht alt werden und versumpfen
wollen, nur den dringenden Rat geben, meinen Spuren zu folgen — freilich
nicht als gedankenlose Nachtreter, sondern unter unausgesetzter Prüfung
meiner Ideen und vor allem mit dem festen Willen, die Konsequenzen
aus der gewonnenen Einsicht zu ziehen. Denn von nichts kommt nichts!
Mit einer so verschrobenen, angeblich modernen Losung, wie „Sich aus-
leben", wird man sicher bei meinen Zielen vorbcischießen. Richtiger wäre
es zu sagen, „Sich ausarbeiten" und „Sich eindenken". Ohne
Tugend keine Jugend!

Vielleicht komme ich noch einmal dazu, meine Ideen in ähnlicher Weise
zu kodifizieren, wie es Bolney in seinen „Ruinen" und „Physischen
Prinzipien der Moral" gethan hat. Lieber wäre es mir, ein Anderer
würde sich die Mühe geben und dabei recht kritisch verfahren, ohne lust-
mörderische Schadenfreude natürlich. Ich habe eine gewisse Scheu vor der-
artigen Selbstkompilationen, wie denn alle großangelegten Lehrgebäude für
mich etwas Gespenstisches haben. „Wege zur Freiheit", Vorwort.

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Register
Olaf Gulbransson: Georg Hirth
Georg Hirth: Über Preßfreiheit
Georg Hirth: Georg Hirths Stimme
 
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