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Dr. Siegfried Sinzheimer

JL

r

geb. August 186,' — gelt. 21. Kouembet 1917

Die Zeit geht nicht, sie stehet still.

Wir ziehen durch sie hin;

Sie ist ein Nararvanjerai,

Wir sind die Pilger drin.

Ls ist ein weißes Pergament
Die Zeit, und Zeder schreibt
Nit seinem roten Blut daraus.

Bis ihn der Strom vertreibt.

Dotyrkb Keller

SlegfriedSinzheimer,
unser Wegegenosse und Schaffens-
kamerad, der zu früh für die Seinen und
für uns die Hände zur ewigen Ruhe faltete,
hat fein weißes Blatt mit raschen, leden-
digen, fast leidenschaftlichen Zügen beschrie-
ben. Ls ist nicht im Winde verweht und im
Strome zerronnen. Zn mehr als zwanzig
gahrbänden der „Fugend" ist es festgehalten,
was er mit uns in selbstloser, hingebungs-
voller Arbeit geschaffen hat.

Zn Worms, dem vielbesungenen Wonncgau
der Minnesänger, rauschte ihm der Rhein
das Wiegenlied. Zweimal durchbrauste der
Schlachtgefang um die 8reiheit des deutschen
Stromes fein Leben.

Dem Wohlklang und der Kraft des Liedes
ist fein Herz treu geblieben fein lebenlang.
Der lebensfrohe Rheinländer war so recht ein
Sucher und Lntdecker im Garten der deutschen

Dichtkunst. Seine Liebe galt ihrem
Neuland, den jungen pflanzgärten,
dem sprossenden Grün, das aus
jugendlichen Wurzeln zum Lichte
treibt, den (Duellen und Bächen, die
jenes Neuland mit stürmischer Hast
durcheilen. An seinem Grabe steht
mancher von den Jungen und dankt
ihm gesenkten Hauptes die fördern-
de Liebe und Fürsorge um sein
Schaffen.

Und auch wir senken die schmerz-
umflorte 8«hne vor dem wald-
überrauschten Hügel des Heimge-
gangenen 8reundes und Arbeits-
kameraden und sprechen in stiller
ärauer die Worte, die Gottfried Keller einst
dem Hingeschiedenen 8reunde Baumgartner
nachrief:

Nit dem Vaterland und allen 8reien
Ging er stets dem goidnen licht entgegen;
8re!heit, licht und Wohlklang, diesen dielen
Galt der Takt von seines Herzens Schlägen.
Was er tat, das tat er recht mit 8leiß
Und beim Schmieden war sein Lisen heiß.

„Zugend"

l

Nächtlich im Lager

Relief hat alles, was ich sehe,

Wenn ich nächtlich durch das Lager gehe.

Dichter Schlaf eniweht aus Ritz und Spalt.
Meine Jugend braust nicht mehr verworren —
Erde murmelt in den Wurzelknorren:

„Werde ruhig! Meine Stirn ist alt!

Sieh, mich schmerzen nicht die scharfen Stoße.
Um der wunden Kreaturen Blöße
Hüll ich lautlos meiner Büsche Schurz.

Lautlos trag ich meine loten Saaten —

Ewig töricht sind die Menichentaten.

Nacht ist weise und der Tag nur kurz.

Einmal war auch ich chaotisch brausend,

Aber von Jahrtausend zu Jahrtausend
Wuchs nach innen meines Blutes Föhn.

Stört Dein Herz der blinden Feuer Wüten?
Sieh die Sterne stürzen in die Blüten
Und die Phosphorkäfer funkeln schön.

Greiser Wein geziemt dein jungen Munde.
Tiefstes Glück steigt aus der späten Stunde —
Oft am Tage scheint die Sonne kalt.

Schmiege Dich getrost in meine Falten,

Lerne Klarheit aus der Nacht gestalten —
Werde ruhig. Meine Stirn ist alt!"

Kurt Erich Meurer
(z. 3t. im Weste»)

Oer Band Nietzsche

Ein Band Nietzsche sollte in die Bibliothek
gestellt werden.

„Stellt mich nicht neben die Vielzuvielen!"
rief er entschieden, „ich bin zum Nachbarsein nicht
geschaffen! Die Bücher, in deren Mitte ich stehen
kann, müssen erst noch geschrieben werden! Gebt
mir ein Stück Grund unter die Füße — aber
neben mir und über mir will ich Freiheit!"

Und da stellten sie den Band Nietzsche einsam
auf's oberste Bücherbrett. Er hatte keinen Nach-
bar, er hatte niemand, an den er sich lehnen
konnte, weder neben sich, noch über sich.

Und da fiel er um. Max Hayek

Parademarsch im Felde

Freiweg, Kamerad! Die Musik spielt,

Als ob unser Kaiser Parade hielt.

Kopf hoch! so wird im Feld paradiert,

Freiweg! wird stets dazu kommandiert.

Da packt es manchen mit Ungestüm:

Wie lange, Musik, noch spielst du ihm?

Kopf hoch! Noch klingt ihm in Reih und Glied
Befeuernd das deutsche Pnradelied.

Ein Lächeln gezeigt! Mein Kamerad, Mi,

Es sieht uns der Himniel so freundlich z»,

Und der Oberst, der Alte, der sonst so barsch,

Er freut sich an diesem Parademarsch!

Die Fenster und Türen sind leer, so leer
Kein deutsches Mädel winkt nimmermehr!

Doch! Hinter den Gräbern blühet noch gar,
Kamerad, ein lächelndes Augenpaar.

O Musik! O Leben! Hat mancher geliebt,

Bis ihnen der Tod seine Hände gibt.

Freiweg, Kamerad! Wer weiß wie lang
Noch klingendes Spiel und Trommelklang?

Karl Weis (ehern. Kriegsfreiwilliger)

*

Zum 12. Dezember 1911

Bor einem Jahre war's: da schlugt Ihr aus
Die Hand, die wir zum Frieden Euch geboten.
Mit Spott und Hohn warft Ihr uns zu den Toten
Und rieft die Welt zu Deutschlands Leichenschmaus.
„Am Ende sind die boekes!" Und weiter triebt
Ihr Eure Völker auf des Irrsinns Pfade,

Ihr spucktet in das Antlitz uns und schriebt:
„Ihr seid erschöpft, drum winselt Ihr um Gnade!"

„Gut!" sagte Hindenburg. „So sei den Herrn
Bewiesen unsre .Schwäche' denn nach Noten!"
Und Riga siel! Und Ösel sank zu Boden!

Und ausgelöscht ist der Savoyer Stern!

Der Hunger, den Ihr Deutschland zugedacht,
Umkrallt mit LI-Bootsfingern Englands Inseln!
In einem Jahre wurde es vollbracht —

Nun, wie gefällt Euch dieses „Gnade-Winseln"? ?

Bor einem Jahr schlugt Ihr den Frieden aus.

O blut'ger Iahrtag, der Euch heute dämmert!
Millionen Leben wiederum zerhämmert!

Und immer weiter geht.der grimme Strauß!

Aus Eurer Söhne Gräbern klingt's empor,

Aus all den Tränen, die die Mütter weinten.
Schwillt Eures blinden Frevels Rnchechor:
„Fluch und Verderben Euch, den

Friedensfeinden!"

Karl Kttlinjger

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Register
Karl Weis: Parademarsch im Felde
Kurt Erich Meurer: Nächtlich im Lager
Max Hayek: Der Band Nietzsche
Karl Ettlinger: Zum 12. Dezember 1917
Redaktioneller Beitrag: Dr. Siegfried Sinzheimer †
 
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