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Flammen im Herbst

Weit umher im Land

Loh'n die Bäume hell in herbstlichem Laube:
Ein gewaltiger Opferbrand.

Alles Herrliche, was einst grün,

Was der Frühling brachte,

Flammt noch einmal auf
Und will verglühn.

Und dein Herz krampst sich zusammen —
Reiß es los! Wirf's in die Flammen!
Was du liebst — wirf mit hinein!

Laß es lodern

Himmelhoch und rot und rein!

Niemals kann es modern,

Ewig bleibt es dein.

Was bleibt noch? Das ewige Blau —
Und die lächelnde Niederschau
Auf den Wandel der Dinge.

Josef Schänder!

*

Abschied

Skizze von Walter F. L. Becker

Stillgestanden! — Augen — rechts! -
Rührt Euch! — — Kurze, kerndeutsche Worte
waren es gewesen, die unser Bataillonskomman-
deur im Kasernenhof zum Abschied an uns ge-
richtet hatte. In manchem Auge hatte es aufge-
blitzt, und wohl mancher hatte still das Gelübde
der Treue erst jetzt mit seinem ganzen Herzen
abgelegt, das er damals bei der Vereidigung
nachgcfprochen, ohne sich der heiligen Größe des
Augenblicks bewußt gewesen zu sein. —

Knappe Kommandoruse — dann ging's unter
den Klängen der Regimentskapelle hinaus aus
den Mauern, die uns heute Nacht zum letzten
Mal beherbergt hatten.

Es war eine schwüle Frühsommernacht ge-
wesen, die Sterne flimmerten in seltsamem Glanz
durch das geöffnete Fenster der Mannschaftsstube.
Ich schaute sie stundenlang und unverwandt an,
ich bohrte meine Blicke hinein, — es waren keine
Sterne mehr, ich sah in die Augen meines jungen
Weibes, von dem ich noch am Abend — Abschied
genommen hatte. Für ewig?-Dann über-

fiel mich bleierne Müdigkeit. Die letzten Stunden
hatten Herzblut gefordert.-

Auch in der Frühe des jungen Morgens war
die drückende Schwüle nicht gewichen: die Luft
war mit dem Duft absterbendcr Blüten geschwän-
gert. Draußen vor dem Kasernentor stand die
erwartungsvolle Menge; Eltern, Geschwister,
Bräute und Kinder. — Sie schwoll zu einem
gewaltigen Strom an und gab uns das letzte
Geleit, als wir uns der inneren Stadt näherten.
Es sprach nicht mehr jene überwältigende, leiden-
schaftliche Begeisterung der ersten Kriegswochen
aus ihren Mienen — sie war einer ruhigen
Opferfreudigkeit, einem hohen sittlichen Ernst ge-
wichen, von dem wohl keiner in solch hehrer
Abschiedsstunde unberührt blieb. Blumen prang-
ten an Helmspitzen, an feldgrauen Waffenröcken,
am Leibriemen, auf dem schwer bepackten Tor-
nister. Ich trug keine Blumen — als Einziger
wohl — mein Weib hatte »nid) nicht zum Opfer-
tod geschmückt. Irl) danke ihr noä> heute auf
Knieen für diese feinste Regung einer Frauenseele.
Doch ihre weißen Hände öffneten beim Absä>ied
meinen Waffenrock und hielten für Augenblicke
zitternd meine Brieftasche — — Tränen perlten
auf das braune Leder. — —

Immer mehr staute sich die Menge. Hier
ein blutjunges Mädel, das mich am Rockärmel
zupfte mit der Frage, wo ihr Verlobter marschiere.

Beifried in Brügge R. Fiedler

Doch d)' ich noch den Namen verstand, hatte sie
das Gewühl verschlungen. Dort an der Straßen-
ecke ein paar derbe Späße, hier wieder frohe
Siegeszuversicht, ein lachender Abschied — dann
aber Tränen, die wohl nie versiegen werden.
In unserer Gruppe ging cs still zu, meist Familien-
vüter — sie hatten den Blick zu Boden gesenkt.
Ob wohl die aufmunternden Weifen der Regi-
mentsmusik Qualen milderten? — Ich weiß
nur noch, daß mein Rachbar mit einem Mal nach
meiner Linken faßte und sie krampfhaft umschloß,
sodaß ich hätte schreien können vor Schmerz. —

Plötzlich löste fid) eine schlanke schwarze Frauen-
gestalt mit einem entzückenden Buben aus dem Ge-
dränge. Sie trug einen kostbaren Strauß dunkler
Rosen im Arm — für wen wohl mochte er be-
stimmt gewesen sein? — Ich merkte, wie sie ge-
radewegs auf mich zusteuerte, rmd hörte noch die
letzten Worte, die sie dem Kleinen zuflüsterte:
„Schau, Bubi, der arme Soldat hat keine Blumen,
geh rasch und gib sie ihm!" Ich konnte die Gabe
nicht verweigern, als ich in die treuen Kinder-
augen sah. Ich lächelte einen kurzen Dank; mein
Lächeln muß grausam gewesen sein, denn die Dame
erbleichte — es schimmerte feucht in ihren Augen.

