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Glockenopfer

Auf einem Bahnhofe im Vorüberwchn
Sah ich Rirchenglocken im Sande stehn.

Große, kleine, — alle in Reih und Glied
wie einen Zug Soldaten, der in die Ferne zieht.
Grau, unscheinbar, standen sic, matten Blicks,
Stumme Tiere, harrend ihres Geschicks.
Morgen werden sie.irgendwohin gesandt,

Gegen welch en Feind 7 In welches fremde Land 7
... Gestern »och im Dorfe dröhnte

ihr Stimmenschall,
Morgen sind sic nichts mehr als Ranonenmctall.
Einmalstoßen vielleicht noch ihre schweren Zungen
wilde Schreie aus, wie sie im Dorf erklungen,
Dann in Frankreich, Rußland oder der tiefen Sec
Liegen sie verschollen, — niemand hört

und sieht sie je...

Nur daheim, in ihren Dörfern, werden,
wenn mittäglicher Rauch auf kräuselt

von den Herden

Oder Abendbeten den müden Tag begräbt
Oder Sonntagsfricde über die Felder schwebt,
— In der Brüder engversammeltcn Reihn
Ihre laut mitredendc» Stimmen nicht mehr sein.
Vliemand hört und sieht sie.

Doch ihr Schweigen tönt
Tiefer als vorher ihr Reden gedröhnt.

Noch Jahrhunderte lang wird landaus, landein
Solch ein Singen von toten Glocken sein.

A 1>© Kora

*

Aus dem Spruchschah eines Hamsterers

Geh' aufs Land und nähr' Dich unredlich!

Hamstre in der Zeit, so hast Du in der Not!

Wer unter Euch ohne Kalkeier ist,

Der werfe den ersten Stein auf mich!

Bayrisches Malz,

Wer erhalt's? ?

Kleine Fleischkarten verdorben gute Sitten.

Hat man wo was mitgenommen,

Mus; man iticht gleich wiederkommen.

Zm Hinterstübchen iß! Laß es nicht sehn:
Das ist die Art, mit Haxen umzugehn!

Was man nicht in den Scheinen hat, muß man
im Rucksack tragen.

Es ist eine der größten Himmelsgaben,

Ein Dienstmädchen vom Land zu haben.

Einer gehamsterten Speis'

Guckt man nicht auf den Preis!

Wenn sich die Bäurin auch absurd gebärdet, cs
gibt zuletzt doch noch ein Ei!

Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht —
und die Ware vor lauter Höchstpreisen.

Das ist im Leben häßlich eingerichtet,

Daß bei dem Bahnsteig die Gendarmen stehn ...

Kartellen

perlicke - perlacke

Montag: Kerenskij liegt an einer Nieren-
entzündung schwer darnieder. An seinem Auf-
kommen wird gezweifelt.

Dienstag: Kerenskij ist an die Front ab-
gereist.

Mittwoch: Kerenskij liegt im Sterben. Er
hat bereits sein Testament diktiert. Es erscheint
demnächst in Buchform in allen Ententesprachen.

Donnerstag: Kerenskij ist an der Slld-
westfront eingetroffen und verfolgte von Höhe 1717
aus die Bewegungen der Truppen. Seine an-
feuernden Reden begeisterten sie so, daß einzelne
Soldaten ihre Flinten wieder aus dem Korn
nahmen, in das sie sie bereits geworfen hatten.

Freitag: Kerenskij ist von einem maxima-
listischen Soldaten erschossen worden.

Samstag: Kerenskij ist wieder in Peters-
burg eingetroffen. Er erließ sofort einen gehar-
nischten Armcebcfeht wider alle Truppenteile, die
dem deutschen Durchbruch nicht genügend Wider-
stand entgegengesetzt haben. Die ganze 7. und
11. Armee wurde — soweit noch vorhanden —
aus den Heereslisten gestrichen. (Wie wir erfahren,
wird sie jetzt in den deutsche» und österreichischen
Gefangenenlisten weitergeführt). Ebenso ließ
er Kronstadt und die ganze Ukraine aus den
Atlanten streichen.

Sonntag: Morgen findet die Leichenfeier
für Kerenskij statt. Es werden Unruhen erwartet.

Montag: Kerenskij hat Kosaken nach Peters-
burg kommen lassen, um die Ruhe bei seiner
Leichenfeier aufrechtzuerhalten. Er befahl alle
Ruhestörer zu verhaften und nach Sibirien zu
schicken.

Dienstag: Kerenskijs Leiche soll wieder
exhumiert werden, da es sich herausgestcllt hat,
daß Kerenskij niemand anders war als der an-
geblich verschwundene Großfürst Nikolai Nikolni-
jewitsch...et cetera in intlnitum...

Liebe Lugend!

Unsere brave Feldartillerie hat uns Infante-
risten schon aus mancher patsche geholfen und
mir halten große Stücke auf sie. Aber bei dein
langen Einsatz in lebhafter Gegend haben die Ge-
schützrohre mit der Zeit sehr gelitten und können
nicht so rasch ausgewechselt werden. Daher häufig
Kurzschüsse, die sich bis in unser Drahthindernis
der vorderen Linie verirren.

