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Nacht in Sevilla

Jos. Wackerle (Berlin)

Hanf und dem letzteren zu wenig Schlüge gab
und wurde selbst von einem Schmetterling schlimm-
ster Sorte eingefangen, der sich später als der
böseste Einbrecher in unser Familienglück ent-
puppte. Es machte sich eben der väterliche Ein-
fluh im Geblüte des verlassenen Onkels wieder
deltend, da er nicht mehr im Schohe unserer
gllein seligmachenden Familie geborgen war und
aen ethischen Stützpunkt Tante Katharinens ver-
loren hatte.

Es war deshalb dem Ewig-Wciblichen eil
Leichtes, ihn zu umgarnen, und das kam so
wie das immer kommt.

Eines Tages ging Onkel Vinzenz so mi
nichts dir nichts auf der Straße, um nichts z>
suchen, dahin, da bemerkte er im Verborgene)
eine Damcnhandtasche und fand zehn Schritte da
rauf die dazu gehörende Besitzerin. Es war ein
Dame vom Theater. OI — Und noch dazu am
einer mehr als zweifelhaften Familie, da sie voi
ihrer kleinen Gage nicht nur die sogenannte Mama
sondern nur!) noch einen verkrüppelten verkomme
nen Bruder unterstützen muhte, der mit sozial
l>,rischen Gedichten die Welt verbessern wollte

Da nun Onkel Vinzenz von Mama. Pape
Tante Knthrma und allen Heiligen verlassen wa>
gelang cs dieser Person, den gutmütigen Hngestol
kraft seiner Unerfahrenheit und der gewissen bc
kannten Theatcrrcquisitcn, als da sind ein auf
dringliches Parfün). durll,brochcnc Strümpfe un
andere zu diesem Beruf gehörende sattsam bc
kannte Entkleidungsstücke, ins Garn, das i,
diesem Falle natürlich aus Seide gesponnen wa,
zu locken. Die gewissenlose Mamsell verstand e
wunderbar Onkel Vinzenz in seiner innere,
Einsamkeit und Verlassenheit zu betören, inder
sie sogar ein Interesse für die Lcdcrbranche a,
den Tag legte und den armen Pippi wie ein
barmherzige Samariterin von seinem chronische,
Pips befreite. Wie raffiniert sie bet der Ein
fangung ihres „Krenn", wie cs im Theaterjargo
heißt, vorging, erhellt auch daraus, daß sic abso
lut, aus sogenannten Grundsätzen, hm, hm. kein
Geschenke, die doch überall die Freundschaft er
Hallen, annahm, daß sie nie ohne ihre Mam
ausging und fid) ganz einfach und unauffallt

kleidete, mithin eine Anständigkeit vortäuschte,
die in ihren Kreisen sonst nicht zu finden war.
Auch erzählte sie dem Betörten von einem trau-
rigen Roman ihrer Fugend, in dem verfolgte Un-
schuld, flammende Herzensnot und hehre Kindes-
aufopferung sich zu einer Gloriole für das arme
Mädchen vereinigten und sie wußte das alles
so schlicht und rührend vorzubringen, daß Onkel
ganz nach ihren sonstigen Skandalgeschichten nach-
zufragen vergaß. Kurz und gut, der heilige Vin-
zenz seufzte bald ganz im Banne dieser Ver-
führerin und benachrichtigte uns schonungslos in
einem Briefe von seiner bevorstehenden Verlobung
mit der erwähnten Bühnenfee.

Infolge des schlechten Sommerwetters beschlossen
wir Onkel Vinzenz zuliebe sogleich heimzureisen,
um ihn von diesem für uns so folgenschweren
Schritte mit allen Mitteln zurückzuhalten.

Mit der zartesten Schonung und innigsten
Anteilnahme wollten wir dem armen Verblendeten
die Augen öffnen und ihn in den Abgrund blicken
lassen, der ihn zu verschlingen drohte. Wir wußten,
Onkel würde uns dafür noch in ben spätesten
Zeiten segnen.

