Ferd Alb. Burger (Berlin)
Der Blümchen-Maler
„Mit der Schablone geht's doch fixer, jeden Tag bring' ich e ganze Kollektiv-Ausstellung fertig;"
spielerin verkehre, außerdem noch ein Maler und
zwei Leutnants, wenigstens i>» Laden der Greiß-
lerin hätte sie das mit eigenen Ohren gehört, von
wem, wisse sie nicht mehr, denn sie hätte sich ge-
schämt, hinzusehen. Auch ging im Volksmuud
ein Gerücht, das man aber gar nicht nacherzählen
könne, da man niemand Unrecht tun wolle, ob-
wohl des Volkes Stimme eigentlich Gottes Stimme
sei. Der arme Onkel stand da wie vor den Kopf
geschlagen und verlor noch ganz die Fassung, als
Franzi, so hieß die Kanaille, plötzlich von Moses
Schmul unter glänzenden Bedingungen telegra-
phisch in ein anderes Engagement abberufen wurde.
Als ihre „Mama" knapp vor der Abreise auf
einer strikten Erklärung seinerseits bestand, führte
ein guter Engel im letzten Augenblick noch zu-
fällig Mama, die auf diesen Augenblick gelauert
hatte, herbei, uni den guten Onkel aus den Armen
dieser Circe zu retten, indem sie einfach Onkel
nicht zu Wort kommen ließ, dafür aber den beiden
Frauenzimmern dasselbe resolut abschnitt.
Daraufhin folgten einige bricflici)e Verständi-
gungsaktionen, von denen einige, wie es sich erst
später herausstellte, ganz in Gedanken in der
Scl>ürzentasche Tante Katharinens vergessen wur-
den, und zum Schluß, ja, da kam der Brief,
wegen dem Mama zweimal zum Advokaten laufen
mußte. In diesem Briefe stand kurz und bündig,
Onkel Vinzenz solle sich entscheiden: entweder die
Affcnbande — oder sie! Mit der Affenbande aber
waren wir gemeint. Die ganze Familie. Da
weinte die Mama, Tante Katharina schluchzte,
daß sie sich auf ihre alten Tage noch so etwas
gefallen lassen müsse, und noch dazu von so wem,
Papa brummte, das habe man von seiner Gast-
freundschaft und er streifte das traurige Kapitel
von der Fallkraft, das immer wieder beweise, daß
der Apfel nicht weit vom Stamme falle, die Kinder
baten Onkel heulend um Verzeihung, daß sie auf
der Welt waren, und Pcpi verkroch sich unterm
Bett mit dem Kanarienvogel im Maul. Diese
herzzerbrechende Tragödie hatte Onkel ganz allein
durch seine Rücksichtslosigkeit heraufbeschworen.
Da ermannte er sich, ging leichenblaß in sein
Zimmer und schrieb einen Absagebrief, klar, scharf
und ohne Umschreibung, worin er bekannt gab,
wer die eigene Familie nicht ehre, sei selber kei-
ner wert.
Die Dame vom Theater verwertete das natür-
lich sofort als Reklame und vergiftete sich mit
Veronal, kam aber bezeichnender Weise nüt dem
Leben davon. Sechs Monate darauf heiratete
diese schamlose Person den nächstbesten Grafen.
Anstatt daß nun Onkel Vinzenz sich ins Fäust-
chen gelacht hätte, daß er sie so bequem losbe-
kommen, pflegte er wie eine zigeunernde Leiche
herumzugehen. Er zog sich, nachdem wir ihm
wieder pietätvoll sein altes Zimmerchen zur Ver-
fügung gestellt hatten, ganz dorthin zurück, und
lebte wie der heilige Vinzenz in seiner Klause.
Sogar Zwiebelgekochtes aß er jetzt und in Ge-
danken sogar die rote Wachsrosc auf der Namcns-
tagstorte. Es wurde damals viel zu Haufe da-
von gesprochen, was aus Onkels vielem Geld
werden sollte, wenn er sich vielleicht ein Leid an-
tun wollte. Er hatte immer auf dem Nachttisch
einen geladenen Revolver liegen, den man ihm
nicht wegnehmen wollte, da er ein Andenken an
einen entfernten Bekannten seines verschollenen
Vaters war. Wenn der Mond auf die Dächer
sil)ien, wurde Onkel kortissimo musikalisch und
lebte in dem Wahn, daß er den einzigen Menschen,
der es ehrlich mit ihm meinte, verstoßen und sein
Glück mit Füßen getreten habe. Tante Katharina
gab ihm dann jedesmal einen Löffel Kindermeth.