Kürzlich haben wir einige Artilleristen als Gäste
in nnserm Ruhequartier.

Ein vorwitziger Leutnant von uns trinkt einem
Gast zu mit den Worten: „Zum Wohl, Regiment
.Kaiser'!"

„wieso .Kaiser'?" fragt dieser.

„Na, Ihr kennt doch auch keine Parteien mehr!"
*

Eine verwöhnte Dame möchte wieder einmal
ins Bad reisen und bittet ihren ljansarzt um einen
Empfehlnngsbrief an den Badearzt. Dieser gibt
ihr das gewünschte Schreiben versiegelt mit. Neu-
gierig öffnet die Dame den Brief und liest mit
empörtem Gesicht: „Anbei, eine goldene Gans, ich
habe sie gerupft, rupfen Sie weiter!"

A. Sclimidhainmer

England, der ^Zeschießer der kleinen
Staaten

— „Halt, Herr Kapitän! Das ist ja hol-
ländisckcs Gewässer!"

— „So, so! Ich dachte, es wäre norwe-
gisches!"

Der Gefangene fang

Lin Krlegsgcfangncr, braun, vor gelbem Feld,

Sn das er VIttzcnd eine Sense schwang,

Anyuv zu Schlvadcnfatt und Senscnklang
Ein Lied im Tonfall einer frcmdctt Welt.

Der Sommcrtag war sommerwarm durchbcllt,
Schwermutgetragcn jener Weise Gang,

Molldunklcr, unbestimmter Ucdcrschwang,

Der seynsuchtsträchtig anstcigt und vcrsckwclll.

Wort blieb und Sinn dein Hörer unbekannt.
Geboren schien im Russenrcich der Sang,

Der klagend strömte über deutsches Land.

Mir aber tönte ein vertrauter Klang,

Der durhcll, fest und Icrchcnfrisch erstand
And deutsch sich auf in Rußlands Äetycr schwang.

Walter >8äyr

*

Liebe Lugend!

Wir haben einen neuen Bataillons-Komman-
deur bekommen.

Ilkarke: poinmerscher Landedelmann, Ritt-

meister d. §., bisher Kolonnenführer im Gstcn.

Da ihm die Lebhaftigkeit der Flandcrnfront
etwas ganz Neues ist, sind wir höchst gespannt,
welchen Eindruck sie auf ihn machen wird.

Eines Tages haben wir im Gefechtsstand vor-
derster Linie unseren Abendskat beendet, als un-
mittelbar links von unserem Abschnitt ein nervcn-
peitschendes Trommelfeuer einsetzt. Neugierig
suchen wir in den Gcsichtszügen unseres Kom-
mandeurs den Erfolg zu lesen, aber das flackernde
Talglicht läßt nichts erkennen.

Endlich gießt er sich einen Kognak ein und
sagt unter Gähnen: „Sagen Sic mal, wie ist das
hier bei Ihnen üblich: Muß man sich jetzt,fürchten'
oder darf man ruhig schlafen gehn?"

*

Der Chefarzt eines Lazaretts ist ein Protestant,
den» aber die protestantische Lehre noch etwas neu
ist, da er ihr kann, zwei Jahre angehört. Ilmso
eifriger betont er bei allen möglichen. Gelegen-
heiten seine Zugehörigkeit zum Lhristentnm.

Als nun heute der ordinierende Arzt der äuße-
ren 7lbteilung,. ein .glaubenstreuer Jude, und we-
gen seiner Scherze allseitig beliebt, .sich beim Chef-
arzt von einem längeren Urlaub zurück meldete,
hörte ich, wie er nach der offiziellen Meldung noch
sagte: „pcrr Lhefarzt, ich habe auch Grüße für
Sie von einem Ihrer Glaubensgenossen, Herrn
Stabsarzt Rebcnstein!" Darauf der Lhefarzt: „Er-
lauben Sie, Herr Kollege, Sie scheinen vergessen
zu haben, daß ich Protestant bin!" — „Nein,
Ejerr Lhefarzt, denn Herr Rebenstein ist seit An-
fang der Woche auch Protestant!"

*

Schlagfertig

Man sitzt nach heißem Manövertag abends
beisamnicn. Das Gespräch kommt auf das „Sam-
meln." Der eine Dffizier sammelt Briefmarken,
der andre Münzen, ein Dritter Ansichtskarten, ein
vierter Steine usw. Der vizefeldwebcl der Re-
serve hält, wie es sich geziemt, bescheiden mit seinen
Äußerungen zurück. Da fragt ihn der Major:
„Nun, vizefcldwebel, was sammeln Sie denn
eigentlich? "

„Zur Zeit militärische Kenntnisse, Herr Major!"
lautet die schlagfertige Antwort.

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Register
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Taifun: Perlicke - Perlacke
[nicht signierter Beitrag]: Schlagfertig
Arpad Schmidhammer: England, der Beschießer der kleinen Staaten
Walter Bähr: Der Gefangene sang
Karlchen: Aus dem Spruchschatz eines Hamsterers
A. De Nora: Glockenopfer
 
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