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L> Bisle (Müucüeuj

Oie jungen Damen

(Aus einem Cyclus: „Geschichten von morgen")
Bon Hcins Hauptmann

Wir waren uns im Winter 1914—15 am Duna-
jcc begegnet — in der ungemütlichen Zeit, als die
Zukunft der Ostfront noch ein großes Fragezeichen
war, drohend hingestellt vor ein Meer bitterer Mög-
lichkeiten, auf dem die Hoffnung nur wie ein winziger
Ocltropfen umher schwamm.

Hauptmann Beyer hatte sich dicht neben unseren
Stellungen mit seiner Kompagnie auf einem steinigen
Hang eingebissen. Die engbegrenztc Gemeinsamkeit der
Lebenszwecke im Felde ist ein vorzüglicher Nährboden
für die Kultur von Freundschaften. Insbesondere dort,
wo der Wille zur Aufopferung mit der fast sichern
Aussicht auf einen nahen Untergang gepaart ist. Wie
die Sinne in der Gefahr sich verfeinern, so wird auch
das Herz empfindsamer für die richtige Witterung der
Würdigkeit und Aufnahmebereitschaft. Und weil der
übermächtige Drang nael> Mitteilung in jedem so leicht
alle Türen der allerheiligstcn Seelenkammern sprengt
und der Mensch hier von dem innern
Menschen in einer Stunde mehr gewahr
wird, als daheim in vielen Jahren: da-
rum schließt man sich hier rascher und
inniger aneinander.

Wir fühlten uns unzertrennlich. Je-
der lebte die Freuden und Sorgen des
andern mit; jeder wußte von den heiße-
sten Wünschen des andern, mochten sie
nun aus Reue oder Sehnsucht erwachsen
sein. Beyer sprach viel und in einer
merkwürdig andächtigen Art von seiner
Häuslichkeit. Er hatte nicht nur Pho-
tographien seiner schönen Frau und
seiner entzückenden kleinen Mädchen
von Hause mitgebracht, sondern auch
Bilder von den Räumen, worin sie
lebten und auf seine Rückkehr warteten.

Alles, was sein Heim betraf, war ihm
teuer und kostbar. Am tiefsten in seinem
Herzen aber wurzelte die Liebe zu den
beiden Kindern. Die Blumenreinheit
ihrer Jugend war ihm ein Gegenstand
der zärtlichsten Anbetung. Vom Augen-
blick ihrer Geburt an war er ihr Spiel-
kamerad gewesen, — „Ihrer Majestäten
getreuester Hanswurst" nannte er sich
mit einem strahlenden Lächeln. Er be-
kannte es, daß ihn noch nie eine Tat,
wie groß ihr Erfolg auch gewesen sein
mochte, froher und stolzer gemacht hätte,
als ein gelungener Versuch, seinen Kin-
dern einige Stunden übermütigster Fröh-
lichkeit zu bereiten. „Diese Kleinen —I"
sagte er einmal schwärmerisch; „in ihren
Augen schimmert noch die Erinnerung
an die Herrlichkeit des Himmels. Ihr
Mund glüht noch von den Abschieds-
küssen der hunderttausend Engel. Ihre
Wangen sind noch betaut von dem
Blütenstaub der ganz unwahrscheinlich
schönen Rosen, die dem lieben Gott
ins Fenster seines Träumerslübchens herein nick-
ten. Wenn man seine Gedanken einmal ganz
loslöst von allen Weltdingen, dann sieht man
um die Körperchen der Kinder einen silbernen
Schein und wenn man mit der Hand ganz leicht
an ihren Schultern vorbeistrcicht, dann fühlt
nran den hauchzarten Flaum ihres Flügleinge-
fieders."

Wenn der Feind uns Muße ließ, erzählte
Beyer stundenlang von den neun und zehn Jahren
seiner Ilse und seiner Life. Erzählte mit so
eifernder Innigkeit, daß auch mir alles Unbe-
deutendste zum Ereignis wurde.

Eines Nachts überrumpelten uns die Russen,
und Hauptmann Beyer fiel verwundet in Ge-
fangenschaft. Seitdem erreichte mich keine Nach-
richt non ihm, und ich fing an, nrich mit dem
Gedanken vertraut zu machen, daß er seinen
Wunden erlegen wäre.

Oer Oickwr spricht:

Gieb mir dein Leid, gieb Alles was dich drückt,
Was deine Augen trübt, komm gieb es mir;

Ich schenke dir dafür was dich beglückt,

Davon dein Auge strahlt, ich schenk es dir.

Du säe deine Schmerzen in mich ein,

Und segnen will ich’s der geliebten Hand;

Nichts soll vor ihr und deinen Schritten sein,

Als meiner Seele aufgepflügtes Land.

Ich will die Saat mit meinem warmen Blut,

Mit aller Inbrunst will ich sie betreun,

Bis sie in wundergoldner Ährenflut
Sich wiegt, dein süßes Antlitz zu erfreun.

Und wenn du selig blickst und wandelnd schreitest,
Und wenn du staunend deine Arme breitest,
Wird an dein Herz, aus blauen Himmelshallen,
Wie auf ihr Nestchen, eine Lerche fallen.

Warm wird des Vogels Brust an deiner ruhn,

Du fühlst sein Herz durchs kosende Gefieder
Und lächelst glücklich zu des Sängers Tun -
Aus deinen Schmerzen blühten seine Lieder.