Die Dame vom Theater fdjricb keine Zeile mehr.
Hätte sie wirklich ein Herz besessen, hätte sie das
nicht über dasselbe gebracht. Wahre Liebe ver-
zeiht alles. Aber Komödianten spielen ja nur.
So kam es, wie cs Tante Katharina voraus-
gesagt hatte. Der Zahn der Zeit heilte alle Wun-
den. Nach und nach wurde Onkel ruhiger. Er
widmete sich wieder ganz der Lcderbranche und
wurde ein kleiner Millionär. Er baute sich eine
prachtvolle Sommervilla, damit er in der heißen
Jahreszeit nicht mehr mit dem Pepi ganz allein
zu Hause bleiben mußte, sondern mit uns konnte,
und schaffte sich ein Auto an, um das ihn eine
wirkliche Prinzessin und keine vom Theater be-
neiden hätte können. Allmählich erkannte er wohl
selbst den Abgrund, in den er im Begriff war
hinabzustürzen, vor welchem Verhängnis ihn nie-
mand anderer bewahrt hatte, als wir, die Familie.
rind es kamen wieder Stunden ungetrübten
Glücks für ihn. Wir kauften ihm eine neue
Wachsrose, doppelt so groß wie die erste, er
blätterte galant der lieben Else die Noten um,
wenn sie das hoffnungslose Gebet einer Jungfrau
spielte und als Tante Katharina ihn am Sterbe-
bett mit einem letzten Versöhnungskuß uns als
Vermächtnis hinterlassen hatte, ging er wieder
ganz in der Familie auf.
Freilich ganz das alte ungetrübte Verhältnis
zwischen ihm und uns konnte nicht mehr voll-
kommen gefunden werden. Er wurde doch etwas
kühler behandelt. Die „Affenbande" hatte die
Bande der Familie doch etwas gelockert.
Auch hatte man hie und da das Gefühl, daß
ein letztes verstecktes Plätzchen in Onkels Herz
doch nicht uns allein gehörte.
Wenn nur aber sonst alles uns verblieb.
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Der Blümchen-Maler
„Mit der Schablone geht's doch fixer, jeden Tag bring' ich e ganze Kollektiv-Ausstellung fertig;"
spielerin verkehre, außerdem noch ein Maler und
zwei Leutnants, wenigstens i>» Laden der Greiß-
lerin hätte sie das mit eigenen Ohren gehört, von
wem, wisse sie nicht mehr, denn sie hätte sich ge-
schämt, hinzusehen. Auch ging im Volksmuud
ein Gerücht, das man aber gar nicht nacherzählen
könne, da man niemand Unrecht tun wolle, ob-
wohl des Volkes Stimme eigentlich Gottes Stimme
sei. Der arme Onkel stand da wie vor den Kopf
geschlagen und verlor noch ganz die Fassung, als
Franzi, so hieß die Kanaille, plötzlich von Moses
Schmul unter glänzenden Bedingungen telegra-
phisch in ein anderes Engagement abberufen wurde.
Als ihre „Mama" knapp vor der Abreise auf
einer strikten Erklärung seinerseits bestand, führte
ein guter Engel im letzten Augenblick noch zu-
fällig Mama, die auf diesen Augenblick gelauert
hatte, herbei, uni den guten Onkel aus den Armen
dieser Circe zu retten, indem sie einfach Onkel
nicht zu Wort kommen ließ, dafür aber den beiden
Frauenzimmern dasselbe resolut abschnitt.
Daraufhin folgten einige bricflici)e Verständi-
gungsaktionen, von denen einige, wie es sich erst
später herausstellte, ganz in Gedanken in der
Scl>ürzentasche Tante Katharinens vergessen wur-
den, und zum Schluß, ja, da kam der Brief,
wegen dem Mama zweimal zum Advokaten laufen
mußte. In diesem Briefe stand kurz und bündig,
Onkel Vinzenz solle sich entscheiden: entweder die
Affcnbande — oder sie! Mit der Affenbande aber
waren wir gemeint. Die ganze Familie. Da
weinte die Mama, Tante Katharina schluchzte,
daß sie sich auf ihre alten Tage noch so etwas
gefallen lassen müsse, und noch dazu von so wem,
Papa brummte, das habe man von seiner Gast-
freundschaft und er streifte das traurige Kapitel
von der Fallkraft, das immer wieder beweise, daß
der Apfel nicht weit vom Stamme falle, die Kinder
baten Onkel heulend um Verzeihung, daß sie auf
der Welt waren, und Pcpi verkroch sich unterm
Bett mit dem Kanarienvogel im Maul. Diese
herzzerbrechende Tragödie hatte Onkel ganz allein
durch seine Rücksichtslosigkeit heraufbeschworen.
