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Loisach-Tal Clir. Bärmann

Der Sternfahrer

(Großer Bär)

Ich fahr’ mit sieben Sternen —

Es blitzt von Grad zu Grad
Mein Wagen durch die Fernen
Mit Deichsel und mit Rad.

Ich glaub', ich komm' aus Weiten,
Wo Tod und Leben kreist.

Ich glaub', ich hab’ vor Zeiten
Gewußt, was beides heißt.

Ich spiel mit meinen Händen,

Ich heb' sie vors Gesicht,

Da blühet allerenden
Ein weißes Spitzenlicht,

Vor mir ein gläsern Klingen
Wie Eisgeklirr im Strom:

Die Deichselsterne singen
Hoch im kristallnen Dom.

Und was vorheigetragen
Mir naht, ist glanzverklärt.

Doch kühl wie Du, mein Wagen.
Und ich, der auf Dir fährt.

Carl Busse

Oer Richter

Mein Freund, der Dichter, erzählte gern aus
der Zeit seiner Advokatur, und so gab er uns
diese Geschichte zum besten.

Ich war einmal auf meiner Wanderpraxis
in Platzenbrug, einem verlassenen Nest im Ge-
birge. die aussichtsloseste Causa eines hartschäd-
ligen Klienten zu vertreten. Der Gegner hatte
seltsamerweise auch einen Rechtsanwalt aus der
Hauptstadt beigezogen, der dem Richter, vor dem
wir verhandelten, arg zusetzte. Zch zog es vor,
meiner Sache durch liebenswürdiges Lächeln und
freundliche Bemerkungen ein wenig aufzuhelfen,
da mir nicht entgangen war, daß der Richter, dessen
Art, die Verhandlung zu leiten, recht sonderbar
anmutete, den gewissen menschlichen Mätzchen zur
Gewinnung der Benevolenz zugänglich zu sein
schien. Je mehr ich in der Gunst des Gerichtes
stieg, desto lauter geberdete sich der Gegner, desto
mehr ereiferte sich sein Vertreter, was mich wunderte,
weil ich ihre Sache als todsicher betrachtete. Aber
Prozeß ist Prozeß — die Hoffnung allein hilft
manchen gewinnen — so sah ich denn mit schier
leidenschaftlicher Neugier dem Spruch des Richters
entgegen. Allerdings dauerte es noch lange, zu
lang bis wir so weit waren, daß nach der Prozeß-
ordnung Schluß gemacht werden mußte. Seliwer
genug fiel es dem seltsamen Bezirksrichter, anzu-
deuten, daß er zum Urteilschöpfen schreite. Er wand
fid) hin und her, zupfte an seinem Talar nervös,
räusperte sich, schielte hilflos nach meinem freund-
lichen, fast süß gewordenen ©cfidjt, wechselte die
Farbe, die bald den käsegrauen Akten bald der
purpurroten Kravatte glich, die aus dem dunkeln
Talar hervorlugte. Endlich half ich ihm aus der
Rot, indem ich mit schmeichelnder Stimme be-
merkte: „Lieber Herr Kollega, wir können warten
— der Herr Bczirksrichter will vor der Urteils-
fällung gewiß in der Sammlung der Entscheidungen
Nachsehen."

„Za, ich will mich — zurückziehen," hauchte
erleichtert der Richter und erhob sich mit dem Akt

unterm Arm. Dabei suchten aber seine Blicke
nicine und zwangen mich geradezu, ihm zu helfen.
Rur wußte ich nicht, wie. Indessen war sowohl
der Gegner als dessen Vertreter auf den Gang
getreten, wo sie noch lauter disputierten.

„Ich habe heute keinen Schriftführer," sagte
der Richter wie verzweifelt und zögerte eine Weile
vor der Tür zu dem sogenannten Beratungs-
zimmer, die er schon halb geöffnet hatte. Es war
ein schmaler tiefer Raum, eher einem Korridor
als einer Stube ähnlich. War's seine Kanzlei?
War's seine Wohnung?

