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die Wolken, aber geradeaus hinein in die aus-
geschlafcnc Sonne. Der Barograph zeigt 3900.
Jetzt noch hundert Meter. Es geht spielend. Ich
schreibe auf einen Zettel: 4000 in 38 V» Minuten
und zeige es nach hinten. Er nickt und wir steigen
noch 50 Meter höher, dann nimmt er das Gas
fort und die Kiste legt sich in Gleitflug. Da gibt
mir Tweer einen Rippenstoß, zeigt nach unten
und brüllt: „Dort liegt X. . büren I"

X .. büren, Dauerwurst und Wasserpumpe ver-
schmelzen bei mir sofort zu einem Gedanken-Chaos,
das mit erstaunlicher Schnelligkeit eine greifbare
Idee herausdestilliert.

„Mensch!" brülle ich nach hinten, „die Wasser-
pumpe frißt!" Er hat's nicht mal verstanden, der
Unselige. Ich schnalle mich los, beuge mich zu
ihm und posaune ihm in die Ohren: „Die Wasser-
pumpe frißt und ich möchte eine Dauerwurst fressen."

Endlich. Er lacht, daß der goldene Eckzahn
blitzt und dreht Korkenzieherspiralen. Hol' doch
der Teufel die Wasserpumpe! Wir müssen also
direkt da bei X .. büren landen. Da drüben scheint
auch schon so eine Art Gutsgebäude zu sein. Kommt
dort nicht einer mit einem komischen Strohhut und
Schaftstiefeln aus dem Hoftor? Und hinterher
ein junges Mädel, ohne Hut, mit einer weißen
Schürze?! Natürlich!

Es stellt sich ohne weiteres heraus, daß es
der Gutsbesitzer Schlöns ist und das Mädel, be-
hauptet er, ist seine Tochter, woran wir beide
nicht im geringsten zweifeln.

„Warn Se nicht neuli schon mal hier, drüben
beim Wilsner-Bauer?" Tweer stellt sich so un-
sciiuldig wie ein neugeborenes Kind. Interessiert
und wichtig schaut er nach der Karte. „Richtig!"
ruft er ganz erstaunt, „richtig, neulich bei der
Notlandung. Welch ein spaßiger Zufall!"

Ich pirsche nüel> unterdessen an die Tochter
heran, was mir nach einigen ungeschickten Redens-
arten auch gelingt. Ich muß gestehen, daß ich
bei ihrem ländlichen Liebreiz die Dauerwurst bei-
nahe vergesse. Immerhin schwebt sie noch wie
ein fettglnnzendcs Fragezeichen in meinem Ge-
dankenkreise. Auf jeden Fall denke ich, bin ich
nicht böse, wenn ich nichts kriege, denn so ein
rotbäckiges Heideröslein ist doch wahrhaftig schon
Entschädigung genug, ein solcher Banause bin
ich doeli nicht. Ach, nun klettert sie gar noch an
der Kiste in die Höhe und zeigt mir ein Paar
niedliche, aber faktisch, niedliche Beinchcn, na
also ...! Eigentlich brauche ich euch das gar nicht
zu erzählen, ihr habt vielleicht gar keinen Sinn
für derartige betrachtende Genüsse und seid schon
cntftlid) verschnupft, weil ich die Dauerwurst ins
zweite Treffen setze. Nur keine Aufregung! Wir
haben beide gut gefrllhstückt beim Herrn Schlöns
und zum Ucberfiuß lädt er uns auch noch zum
Mittagessen ein.

Twer geht mit dem Herrn Schlöns
zum Frühschoppen und ich verspreche,
baldigst nachzukommen, da ich mir erst
noch von der Tochter den Rindvieh- und
Schweincbcstand und das Luderleben
des Federviehs zeigen lassen will.

Dann gehen wir noch ein Stück
über die Felder und ich versäume den
Frühschoppen. Heilands Donner, wie
bin irf) undiplomatisch in Nahrungs-
mittelfragen!

