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Herbst-Sonne

Richard Wellmann (Berlin)

Herbst

IO, noch nicht scheiden! —

An dem Äanm hält fest
Das gelbe Laub.

Leer hängt ein Äogelneft
»Voll Sommerftaub.

Zeitlosen blühn auf allen Weiden.

Die Feuchte schon entfernt.

Die Felder leer.

Das arme Herz nur lernt
Den Herbst so schwer.

O, sieh, die Sonne glänzt
Aoch rvie vor Wochen.

Die Trauben kochen.

Aoch steht der Ärvg bekränzt
Äit Duft und Bläue.

Wir halten Treue
Ganz bis zuletzt
In (Lieb und Leiden,

Bis auch das letzte Blakt
Der Wind zerfetzt
Und abgerissen hat.

— O, noch nicht scheiden!

Will Vesper

Erlösung

Von Rifat Gozdovic Pascha

Karl Hans Dusselberger litt, obwohl er trotz
zweier Bornamen weder Schriftsteller noch Dichter
war, an Idealen. In erster Linie narl, seinem
Vater, den zwei bei Oeverse verscharrte Beine
und seine ärarische Armut in seinem felsenfesten

Glauben an Glück und Menschengüte nicht
wankend gemacht hatten. Auch dann nicht, als
ihm eine Tante starb, an deren klirrendem Geld-
strumpf seine große Hoffnung hing und die diesen
Strumpf den Barmherzigen Brüdern, ihm und
seiner Frau aber nur je einen spruchverzierten
Kaffeetopf mit Goldrand hinterließ, an denen
der Henkel fehlte. Als die gute Betty deswegen
greinte, meinte er frohsinnig, „daß Töpfe ohne
Henkel immer noch besser wären, als Henkel
ohne Töpfe und daß es die gottselige Tante sicher
gut gemeint hatte, sonst hätte sie ihnen bloß die
Henkel vermacht."

Auch Mama Betty hatte ihr Ideal. Dieses
war die dereinftige Verwirklichung des heutigen
vornehmen Scheindaseins, das sie mit dem Gatten
und Karl Hans führte. Betty war Offiziers-
tochter und die Lebensgefährtin eines Offiziers
geworden, den sie, um der ärarischen Öde des
Elternhauses zu entrinnen, als Pensionisten ohne
Kommisvermögen geheiratet hatte, nachdem sie
ein spätes Mädchen geworden. Aber, oder viel-
mehr trotzdem, blieb hier wie dort das Leitmotiv
ihres Daseins der Schein. Nicht allein der zur
Erhaltung der unumgänglichen Dehors nach Außen
notwendige Schein, den die ererbten und uner-
zogenen Anschauungen bedingten, sondern auch
ein überflüssiger, auch in der inneren Wirtschaft
gepflegter „Zusätzlichem, den sie sich als Existenz-
notwendigkeit selbst einredete und der sie in die
von ihr geträumte Welt versetzte.

So sprach sie unter anderem von einem Fa-
miliensilber, das nicht einmal bei ihren Urvätern
vorhanden gewesen, und wenn der kümmerliche
Mittagtisch gedeckt werden sollte, so wies sie das
stundenweise aufwartende Mädchen an, die silber-
nen Bestecke aufzulegen. Und die „SÜtaari", die
aber „Eugenie" gerufen wurde, legte dann auf,
was an Neusilber noch da war.

Ebenso war es ein feststehendes Kapitel der
ungeschriebenen Familienchronik der Dusselberger,
daß Frau Bettys Oheim, der Titularmajor, durch

eine entschlossene Waffentat den Tag von Eu-
stozza gerettet hatte, ohne welche Österreichs Sache
damals eine verlorene gewesen wäre. Und so
weiter. Im Laufe der Zeit glmibte sie selbst
daran wie an's Evangelium, den Silberschatz zu
besitzen, daß die Maari Eugenie heiße und der
Onkel - Titularmajor Militär - Maria - Theresien-
ordensritter fei. Und Papa Dusselberger, der
Optipiist, glaubte endlich auch daran und daß er
diesen Traditionen etwas schuldig wäre.

Frau Bettys Ideal stand auf zwei Beinen
und mit ihm ihre Hoffnung auf dereinftige Ver-
wirklichung. Das eine Bein brach, als statt des
Geldstrumpfes der Tmlte deren goldgerändete
Kaffee-Tassen ins Haus kamen. So blieb nur noä>
das zweite übrig und dies war ihr einziger Sohil
Karl Hans. Der sollte, wie sein Großvater,
Vater und Onkel, Offizier werden und als solcher
eine ebenso noble wie schwerreiche Braut ins
Haus führen. Damit würde — so dachte sie —
für die ganze Familie jene heißersehnte Zeit der
tatsächlichen Gediegenheit, des Glanzes und vor-
nehmen Gehabens anbrechen, die sie sich als das
Ideal ihres freudlosen Lebens im Voraus kon-
struiert hatte. Karl Hans, erblich belastet, begriff
seine Mutter und zeigte sich willig, ihre Pläne
zu verwirklichen. Er bestand die Aufnahms-
prüfung für den ersten Jahrgang der k. u. k.
Infanteriekadettenschule zu Wien mit genügendem
Erfolge und bezog sie, ausgerüstet mit dem väter-
lichen Segen und einer wohlgefüllten Freßkiste
seiner Mutter. Hier saß er mit offenem Maule
zu Füßen der geliebten Lehrer, und versuchte an
den Brüsten der Kriegswissenschaften zu saugen.
Da aber noch nie einer mit offenem Munde zu
saugen im Stande gewesen war, flog er im 1.
wie im 2. Semester durch und wurde heimgeschickt.

Damit ging das zweite Hoffnungsbein seiner
Mutter entzwei und sie legte sich ergeben hin und
starb. Vater Dusselberger stelzte auf zwei Krücken
und zwei Stelzfüßen hinter ihrem Sarge bis zur
Grube, weinte dort ein wenig vor sich hin und

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Rifat Gozdovic Pascha: Erlösung
Robert Wellmann: Herbst-Sonne
Will Vesper: Herbst
 
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