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Das Monocle

Bon Hans Heidsicck

Ich sehe den Kleinen noch vor mir.

„Der »personifizierte Schneid" , sagte
Habermann inimer. Habermann war
unser Spaßmacher.

Aber ich will vom Kleinen sprechen.

Er war noch ganz ein Kind. Als sich
Haberniann einmal aus Ulk ein Mo-
nocle aufsetzte, lachte er so laut und
vergnügt auf, daß man allein schon über
dieses Lachen lächeln mußte.

Habermann meinte, ein Monocle
müsse auch den. Kleinen ganz gut stehn.

Er hätte das nicht sagen dürfen, aber
cs war nun einmal gesagt, und der
Kleine griff den scherzhaften Vorschlag
mit so rein kindlicher und harmloser
Freude aui, daß ich ihn heute noch
wie damals in seiner unschuldigen und
harmlosen Laune vor mir sehe.

Das Monocle war grade sehr in
der Mode. Es gab Leute, die es mit
der ernsthaftesten Miene trugen. Sie
wußten sehr stichhaltige Gründe für das
Tragen ihrer Scherben anzugeben. —

Jedenfalls konnten sie schlecht sehn.

Wie gesagt: Die Dinger waren mo-
dern. Dian weiß, was das heißt,
modern! Welche fascinierende Wirkung
dieses Wort auf alle diejenigen ausübte,
die jeden gesunden Menschenverstand uni
einen Judaslohn an ihre Eitelkeit ver-
schachert haben.

Genug — weil es eben modern war,
mußte es auch unser Kleiner für etwas
ganz besonderes halten. Ein Monocle
— — wer weiß, vielleicht stand ihm
das Ding doch nicht übel.

„Was meint ihr?" fragte er mit
einem ironischen Lachen.

„Vorzüglich!" rufen die andern.

Aber sie lachen gar nicht ironisch.

Der Kleine wird stutzig.

„Meint ihr?" Noch einmal betrachtet er sich
im Spiegel. Dann legt er die Scherbe beiseite.

Ich hatte grade an diesem Tage noci> meine
Freude an seinem frischen und aufrichtigen Wesen.
Trotzdem er, wie Habermann sagte, der personi-
fizierte Schneid war, büßte er von seiner Natür-
lichkeit nichts ein. Es war eine Lust mit diesem
frischen, jungen Menschen zusammen zu sein

Also das Monocle! Ich wollte ja voni Mo-
nocle erzählen. Wahrscheinlich hatte es ihm doch
keine Ruhe gelassen. Es war ein niedliches Spiel-
zeug, und den Blasierten zu spielen war ein amü-
santes Spiel.

Wir sahen ihn jetzt öfter mit der Scherbe.
Immer.machte er einen Scherz, wenn er sie auf-
setzte. Er wollte sich damit entschuldigen.

„Kleiner," sagte ich zu ihm, „setz doch das
Ding ab. Es steht Dir nicht!" Ich hatte nicht mit
seiner auffallenden Liebe zu dieser Spielerei ge-
rechnet.

„Oho!" entgegnele er, „laß mir doch das
Vergnügen!"

Warum sollte ich ihm die Freude nicht gön-
nen? Ich fürchtete nur eins. Und es traf ein.

Es war schon so weit, daß er sich ärgerte,
weil ihm das Monocle nicht stand. Er mochte
selber einsehn, daß sein frisches harmloses Gesicht
einen lächerlichen Gegensatz dazu bildete. Aber
-warum sollte gerade er sich nicht moderni-
sieren dürfen?

Man merkt ihm seinen Arger an, wenn er
das Monocle aufsetzt. Wenn nian dann ei» wenig
lächelt, ärgert er sich noch mehr. Ein verächtlich-
spöttischer Zug beginnt sich jetzt um seinen Mund
zu legen. Früher hatte man das an ihm nicht
gekannt.

Noch einmal bat ich ihn: „Lege doch das
unglückselige Ding ab!"

Jetzt lachte er mich aus.

Gemahlin, geborene Bliemelhnber, die
Verlobung ihrer Tochter Gertraude mit
dem Herrn Schriftsteller — hier folgte
ein kurzer Steckbrief auf nieine Neben-
sächlichkeit — geziemend mitzuteilen
sich erlauben.

Schnell fertig sind die Schwieger-
eltern nüt dem Wort.

Zum Glück ist das Publikum durch
die Kriegs-Journalistik genügend ge-
witzigt, daß es nicht gleich alles ernst
nimmt, was in der Zeitung steht. Trotz-
dem gratulierte man mir von allen
Seiten in hellster Schadenfreude. Ich
muß gestehn, ich war in Berlobungs-
angelegenheiten eine Laie. Schon aus
dem einfachen Grunde, weil ich nie die
Absicht halte zu heiraten. Anfangs
dachte ich, ich würde mit Trudl ver-
lobt, uni sie nun ganz ungeniert kennen
zu lernen, in der naiven Voraussetzung,
daß Menschen, die sich für das ganze
Leben miteinander verbinden wollten,
doch einigerniaßcn das Bedürfnis hätten,
sich gegenseitig ein bißchen auf den Zahn
zu fühlen. Aber von dem Augenblick
an, an deni mich die verehrte Schwieger-
mama meuchlings mit ihrem Segen
überfallen hatte, bekam ich Trude nur-
mehr wie ein kostbar behütetes Porzel-
lanfigürchen zu Gesicht. Ein noll ms
tanZsrs-Hauch ging von ihr aus, wie
ein königliches Parfüm, und wenn ich
zufällig einen Augenblick mit ihr allein
sein konnte, blieb sie stumm und still
auf alle meine Worte, als hingen un-
sichtbare Tafeln an den Wänden mit
der warnenden Aufschrift: Bräute, laßt
euch nicht ausfragen I

Die diplomatischen Beziehungen zwi-
schen mir und Trudl wurden demnach
bald gespanntere und standen fast vor
dem Abbruch, dafür aber kam ich in
das innigste Trommelfeuer mit ihrer
reizenden Familie.