Die Dauerwurst rückt immer merk-
licher ins Nebelhafte, je nichr ich in
Miezes braune Augen schaue. Ich
zwinge mich fast zu einem passenden
Übergang auf die Schweinezucht und
ihre Rentabilität bei der teilweisen oder
totalen Verwurstelung. Und während
sie von der Schönheit des Fliegens
schwärmt und wissen will, wie das alles
aussieht und was man fiihlt und denkt
und empfindet und weiß der Teufel
was alles, und während sic auf meine
Händedruckoffensive mit einem leichten
Erröten antwortet, kann ich doch un-
möglich ... aber wie soll ich denn das
nur anfangen!?

„Wissen Eie," fabuliere ich, „es wäre doch
alles so schön und zufrieden und man könnte
doch ungeachtet und nichtsdestoweniger trotz nicht
klagen, wenn,.. ja wenn.. was denn? ... wenn
man halt bissel mehr zu essen..Herrgott Potz
und Blitz, das bleibt mir ja im Hals stecken.
Wir gehen Arm in Arm und ich fühle, wie sie
sich an mich schmiegt. Die Dauerwurst aber
schrumpft zusammen wie ein elendes Iahrmarkts-
teufclchen. Wir kommen in einen kleinen Kie-
fernstand. Und dort küssen wir uns. Ich möchte
wissen, wen das etwas angeht! Entschuldige, liebe
Klare, aber wir haben uns doch damals auch
geküßt.

Jetzt ist's vorbei mit der Wurst, denke ich
mit leichter Resignation, endlich vorbei. Ich schäme
mich fast. Wir verpassen auch noch das Mittag-
essen. Wie wir zurückkommen, höre ich schon
den Propeller laufen.

„Mensch, höchste Zeit! Wo bleibt Ihr denn?
Wo hast du denn Deine Lederjacke?"

Papa und Mama Schlöns stehen da und
eine Brigade Gesinde. Mieze erhält einige Dolch-
stiche aus den Augen der Mama und eilt ins
Haus nach meiner Lederjacke.

Mit ehrlicher Herzlichkeit nehmen wir Abschied.
Es war wirklich schön. Und das Essen war gut.
Bon dem Mittagessen habe ich leider —, na dafür
haben wir uns im Kiefernstand geküßt, ach was
Quatsch! Was soll ich da noch lange eine un-
nötige Bilanz ziehen.-- Eine Viertelstunde

später landen wir zu Hause. Wie wir über den
Flugplatz gehen, zieht Tweer ein längliches Paket
heraus. Mir wird's ganz naßkalt im Rücken.
Ich glaube, ich werde rot wie ein Schuljunge.

„Wo hast Du denn Deine Wurst?" Er betont
das Du. Soll das vielleicht eine Spitze sein!
Ich spiele den Erstaunten.

„Wurst? Woher Wurst?"

„Na, Mensch, Schaferstunden kannste hier
haben, dazu brami>t keine Wasscrpumpc fressen.
Natürlich, wenn Du den verliebten Pennäler
spielst, kannst Du keine Wurst Kriegen."

Ich bin ganz geknickt. Da stehe ich nun, ich
armseliger Diplomat. Und er hat das Paket
unterm Arm. Aber ich habe den großen Trumpf
in der Tasche. Und spiele ihn nicht aus, weil
ich nichts weiß.

Wie ich später meine Lederjoppe aufhänge,
fühle ich etwas Rundes, Dickes. Das habe ich
vorhin auch gefühlt, aber ich dachte, es sind
Handschuhe und Kopfschützer.

Ich ziehe es hervor. Da habe ich einen
kleinen Rollschinken iit der Hand. In nackter,
uneingewickelter Wirklichkeit.

Also wann hat sie denn das da hineingesteckt?

... Ach richtig, als sie mir die Jacke holte!

O Mieze!!... Mieze!!!