Man kam an, umarmte Onkclrl>en, fand ihn
blühend aussehend und sogar Tante Katharina
schwang sich zl> einem sauren Kuß auf, obwohl
sie voll Bitterkeit gegen ihn war.

Dann lenkte man das Gespräch im allgemeinen
vom Wetter auf das Theater, bedauerte den sitt-
lichen Tiefstand dieser als moralische Anstalt ge-
dachten Lasterstälte, flod)t gar geschickt den neuesten
Theater - Direktoren - Pascha - Prozeß ein und
beschwor eine dem Milieu feindliche Stimmung
herauf, der sich im gewissen Sinne auch Onkel
Vinzenz nicht entziehen konnte. Dann kam man
auf den speziellen Fall zu sprechen und fteute
sich aufrichtig, daß Onkel auf seine alten Tage
noch die Absicht habe, eine Familie zu gründen.
Mit einem abschließenden Urteil über die soge-
nannte Braut hielt man noch zurück, da man
ja noch gar nicht das Vergnügen hatte, die Dame
zu kennen. Nur arithmetisch beleuchtete man das
Verhältnis ein bißchen, indem man Onkel Vin-
zenz an den Fingern herzühlen konnte, wieviel
glückliche Theatcrehcn auf den Kopf der Bevöl-

kerung kämen, und daß ein Mädd>en, das einen
beinahe doppelt so alten Mann heirate, immerhin
ein berechnendes Fraucnzitumer sein müsse. So
schlug man in Onkel Vinzenz' erste Liebe mit
zarter Hand die erste Bresche. Dann rückte man
mit der väterlichen Güte, die von der mütterlichen
wacker unterstützt wurde, heraus, räumte dem Zcr-
knirschten das frijönc Fremdenzimmer neben den)
Salon ein und kochte alles, selbst die Zwiebelsauce,
ohne Zwiebel und behandelte de)) guten Onkel
mit einer Geduld und Güte, die er sich wohl nie
im Leben erträumt hätte.

„Junge, Junge!" rief oft Papa, „Du hast gar
üblen Geschmack, aber Dir stehen doch die ersten
Häuser in der Stadt offen, Du kannst unter den
hübschesten und reichsten Mädchen wählen, ganz
nach Deine») Herzen, warum willst Du Dich nun
an so ein Frauenzimmer hängen, die Dich doch
nur an der Nase herumführt?"

„Vinzenz, Vinzenz!" sprach Mama, „wenn
das Deine gute Mutter wüßte, die hat auch das
Theater unglücklich gemacht. Ach Gott, ach Gott,
daß immer gerade die besten Männer an solche
Geschöpfe kommen!"

„Uno überhaupt ein Mädchen, das sich vor
Augen eines Mannes schamlos mit dem Pips
beschäftigt!" warf Tante Katharina dazwischen
und schämte fid) ehrlich für die Verworfene.

Onkel Vinzenz sprach zu den) kein Wort.
Er ließ seinem geheimen Groll erst dort freien
Lauf, wo das Objekt aller dieser Anfeindungen
mit blauen Unschuldsaugen im raffinierten Wirt-
schaftskleide seiner harrte, bei ihr, die mit Be-
fremdung und gut geheucheltem Schmerz die Ver-
änderung seiner Gefühle feststellte. Man steckte
sich hinter die Mama der jungen Schauspielerin,
die aber warf Tante Katharina hinaus, Tante
rächte fid) wieder, indem sie durch die Stimme des
Intendanten in den Theaterdirektor drang, die
unverschämte Person in der nächsten Saison nicht
mehr zu engagieren, was mit Rücksicht darauf,
daß das Mädel sich in vielen Punkten ohnehin
diesen beiden Herrn widcrsetzt hatte, sofort gelang.

Wer mit Schmutz umgeht, besudelt sich.

So »rußte Tunte außerdem noch erfahren, daß
ein geheimnisvoller Kusin im Hause der Schau-

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Joseph Wackerle: Nacht in Sevilla
 
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