„Folgen Sie mir. . ." hörte ich ihn flüstern.
Befangener als er, halb wie im Traum, tat ich
es. Geschah es aus Neugier oder aus dem Be-
streben, ihm gefällig zu sein? Kurz, ich befand
mich auf einem Gang und bald hinter einer Tür
in einem Raum, der verteufelt an ein Schlafzimmer
mahnte. Was soll das heißen? Nicht viel Zeit
zum Nachdenken ward mir da gelassen, aus einem
Staunen fiel id) ins andre, denn wir waren nicht
allein. Eine stattliche Frau, die scheinbar an der
Türe gehorcht und gelauert hatte, führte den Richter
wie einen Kranken an ein Sofa, nahm ihm die
Akten weg und überreichte sie mir mit den Worten:
„Seien Sie so gut und schreiben Sie das Urteil."

Als ich einen Einwand wagte, fiel der arme
Mann, der mich sehr dauerte, hintenüber, zitterte,
schüttelte sic>> und schluchzte. Seine Frau warf
mir einen flehenden Blick zu. Während sie ihn
labte und beruhigte, setzte ich mich an den Tisch,
wo bereits Tinte und Feder, Papier und Gesetz-
bücher harrten, um wie ein willenloses Werkzeug
zu arbeiten. Allein meine Hände zitterten sehr.

„Beeilen Sie sich," mahnte die Frau, deren
strenge Züge mich einschüchterten, „schreiben Sie —
sonst wird der Gegner ungeduldig. Er darf Sie
hier nicht vermuten. Schreiben Sie."

„Was soll ich schreiben?" stammelte ich und
schämte mich zugleich wegen meiner Verzagtheit.
„Bitte .... zu diktieren", fügte ich leise bei, zu
dem liegenden Richter gewendet.

„Sie sind doch Jurist," sagte sie scharf.

„Aber parteiisch," entgegnete ich mutiger.

„Seien Sie es eben nicht."

„Soll id) etwa meinen Gegner gewinnen lassen?
So geben Sie mir doch ein paar Anhaltspunkte
— Herr Bczirksrichter," flehte ich.

„Sehen Sic denn nicht, daß er nach seinem
Anfall in Sel>laf versunken daliegt? So muß er
noch ein Weilchen verharren. Indessen können
Sie fertig werden. Also!"

Derart angetrieben, fing ich an zu schreiben.
Plötzlich fuhr ich empor. „Bin ich denn wahn-
sinnig," rief ich, „muß denn just geschrieben werden?
Das Urteil soll doch mündlich verkündet werden."

„Freilich," stimmte sie mir zu, „das wissen wir
ja, mein Mann wird es ja auch tun, aber er
trifft’© nicht, wenn man's ihm nicht aufgeschrieben
hat. Kurz und bündig. Vergessen Sie aber nicht
die Begründung!"

„Bitte sehr," sagte ich lächelnd, und schrieb nach
kurzem inneren Kampfe ein Urteil — gegen mich
selbst. Was sollte mir auch ein Erfolg, den mein
Gegner in der zweiten Instanz zu leicht in eine

empfindliche Niederlage hätte »mwandcln
lassen können?

„Vorzüglich," murmelte die Frau, als ich
ihr mit ein paar Erläuterungen das Urteil
reichte. „Ich danke Ihnen. Nun müssen Sie
gehen!"

„Bevor ich gehe, inöchte ich mir eine
Frage erlauben . .."

