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Die Bergwelt

Ich bin auch einmal mit dem Strom geschwommen,
Und — es war mir ganz wohl dabei zu Mut.
Gelobt, gehätschelt hielt ich mich für gut
Und bin dabei nicht zu mir selbst gekommen;
Und glaubte schon, ich könnt' mich überlassen
Der Einsamkeit: mein Rucksack ward gepackt.
Schon klang der Bergstock neben mir im Takt
Und unter mir der Wald schwand in Terrassen —
Doch seltsam war es, wie die Freude wich,
Wie ich mich jauchzend auch um sie bemühte —
Die Bergwelt nahm nicht teil, blieb wie für sich.
Hart ausgeliefcrt war mein kleines Ich
Zerfurchtem Antlitz, streng und doch voll Güte.
Die Bergwelt sah mich an, sah mich nur an
Mit einem Ausdruck, ernst und so vergraben.
Wie meine Mutter mich als kleinen Knaben
Ansah, wenn ich ihr einmal weh getan.

Hermann Schieber
*

Kaiser Joseph

„Was ist das?" fragt das kleine Mädel und
sieht dabei ihrem Vater forschend in's Gesicht,
„im Lesebuch steht: Kaiser Joseph II. starb an
gebrochenem Herzen!"

„Doch ganz klar!" Doktor Himmelbrand
schüttelt eine leise Verlegenheit ab. „Der Mann
war einem Herzleiden erlegen! Erweiterung
oder Klappenfehler-"

„Ist das alles?" Renate grübelt weiter und
schlendert nachdenklich in den Garten. „Ge-
brochen, gebrochen! Mußte es da in Stücke
gehn, waren Scherben??"

„Sicher ist er auch immer so unvorsichtig
die Treppe hinauf gestürmt, wie Du!" entscheidet
die Mutter. „Das Herz hat dann vor Hast
gar nicht schnell genug klopfen können und ist
zersprungen. Deshalb re. rc."

w

Brausende Locke». Ein Blondkopf hat sich
seidenweich in zwei kraftlose Arme verkrochen und
buchstabiert bei! Mama, der zarten, blassen:

„Kaiser Joseph-an ge-

brochenem Herzen!"

„Wird nicht wahr sein!" Energisch klappt
das dralle Persönchen ihr Buch ans den Tisch.
„An gebrochenem Herzen! Daran stirbt man
doch nicht! Lächerlich! Nicht, — Mutter?"

Frau Renate erhebt sich, schauernd. Geht
wie eine Nachtwandelnde in's nächste Gemach,
dann wieder in's nächste, weiter, weiter. .....

Langsam fallen alle Türen hinter ihr zu —

Frigga Brockdorff-Noder

Den unbekannten Freunden

Es kennen sich viele auf Erden,

Die nirgend sich gesehn,

Und die doch zueinander
Auf heimlichen Brücken gehn.

Die nächtens aus dunkeln Tälern
Zu einem Sterne fchaun,

Die ferne und doch verbunden
Am heiligen Tempel baun.

Hermann Gebhardt

Alt-Wien

A. Wierer

Spätsommernacht

Von Serena Flohr

Wenn ich des Nachts schlaflos im Belte
liege, lausche ich gar oft den Geräuschen, die in
der Stille der dunklen Nacht durch das offene
Fenster zu mir hereindringen. Da kehrt eine
lustige Gesellschaft heim und verabschiedet sich
umständlich und laut an der Straßenecke, da gehen
zwei vom Stammtische nach Hause und verfechten
noch immer hitzig ihre verschiedenen Meinungen,
oder ich höre leise geflüsterte Worte, bis ein
Haustor knarrt, der Schlüssel im Schlosse kreischt
und ein fester Schritt sich rasch entfernt. Ab
und zu zieht sorglose Zugend unbekümmert mit
fröhlichem Singsang vorbei oder — aber jetzt
recht selten — es kommt einer, der zu tief ins
Glas geguckt und sich nun ein Schlummerliedchen
gröhlt.