Da ermannte er sich, ging leichenblaß in sein
Zimmer und schrieb einen Absagebrief, klar, scharf
und ohne Umschreibung, worin er bekannt gab,
wer die eigene Familie nicht ehre, sei selber kei-
ner wert.
Die Dame vom Theater verwertete das natür-
lich sofort als Reklame und vergiftete sich mit
Veronal, kam aber bezeichnender Weise nüt dem
Leben davon. Sechs Monate darauf heiratete
diese schamlose Person den nächstbesten Grafen.
Anstatt daß nun Onkel Vinzenz sich ins Fäust-
chen gelacht hätte, daß er sie so bequem losbe-
kommen, pflegte er wie eine zigeunernde Leiche
herumzugehen. Er zog sich, nachdem wir ihm
wieder pietätvoll sein altes Zimmerchen zur Ver-
fügung gestellt hatten, ganz dorthin zurück, und
lebte wie der heilige Vinzenz in seiner Klause.
Sogar Zwiebelgekochtes aß er jetzt und in Ge-
danken sogar die rote Wachsrosc auf der Namcns-
tagstorte. Es wurde damals viel zu Haufe da-
von gesprochen, was aus Onkels vielem Geld
werden sollte, wenn er sich vielleicht ein Leid an-
tun wollte. Er hatte immer auf dem Nachttisch
einen geladenen Revolver liegen, den man ihm
nicht wegnehmen wollte, da er ein Andenken an
einen entfernten Bekannten seines verschollenen
Vaters war. Wenn der Mond auf die Dächer
sil)ien, wurde Onkel kortissimo musikalisch und
lebte in dem Wahn, daß er den einzigen Menschen,
der es ehrlich mit ihm meinte, verstoßen und sein
Glück mit Füßen getreten habe. Tante Katharina
gab ihm dann jedesmal einen Löffel Kindermeth.
Die Dame vom Theater fdjricb keine Zeile mehr.
Hätte sie wirklich ein Herz besessen, hätte sie das
nicht über dasselbe gebracht. Wahre Liebe ver-
zeiht alles. Aber Komödianten spielen ja nur.
So kam es, wie cs Tante Katharina voraus-
gesagt hatte. Der Zahn der Zeit heilte alle Wun-
den. Nach und nach wurde Onkel ruhiger. Er
widmete sich wieder ganz der Lcderbranche und
wurde ein kleiner Millionär. Er baute sich eine
prachtvolle Sommervilla, damit er in der heißen
Jahreszeit nicht mehr mit dem Pepi ganz allein
zu Hause bleiben mußte, sondern mit uns konnte,
und schaffte sich ein Auto an, um das ihn eine
wirkliche Prinzessin und keine vom Theater be-
neiden hätte können. Allmählich erkannte er wohl
selbst den Abgrund, in den er im Begriff war
hinabzustürzen, vor welchem Verhängnis ihn nie-
mand anderer bewahrt hatte, als wir, die Familie.
rind es kamen wieder Stunden ungetrübten
Glücks für ihn. Wir kauften ihm eine neue
Wachsrose, doppelt so groß wie die erste, er
blätterte galant der lieben Else die Noten um,
wenn sie das hoffnungslose Gebet einer Jungfrau
spielte und als Tante Katharina ihn am Sterbe-
bett mit einem letzten Versöhnungskuß uns als
Vermächtnis hinterlassen hatte, ging er wieder
ganz in der Familie auf.
Freilich ganz das alte ungetrübte Verhältnis
zwischen ihm und uns konnte nicht mehr voll-
kommen gefunden werden. Er wurde doch etwas
kühler behandelt. Die „Affenbande" hatte die
Bande der Familie doch etwas gelockert.
Auch hatte man hie und da das Gefühl, daß
ein letztes verstecktes Plätzchen in Onkels Herz
doch nicht uns allein gehörte.
Wenn nur aber sonst alles uns verblieb.
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