- Bon nun an wurde ich nur noch mechanisch
vorwärts getrieben; ich krampfte meine Hand in
die Dornen, bis sie blutete — etwas würgte im
Halse und schnürte mir die Kehle zu. Da sah ich
mein Weib in der Ferne. Sie wollte, von mir
unbemerkt, einen letzten stillen Abschied nehmen.
Doch nun winkte ich ihr, bis ihre Hand in der
meinen lag. Sri) führte sie an der Hand, wie man
ein kleines Kind zu führen pflegt. — Sie blickte
auf die Rosen — wieder verspürte ich jenes wür-
gende Gefühl im Halse. — Der Weg bis zum
Bahnhof schien heute kein Ende nehmen zu wollen
— es wäre»» Folterqualen. Endlich sah man die
weiten Hallen. Auf den Stufen zum Eingang
kniete eine ältere Frau aus dem Volke. Ihr
schwächlicher Körper zuckte unter den Tränen, die
ihr unablässig über die faltigen Wangen rannen,
dann betete sie wieder. Und nun ein markerschüt-
ternder Schrei: sie hatte ihren Sohn unter den
Feldgrauen erkannt. Flehend hob sie die kno-
chigen Hände gen Himmel und wimmerte: „Gebt
mir meinen Sepp zurück, gebt ihn raus, er darf
nicht sterben!"

Der Schrei gellt mir noch heute in den Ohren.
Ich weiß nicht, was aus jenem ärmsten Weibe
geworden. Wir mußten gleich einsteigen. — Lieber

will ich mich in den dichtesten Geschoßhagel stürzen
als noch einmal diesen Leidensweg gehen. — Ich
stieg zuletzt ins Wagenabtcil. Ich hatte noch ein-
mal mein Weib in den Armen gehalten, um ihr
in die großen traurigen Augen zu schauen. Sie
hatte mir das Geleit wie eine echte deutsche Frau

gegeben — ich sah nur eine Träne-Du,

mein Weib! — —

Als sich der Zug langsam in Bewegung setzte,
scl>leuderte ich ein rotes Etwas aus dem Fenster

— es müssen die Rosen gewesen sein-Bon

fern sah ich auf dem Bahnsteig eine weiße Ge-
stalt — Auch sie hatte mit ihrem Herzblut auf

dem Altar des Vaterlandes geopfert-mein

junges Weib! — —

Meine Kameraden johlten, scherzten und san-
gen. Sie grölten — rissen Zoten, — da sprang
eine Saite meines Herzens und hinterließ eine
klaffende Wunde; — ich wurde stiller. — Ich
öffnete die Brieftasche und hielt zwei lose Blätter
in zitternden Händen. Sie trugen Bergißmein-
nichtblüten und eine blaue Enzianglocke. Es war
die erste, die uns in unserm Liebesstühling auf
den Bergen geblüht hatte. Da schaute ich zum
Fenster hinaus, der Wind zerzauste mein Haar

— ich weinte Tränen — — mein Weib! — —
Ich habe mich dieser Tränen nie geschämt!

Noch am selben Tag fuhren wir über die
Grenze. Da schwand alles kleine Weh vor der
Not des Vaterlandes, dessen heiligste Güter es
zu schirmen galt. Es forderte ganze Männer. —
Bei einem Sturmangriff wurde ich verwundet.
Im Fallen sah ich mein Weib in überirdischer
Schönheh. Aus tiefer Ohnmacht eÄvachte ich im
Lazarett. Daß es die Hände der Schwester waren,
die mir die fieberheiße Stir)) kühlten und Blumen
auf mein Schmerzenslager brachten, will mir noch
heute nicht in den Sinn.

*

Heut küff' ich Dich!

Heut küff' ich Dich zum ersten Mal,

Heut küff' ich Dich zum letzten Mal,
Das eine Mal!

Auf meiner Liebe Srhmerzcuswahl

Soll glühend fallen noch ein Strahl,

Das eine Licht.

Ob Sonnenstrahl, ob Blitzesstahl,

Ob Himmelsglück, ob Höllenqual —
Mich kümmert's nicht!

Heut küss' ich Dich das erste Mal,

Heut küss' ich Dich das letzte Mal,

Das eine Mal!

Martin Arndt

+

Das Karnickel

Bon Johannes Reichelt (im Felde)

Es handelt sich um ein richtiggehendes Kar-
nickel, das das 3eitlid)c schon gesegnet hat. In
der fleischarmcn Zeit war es als Leckerbissen im
Lazarett zu Sossinewitsch von ja, wer hatte
es eigentlich verspeist? Der Koch im Lazarett
behauptete, cs nicht gebraten, die Schwestern ver-
sicherten, es nicht verspeist und die Kranken, bei
denen man hätte Nachfragen können, waren längst
genesen und kämpften an der Somme, in Ruß-
land, Bulgarien oder wer weiß wo. Die Sache
war zu dumm.

Der Geist der seligen Hascnsecle wurde vom
Telephonisten und Schreiber, von den Schwestern
und der Oberin, von den hin- und hersausenden
Ordonnanzen, von dem Personal der Komman-
dantur, selbst vom Herrn Hauptmann heraufbc-
schworen. Das Karnickel hatte seine Ruhe redlich
verdient und ließ sich nicht wieder ins Leben

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Richard Fiedler: Belfried in Brügge
Martin Arndt: Heut küss' ich Dich!
Josef Schanderl: Flammen im Herbst
Walter F. L. Becker: Abschied
 
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