Gestern aber war es seltsam still. So, als
ob alle die Nachtvögel daheimgeblieben wären,
und lag doch der tiefe Zauber einer sternenklaren
Spütsommcrnacht über den Gassen, Straßen und
Plätzen. Und eben, als endlich ein leiser Schlummer
mich überkommen wollte, höre id) von ferne, —
ja, ganz von ferne, Schritte, die merkwürdigerweise
meine Neugierde weckten, ganz glcid>mäßige, nicht
zu langsame, nicht zu hastige Schritte. Die Stiefel
knarrten ein wenig, nicht gerade unangenehm,
aber doch so vernehmlich, daß ich jedesmal auf
dieses Knarren wartete, — es gehörte dazu, es
wiederholte fiel), immer gleich, in kurzen Abständen,
denn die Schritte waren ganz sicher und fest, td)
möchte sagen, charaktervoll. Als sie unter meinem
Fenster waren, vernahm ich sie natürlich am
deutlichsten, dann entfernten sie sich wieder, wurden
leiser, und das Knarren der Stiefel, dieses gar
nicht unangenehme Knarren, verlor sid> meinem
Ohre immer mehr. Dod) che es noch völlig
entschwunden war, huschte id) bereits hinter der
hohen Männcrgestalt einher, denn meine Neugierde
hatte mir keine Ruhe gelassen. Zm Cidjtc des
Mondes und im wirren Gefunkel der Sterne
betrad)tete id) erstaunt den sthönen, blauen Fradi,
den hohen, grauen Zylinder und mußte über den
weiten Halskragen mit den großen Ecken lad)en,
zwischen welchen das glattrasierte Kinn des
stattlichen, jungen Mannes versank. Und aus
dem vorne offenen Fradi, den große, blanke
Silberknöpfe zierten, rieselte blütenweiße Wäsckie
in den zierlichsten Fältchen. und Falbeln. War
das ein komischer Kauz! -Ich erinnerte mich nicht,
ihn je gesehen zu haben, denn aud) sein Gesicht,
in das ich einen raschen Blick tat, dieses hübsche,
ernste, nid)t mehr ganz, ganz junge Gesicht — aber
vielleid)t täusch,»' auch das ungewisse Licht —

ersd)icn mir völlig fremd. An der Ecke, wo es
in das schmale, verschwiegene Gäßchen geht, zu
dessen beiden Seiten Gürten hinter hohen Gittern
sich hinziehen und wo nur uralte, mächtige Linden
und Akazien ihre Zweige von hüben und drüben
friedlich mit einander verflechten, so daß man im
Sommer immer wieder wie unter einem wunderbar
grünen, luftigen Dache dahinwandelte, — dort,
bog er von der breiten Straße ab, schritt in
das Gäßd>en, und beinahe hätte id) ihn in dem
geheimnisvollen Dunkel verloren. Aber das Ohr
half dem Auge, der feste Sdiritt, das leise Knarren
der Stiefel zogen mid) rasd, wieder an seine Seite,
und id) freute ntich unbändig, als er vor dem
--hohen, sdpniedceisernen Gittertore jenes Gartens
stehen blieb, in weld)en id) bei Tage gar oft sd)on
sehnsüchtig mand>e Viertelstunde lang geblidrt hatte.
Irgendwo da drinnen blühten jedes Jahr die
ersten Vcild)cn, und wenn id) sie auch nicht er-
blicken konnte, so wußte id) es an dem süßen
Dufte, der lind und weich plötzlid) an einem frühen
Märztage mir entgegen wehte. Ein bißchen arg
verwildert sah er freilich aus, der große Garten:
auf den ungeharkten Wegen sproßte üppig und
in fredjer Daseinsberechtigung das liebe Unkraut
und die Pappelrosen, die Sonnenblumen und
der farbenfrohe Phlox, sie mußten fid) alle zu
ihrer ganzen Höye emporstrecken, um sich das
grüne, überflüssige Gewirr vom Leibe zu halten.
Id> wußte: Ein paar schlanke Rosenstöcke trugen
einsam ihre stolzen Blüten, sahen die zarten Knospen
worden und wad,sen, sich crsd,ließen, freuten sid)
ihres Duftes, sahen die königlidien Blumen in
der Prad)t und Üppigkeit ihrer vollen Sd)önheit
und litten sd)inerzlid), wenn dann die samtenen
Bllltenblätter müde und welk zu Boden sanken,
— unbeack)tet, unbegchrt! — Da war keine weid)e
Frauenhand, die sie pflückte, die stolzen Rosen,
kein jugendsrisches Auge, das sich ihres Seins
erfreute, kein heißes Herz, an dem sie sterben