FRANZ LANGHEINRICH

Immer wütender kreisten und kreischten nun
die großen Mahlsteine der Kriegsmühle. Während

unzählige Jünglinge und Männer draußen kämpf-
ten und starben, saugte hinter ihrem Rücken
ein schamloser Handel das Legte aus den ent-
kräftclen Völkern, aus den Adern von Vätern,
Müllern, Gattinnen und Kindern der getreuen
Grenzhüter. Die Habsucht Entarteter münzte
mehr und mehr das Elend der Menschheit zu
fabelhaften Profiten aus. Und eines Tages, als
die hunderttausend Quellen der Niedertracht sich
bis auf den legten Tropfen erschöpft hatten, brach
die über alle Kontinente und Meere hingespannte
Gigantenhalle des Kriegstheaters ganz unerwartet
nieder, wie ein spielerisches Kartenhaus. —

Einige Monate nach dem Einzug der Truppen
in Berlin, fege ich »tich im Tiergarten-Rosarium
auf eine Bank. Ein Herr rückt zur Seite, um
mir Plag zu machen. Unsere Blicke treffen sich.

„Beyer-?"

Er streckt mir die Hand hin.

„Zur Not bin ich also doch noch zu erkennen?"
fragt er.

„Im Zivil," will ich ihn trösten, „da sieht man
doch gleich ganz anders aus!"

Er schüttelt nur den Kopf und versinkt in brüten-
des Schweigen.

Waren wir nicht Kameraden, Freunde, Brüder?
denke ich. Es ist nicht nur ein Recht, es ist eine
Pflicht, ihn nach seinem Kummer zu befragen. Und
tri) erstarre fast bei dem Gedanken, daß ihm seine
Kinder, seine beiden geliebten Mädchen gestorben sein
könnten. Nach ihnen wage ich nicht mich zu er-
kundigen.

„Ich habe Sie schon betrauert, Beyer," sage irl),
„weil ich nie wieder etwas von Ihnen gehört habe."

„Ich habe Ihnen viermal geschrieben," ant-
wortet er.

„Wo waren Sie?" —

„Zuletzt in Tomsk!" —

„Es ist Ihnen wohl schlecht ergangen?" —

Er sitzt vorgebeugt und kratzt mit dem Stock im
Sand — ein I und ein L, — ein I und ein L — —
„Im Gegenteil — recht erträglich," spricht er
vor sich hin; „besser als den anderen Gefangenen
— wegen meiner Kenntnis im Russisä)cn, — ich
war so eine Art Dolmetsch des Kom-
mandanten," — und verstummt wieder.
Ich lege die Hand auf seinen Arm
und fasse mir ein Herz;

„Aber Ihre Nerven haben gelitten,
lieber Freund — ?"

Er atmet tief und sieht mir dann
mit einem unendlich traurigen Blick in
die Augen.

„Ja,—" sagt er, „die lange Trennung
von den Meinigcn ist mir sehr schwer
geworden. Wie groß das Opfer war,
das ich in meiner Gefangenschaft dem
Schicksal bringen mußte, — das aber
merke ich erst jetzt. Seine Tücke hat
mich um das Schönste betrogen. — Ich
habe Ihnen von meinen Kindern er-
zählt -"

„Um Gottes willen — — I" er-
schrecke ich.

Er versteht und beruhigt mich;
„Nein — nein, — wir vier gehören
zu der kleinen Schar bevorzugter Fa-
milien, die sich vollzählig wieder zu-

sammcngefunden haben,-das ist

cs nicht. Ich will versuchen, Ihnen
das klarzumachen: meine süßen, herzi-
gen Kleinen habe ich verlassen, als
dieses fürchterliche Wcltringen begann,
meine lachenden, tollenden, unbeküm-
merten Kinder, — — diese entzücken-
den Geschöpfe, die noch mehr Engel
als Menschen waren, — — die noch
ein Stück des Himmels im Auge
hatten, des Himmels, aus dem sie
ausgeflogen waren, um eine Nacht
lang als glitzernde Sterne über der
Erde zu stehen und das Haus zu
suchen, das des Glückes ihrer Ein-
kehr wert wäre! — — Es ist Narr-
heit, — id) weiß es, — aber ich habe
mir eingebildet, daß die Zeit, die ich
fern von ihnen verbringen mußte, in ihrem Leben
einfach nicht ntitzählen könnte. Ich habe ihre
verwunderten Augen und die ganz unirdische
Grazie ihrer gewichtlosen Körper, ich habe die
Hellen Silbertöne ihrer Sümmchen und die
huschenden Märchenlichter ihres Geplauders im
Gedächtnis meines Herzens mit mir genommen.
Ich habe davon geträumt, wie ihre Locken fliegen,
ihre Röckchen flattern, ihre schlanken Beinchen
sich überhasten werden, wenn sie den heim-
kehrenden Vater am Fenster des heranbrausen-
den Zuges erkannt haben, — wie ich sie an mich
reißen, zu mir hinauf heben und für alles ver-
säumte Glück dieser Jahre an der Zärtlichkeit
ihrer keuschen Lippen mich entschädigen würde.
Meine Kinder l jauäizie es in mir, als id)

heimfuhr,-- meine geliebten, süßen kleinen

Mädchen!" —

Er unterbricht sich. Die Erinnerung drückt
ihm die Hund auf die Kehle.

„Beyer —!" sage ich begütigend und berühre
seine Schulter.

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Index
E. Biesle: Vignette
Franz Langheinrich: Der Dichter spricht
Hans Hauptmann: Die jungen Damen
 
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