Sie ließ mich nid)t ausreden. „Sie wollen
wissen, was mit meinem Mann ist. Da Sie
mir ein Ehrenmann zu sein scheinen, dem
ich Diskretion zutraue, so will ich's Ihnen
sagen. Seit ein paar Wochen steht es mit
ihm traurig. Irl, selbst weiß mir keinen
Rat. Einen Arzt haben wir hier nicht, dem
wir Vertrauen entgegenbringen. Wir warten
— vielleicht bessert sich der Zustand — viel-
leicht fahren wir in ein paar Tagen in die
Hauptstadt. Hier fürchten wir die Tratsch-
mäuler. Noch ahnt man nicht alles. Man
darf's auch nicht. Was soll ich dann machen,
wenn man ihn absctzt, oder in ein Krankenhaus
steckt oder gar — ? Sonst ist er ja normal und will
mit Gewalt den Schein wahren. Er kennt ja seine
Verfassung. Nähme man ihm die Möglichkeit, sein
Amt zu versehen, so würde er ganz in den Abgrund
versinken. Darum bin ich auf die Idee verfallen
— ihm die Urteile von lieben und verschwiegenen
freundlichen Advokaten vorschreiben zu lassen.
Aber wieviele solche gibt es? Zum Glück wird
hier gewöhnlich ohne Advokaten verhandelt. Vor
Laien bewahrt er eher seine Geistesgegenwart.
Nur vor Euch Juristen wird er ängstlich, verzagt
und dann bekommt er den Anfall, besonders
wenn einer so laut geschrieen hat, wie Ihr Gegner.
Oh diese Advokaten! Die haben meinem armen
Mann das Leben sauer gemacht."

„Ich bin ja auch einer," sagte ich ernst und
entfernte mich wie einer der träumt. —

M. Schetlag

Schutzengel-Ersatz

Es war eben noch immer Krieg und Gott war
nun auch genötigt infolge der Unabkömmlichkeit
vieler Schutzengel seine jüngsten Jahrgänge heraus-
zuziehen. Aus diesem Grunde bekam die kleine
Bila einen ganz jungen und unerfahrenen aber
äußerst bereitwilligen Schutzengel. Dieser war
eigentlich noch eine Art Pfadfinder oder Iugend-
wehrmann unter den Schutzengeln, mit einem Wort
ein Schutzengel-Ersatz, der bei Bila Wache halten
mußte.

Natürlich langweilte sich der Neuling schon
nach den ersten paar Minuten. Das Kind schlief
— das Zimmer war, wie viele Kinderzimmer, in
Berlin W. An den Wänden hing kunstgewerb-
licher Tand und auf einer hohen weißen Kommode
saß ein Teddy-Bär, der mit einem Pierrot von
Hassal fachsimpelte. Ein paar späte Sommer-
fliegen surrten gcmädjlid) hin und her.

Erst unterhielt sich der Engel damit, diese
durch sich durch fliegen zu lassen und freute fid),
daß die unschuldigen Tiere davon nichts merkten,
aber später gingen die Fliegen schlafen und auch
dieser Zeitvertreib mußte aufhören.

Was nun? dachte der junge Engel und betrach-
tete nochmals das schlafende Kind, den deutschen
Wandschmuck, den sinnenden Teddy-Bären. —
Halt I Da war ja auch ein Vogelkäfig und darin
schlief ein für den morgigen Geburtstag bestimmter
Wellensittich mit grünen getigerten Flügeln; das
brachte ihn auf eine Idee.

„Ich werde dem Kind im Traum erscheinen!"
Und damit die Sache nicht zu gewöhnlich sei,
wühlte er als Erscheinungsform ein modernes
Puppengesicht, ein blitzblaues Kleid und riesige,
getigerte Wellensittichflügel. Der Engel wußte,
daß es üblich sei solche Erscheinungen entweder
mit Prophezeiungen oder mit Wunsch-Erfüllungen
zu begleiten und so sagte er (natürlich mit „silber-
ner Stimme"): „Oh Bila! Wenn Du einen Wunsch
hast, so werde ich ihn Dir erfüllen."

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Register
Christian Bärmann: Loisach-Tal
J. Frh. v. Bubna-Littitz: Schutzengel-Ersatz
Carl Busse: Der Sternfahrer
Marek Scherlag: Der Richter
 
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