durften!-- Und ich wußte: In dem runden

Bassin, das nur das Regenwasser füllte, krod)
grüner Schlamm über den Sandstein, und der
kleine Brunncnbcngel hielt vergeblid) die große
Musd>el über sein Lockenköpfd>en, — kein Tropfen

netzte und erquickte ihn.-Und ich wußte

aud>: Das kleine, gelbe Gartenhaus, das mit
seinen fest versd)lossenen grünen Balken weiter
rüdrwärts stand und zu dessen Türe ein paar
halb zerbrod,ene Stufen emporführten, war längst
lid)tsd)euen Fledermäusen, langgliedrigcn Spinnen
und flinken Mäusen und Ratten ein ungestörtes,

willkommenes Daheim geworden.-Ja, das

alles wußte ich, aber betreten hatte ich diesen
vergessenen Garten nod, nie, dessen Besitzerin
eine wunderliche, alte Dame sein sollte, die in
einer anderen Stadt lebte und sich um dieses
letzte Stüdrchen ihrer eigenen Jugendzeit aus
weiß Gott welchem Grunde gar nid)t mehr küm-
mern mochte. Was Wunder, daß ich mich nun
kindisd) freute, als der stattlid)e Herr im blauen
Fradi vor dem Gitter Halt mad)t und ganz,
ganz leise einen lieblid)en Namen rief. „Dorette!"
Wie hübsch das klang! Und gleid) darauf rauschte
es ein bißd>cn in dem dunklen Taxusgang und
ein allerliebstes Pcrsönd>en ersd)icn. Ich blidite
in ein feines Mädchcnantlitz mit großen, strahlen-
den Augen, das dunkle Haar ringelte fid) in
den fd)önften Sd>aumrollen um die zarten Wan-
gen, aus dem tiefausgefd)nittenen, hellen Leibd>en
hoben sid) schneeweiße, runde Schultern, und ein
weiter, weiter Rock umgab im Bogen den jugend-
frisd)en Körper, neidvoll seiner Formen Schönheit
verhüllend. Kleine Füßchen staken in sdimalcn
Hakenschühd;en, die von gekreuzten Bändern ge-
halten wurden. Betroffen starrte id) auf soviel
Anmut und Lieblid)keit unb hätte beinahe ver-
gessen, nad) meinem geheimnisvollen Fremden
durd) die geöffnete Gittertüre in den Garten zu
fd)lüpfen. Unb dann stand id) hinter dem sonder-
baren Paare, etwas verlegen und unschlüssig,
denn die beiden küßten und herzten einander gar
inniglid), und id) kam mir redjt neugierig und
aufdringlich vor. Und deshalb folgte ich ihnen,
die, sich zärtlich umschlungen haltend, langsam

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Hermann Schieder: Die Bergwelt
Alois Wierer: Alt-Wien
Serena Flohr: Spätsommernacht
Hermann Gebhardt: Den unbekannten Freunden
Frigga v. Brockdorff-Noder: Kaiser Joseph
 
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