Euppenmosers wohnten als echte Patrioten
zu ebener Erde in der Hindenburgstraße, zweimal
läuten. Hierauf mußte man warten. Wer nun
denkt, daß von innen leise Trippelschritte sich
näherten und meine königliche Braut mir die
Pforten zuni Paradiese öffnete, der war noch nie
auf ehrliche Weise verlobt. Läutete nian nämlich
noch ein drittesmal, erscholl von innen eine
unwirsche Stimme, die mich jedesmal an das
„Knusper, knusper, Knäuschen, wer pocht an
meineni Häuschen?" aus meiner Kinderzeit er-
rinnerte und mir die Haut gänsern überzog.

Dieses gottbegnadete Organ gehörte der Tante
Katharina, die mich auch sonst mit dem Hexen-
aberglauben und den Hexenverfolgungen des
Mittelalters versöhnte.

Nun bin ich aber gegen solchen Zauber ge-
feit. Ich küßte der alten Base mit Schwung die
Hände, nannte sie Tantchen Immerfleißig! reichte
ihr das nächste Blümchen, das ich irgendwo im
Borbeigehn gepflückt hotte, und hokus. pokus,
zinkus, zankus! der Hexensegen wirkte. Tantchen
Immerfleißig fletschte ein süßes Lächeln und schob
mich mit einem mehr schmerzhaften als freund-
lichen Rippenstoß in den Salon ab. Im Salon
fiel mir Trudl um den Hals — meinen Sie? —
fehlgeschossen!

Im Salon saß Onkel Benjamin und kehrte
mir den Rücken. Wenn ich ihm hierauf mit
einem artigen Gruß dankte, fuhr er halb herum
und brummte: „Was, Sie find schon wieder da?"
Ich ärgerte ihn darauf nicht wenig, indem ich
seine allzeit treffliche Laune bewunderte. Er sprach
vom Krieg. Ich sprach vom Frieden. Hierauf
wurde er persönlich und behauptete steif und be-
häbig, daß ihm sein Rauchfangkehrergeschäft zehn-
mal lieber sei als meine verrückte Dichterei, was
ich mit deni Hinweis darauf liebenswürdig be-
stätigte, daß es eben in seiner Branche mehr
Schlote gebe als in der Kunst. Onkel Benjamin

Fr. Heubner (im Felde)

Der neue Reichtum

„Gestern hat mich einer ,Venus die Schaumgeborene' genanntl
weiß jetzt der, daß ich 'mal Biermädel gewesen bml?"

„Es tut mir leid —," sagte er dann, „aber ich
kann ta! sächlich auf dem rechten Auge schlecht
sehnl"

„Warum trägst Du es denn auf dem linken—?"

„Ach so — —" mich trifft ein giftiger Blick.
Ich gebe es auf.

Heute habe ich ihn nach langer Zeit wieder-
gefehn. Er trug ein Monocle. Perfekt. Da sich
das Monocle dem Gesicht nicht angepaßt hatte,
hatte das Gesicht ihm den Gefallen getan.

Aus dem schlichten natürlichen Jungen war
eine blasierte Alltagsfratze geworden. —

*

Oie Verlobung

Von Heinz Scharpf

Eines Tages fiel mir etwas ins Auge. Ein
entzückendes Mädchen natürlich. Zwei Quer-
straßen darauf war es ausgemacht, daß wir uns
liebten, daß wir zueinander gehörten bis ins kühle
Grab. Sie konnte ohne mich, ich ohne sie und
mir beide zusammen ohne Stadtpark nicht leben.
Da trafen wir uns nämlich bei allen jenen Ge-
legenheiten, die Trudl, so hieß die einzig Süße,
laut eines elterlichen Auftrages eigentlich ganz
wo anders hingeführt hatten. Bei schlechtem
Wetter kamen wir unter ihrem Schirm zusanmien.
Abends war der Stadtpark dem Publikum leider
nicht zugänglich. Trude auch nicht. Als ich aber,
angeregt durch die Lektüre Faust, 1. Teil, trotz-
deni bei ihr einzudringen versuchte und den feschen
Heinrich spielen wollte, öffnete sich plötzlich die
Türe, eine Familie umzingelte mich, die Kinder
kreischten: Mutti, Trudl ist verlobt! der Papa
brüllte: Aussteigen! und ich sank auf einen Stuhl
und rief: Krach in die Melonie!

Ani nächsten Tag stand im Wochenanzeiger,
daß Herr Oberinspektor Suppenmoser und seine

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Register
Friedrich (Fritz) Heubner: Der neue Reichtum
Heinz Scharpf: Die Verlobung
Hans Heidsieck: Das Monocle
 
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