Theo Waidenschlager

Der Herr Mctzgermeister

„Die Runst ist im Niedergang begriffen." — „Da ham S' recht;
wer ko nach 'in'Lriag no an richtigen Schwarteninag'n mach«?'

Oie Kraft der Flüche

Im Honoratiorcnstübchen des Himmels stritten
Vertreter aller deutscher Waffengattüngeir — so
friedlich, wie man sich nach überstandenem Kampfe
im Himmel streitet — darüber, bei welcher Waffen-
gattung wohl am kräftigsten geflucht würde. Ein
jeder der Helden führte sein bestes Beispiel auf.

Der Infanterist:

„Einer meiner Kameraden, dessen Redekunst
über jedes Lob so horl> erhaben war, daß sic nur
Tadel erntete, kam einmal nach Mons, wo man
ihm eine hahnebüchendünne Fleischbrühe vorsetzte.
Da flieh er einen derart kräftigen Fluch aus, daß
sofort Fettaugen auf der Brühe scl>wammen."

Da griff der Kavallerist ein:

„Wir hatten einen Rittmeister, dem setzte man
da draußen zur Bowlenbereitung Erdbeeren vor,
die fast noch grün waren. Da folgte ein Fluch
von solcher Männcrkraft, daß alle Erdbeeren so-
fort rot wurden."

Das ließ sich schon hören, und dieser Fluch
fand Beifall. Nur dem U-Bootmann imponierte
das nicht:

„Wir hatten einen Maaten am Lanzierrohr,
als ein feindlicher Kreuzer ,W i l s o rt‘ gemeldet
wurde. Seiner und der ganzen Mannschaft Fluch
geriet darauf so kräftig, daß das Torpedo mit einer
derartigen Gewalt aus dem Rohre flog, daß mit
deni Kreuzer auch die amerikanische Valuta sank."

Da tranken am Heldcntische alle hastig aus; nur
der Flieger blieb kalt und war dem U-Bootmann
— natürlich — über:

„Einer meiner Kameraden hatte das ewige Ab-
schießen einmal satt und benutzte ein paar freie
Stunden zum Requirieren von Mondkälbern, da
wir gerade etwas Fleischmangel hatten.

Als er nun in der einsamen Höhe einen feind-
lichen Flieger mit offenbar ähnlichen Plänen ent-
deckte, geriet ein Fluch von solcher Länge und
Kraft, daß Sankt Petrus, der gerade wegen an-
dauernder Trockenheit die Geheimakte der Entente
zehnmal abschreiben mußte, in seinem Entsetzen
derart Wasser ließ, daß die Wüste Sahara zur
Unterdrückung des maritimen Entente-Schleich-
handels als Sperrgebiet der Mittelmächte erklärt
werden mußte."

Da schwiegen die Honoratioren erschrocken still.
Das war zu viel des Guten. «pl»«

Der große Hut

Lin Lhe-vialog

(Zur Zeichnung von 8erd. St arger auf S. öir)

„du gönnst mir also dieses Hütchen nicht,
vu Rabengatte, kaltes Ungeheuer l!"

„Rein, erstens steht's dir scheußlich zu

Gesicht,

Dies Monstrum - zweitens ist es mir

zu teuer!"

„Zu teuer! pful, Vu Geizhals! Vas

ist stark -

Ver Hut ist halb geschenkt. .

„Vu meine Güte!
„Geschenkt — ein Hut um rund

dreihundert Mark —
Vasür bekommt man ein halb Vuhend Hüte!"

„Ls lst mein dritter Hut seit Januar —
8ür eine 8rau von Welt wahrhastig
kläglich

„5ch trag' den meinen schon im dritten Jahr
Und glaube, immer sei er noch erträglich."

„D blut'ger Hohn! An jedes Wort von Vir
äst Gist und Volch, mich grausam zu

verletzen . .

oio
Register
Theo Waidenschlager: Der Herr Metzgermeister
Rudolf T. Spitz: Die Kraft der Flüche
Fritz Frh. v. Ostini: Der große Hut
 
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