Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Julius Diez (München)

In schlafloser Nacht

was ist das? — Unerklärlich, rätselhaft! Jm Abendlichte fährt ein Kahn dahin,

In Banne lieg' ich einer fernen Kraft.

Lin Etwas wirkt mi> unsichtbaren Strahlen
Auf mein Gemiit. Zu wiederholten Malen,
wie Sonne bricht aus schwarzer Wolken Ritz,

Durchblitzt es licht die tiefe Finsternis.

Gezwungen wer-' ich, weit zuriickzulenken
Auf Linen Punkt mein Fühlen und mein Denken.

Nab' ich es selbst erlebt? Ich Hab' es nicht.

Ich hört' cs nur, empfing nur den Bericht.

Ties schlafend lag 's in mir seit manchen Jahren;

Jetzt wacht es auf und will sich offenbaren.

Ls zwingt mich eine Seele, die ich nie
Jm Leben sah; doch jetzt übt sie Magie
An mir und wirkt aus weiter, weiter Ferne,

Vielleicht von einem unsichtbaren Sterne.

Denn ob ich sie auch früher nie gekannt
Jm Fleische, geistig irgend wie verwandt.

Durch einen Zug des Denkens noch verbunden
Mutz sie mir sein. Ich Hab sie tief empfunden.

Gestorben war — gestorben? — was ist Sterben?
Lin Wort, die Kraft zum Leben zu verderben;

Lin dummes Wort ist „sterben", weiter nichts;

Man hört's von Kindheit auf, je nun — und spricht's.
Sterben — das giebt's nicht, 's giebt nur ew'ges Leben,
Rastloses wirken, endlos weiterstreben;

Mit Lro' und Sonne fliegen, wie im Traum,

Im Larouffel des Weltalls durch den Raum.

Zehntausend Jahre dauert solche Runde,

— Doch das ist noch nicht eine Viertelstunde
Der Ewigkeit — bis wir beim Sphärenklang
Zurückgekehrt von unserm Lebensgang,

Nur immer wechselnd Formen und Gestalten,

Genau an Vrt und Stelle wieder halten
Zu aller Dinge ew ger Wiederkehr.

Doch Ruhe kennt das Leben nimmermehr.

Ls mutz sein wirbeltanz auf '» neu beginnen.

Und, wollend oder nicht, — du mutzt von hinnen.

„Ist Jemand hier?" — Stumm bleibt die Mitternacht.
Ich bin allein. — 's hat nur im kjol; gekracht. —

Nun Totenstille wie zuvor, vom pochen

— Ich hör s — des eignen Ljerzens unterbrochen.

Und wieder strahlt s durch tiefe Finsternis,

wie Sonnenblitz aus schwarzer Wolken Ritz.

Doch plötzlich glänzt mich an ein Bild vom Rheine,

Mein Auge bleibt gebannt von seinem Scheine.

Ls sitzen Fünfe schwarzgewandet drin.

Sie sitzen stumm und blicken in die Fluten,

Noch schwach gerötet von des Abends Gluten.

Bis in des Stromes Mitte wiegt der Kahn
Sich auf und ab auf sanfter wcllenbahn.

Und Liner hält in Händen ein bekränztes.

Zum letzten Mal vom Tagesschein beglänztes,

Verhülltes Etwas, eine teure Last,

Der Mutter Asche liebevoll umfatzt

Noch bis zuletzt; dann lätzt er das verehrte,

Das schon ins Element Zurückgekehrte,

Aus frommen Händen sinken fcbwer hinab
In das gewünschte tiefe wellengrab.

<D, tapfre Frauenseele! wie bewegst du
Mein Herz! Mit Tränen denk' ich dein, wie regst du
Mich mächtig auf! wie legst du Feuer an!
w>e weht des Geistes Flamme himmelan!

Geheimnisvoll, auf wunderbare w tse
Zeigst du dich an in meinem Scelenkreise.

CD, tapfre Fravenseele, sei gegrützt!

wie schön du Blitze ans dem Jenseits sprühst!

Ls ist kein Tod. — Ich spür' dein starkes Leben,

So stolz und üill dem All dahingegeben,
wie s unvergänglich weiter wirkt und schafft,

Lin leuchtend Teilchen ew'ger Schöpferkraft.

(D, tapfre Frauenseele, sei gepriesen!

Ich danke dir, du bast den weg gewiesen.

So stolz und still wie du gegangen bist.

So folgt dir einmal nach der Heidenchrist,
weit in den Walchensee hinaus gefahren.

Den vielgeliebten, göttlich-wunderbaren.

Gefühl der Ewigkeit, dort wardst du mein;

Dort war icb grenzenlos mit Gott allein.

Dort Hab' ich nachts die Sternenschrift gelesen
Vom All-und-Linen, welches stets gewesen,

Vom ewigen Leben, drin ich mich verlor
Inbrünstig sehnsuchtsvoll wie nie zuvor.

Ich Hab' cs unterm blauen Himmelsbogen
Als Sonnenlicht ins durstige Herz gesogen;

Als wind der Berge l-at's mich angeweht;
vom Wetterstein geblickt als Majestät,
weit drautzen auf der Flut im Mondenglanze
Versank ich selig tief ins göktlich Ganze.

Gefühl der Ewigkeit, dort wardst du mein —

Dort sinke tief der Rest von mir hinein.

Albert rn a t t l, 31

042
Register
Julius Diez: Illustration zum Text "In schlafloser Nacht"
Albert Matthäi: In schlafloser Nacht
 
Annotationen