Feldpost Im Schnee
Ludwig Putz (Kriegsmalef)
geht!" Und so oft sie bei dem Christusbild im
Herrgottswinkel vorüber kommt, verhält sie immer
eine Weile den Schritt und seht noch vertrauens-
voll und eindringlich hinzu: „Gelt, mein lieber
Herrgott, Du, tust mir auch weiterhin fein schau'n
auf die Buben, daß ihnen nix geschieht . . ."
„Weiberg'schichten!" grollt dann wohl der
Bauer im Stillen und ärgert sich dabei. Ärgert
sich über sein Weib und — mehr noch über sich
selber. Denn da will immer etwas aufsteigen in
ihm, das er bisher sein Lebtag nicht gekannt, das
er hasst wie der Teufel das Weihwasser, So
eine Bangigkeit ist das — fast schon wie Angst,,,
Aber der Burgstaller mühte nicht der Burg-
staller sein, um einer solchen Regung nicljt immer
bald wieder Herr zu werden. Zum Kuckuck
auch! War es denn nicht als halbwüchsiger Bub
schon sein liebstes Vergnügen gewesen, einen
Fichtenslanun zu erklettern und sich auf dem
abgesügten Wipfel auf den Kopf zu stellen? War
ihm ein Versteigen in den Wänden oder eine
tolle Wirtshausrauferei je mehr als „eine Hetz"
gewesen? In der schönen Zeit nämlich, bevor ihm
der stürzende Waldriese den Fast zerscl>mcttcrt
hatte, in der Zeit, da er noch der gefürchtete
Wildschütz gewesen war. . .
Einmal in diesen langen drei Jahren ist der
Ferdl, sein Ältester, auf Urlaub zu Hause ge-
wesen. Krankenurlaub. Grad' aus dem Spital
heraus. Und immer noch ohne Auszeichnung —
wenn man nicht den von einem Kugelschuh durch-
bohrten Arm in der weißen Schlinge als solche
gelten lassen wollte.
Das wollte aber der Alte natürlich nicht.
„Frei eine Dummheit is ’s, sich von der Weiten
nnschießen lassen wie ein Stück! Wildpret!" fuhr er
den Fcrdl an. Und weil ihm dabei seine einstigen
Raubschützenabenteuer in den Sinn kamen, fuhr
er lehrhaft unterweisend fort: „Zu was gibt's denn
Baumstämme und Steinfelsen auf der Welt? Da
duckt man sich halt schnell dahinter —“
„Ja, wann's solche gibt!" fuhr ihm der
Ferdl lachend ins Wort. „Wenn aber nix is als
ein Boden, so brettclcben wie eine Kegelstatt, —
kein Berg, kein Stein, kein Baum, — grad' nur
Dreck und Wasser-"
Da schüttelte aber der Bauer energisch den
Kopf. „Ein so ein Land kann's ja gar nit geben!"
entschied er. „Und wann's es geben tat’, dann
müßt' man halt aufspringen und müßt' den Russen
niederhau'n, bevor er noch Zeit hat, die Büchsen
anzulegcn. — Krcuztcufcl, wann ich die elendig'»
Haxen nit hätt', ich möchl' Euch 's schon weisen,
wie man's macht!"
Bei solchen Reden verschlug cs der Bäuerin
erst die Stimme. Dann aber kreischte sie plötzlich
angstvoll auf: „Was tust mir denn den Buben
verhetzen auch noch? Is 's denn nit g'nug, daß
er den zerschossenen Arm da hat? Und is er denn
nit eh so ein Wildling, wie Du selber einer bist?"
Der Bauer streifte mit einem stolzen Blick
seinen Ältesten. Ein Wildling, ja — das ist der
Ferdl sein Lebtag gewesen. Ganz wie der Vater..
Aber dann versteckte er seine Anerkennung doch
wieder hinter einem zornigen Brummen. „Sein
halt nix mehr wert, die heutigen Buben. Denk'
nur einmal an den Lois, den Trauminit! Ich
mein' frei, der hängt sich im Krieg noch allerweil
ans Seiteng'wehr von fein' Vordermann an, wie
er sich zu Haus immer an Dei Kittelfalten an-
g'hängt hat."
Der Lois ist nämlich von jeher des Burg-
stallers Sorgenkind gewesen. Nicht wegen Krank-
heit oder Schwachscin — beileibe nicht. Der Lois
ist gerade so ein Mordskerl wie sein älterer Bruder,
der Ferdl. Aber sonst halt gar kein richtiger Burg-
staller. Wenn die anderen Buben am Sonntag
auf die Kegclstatt gezogen waren oder auf den
Schicßstand, hat sich der Loisl daheim in den Obst-
garten verkrochen und hat eines der alten Kalen-
derbüchl oder sonst einen gedruckten Wisch durch-
studiert, als ob da weiß Gott was Merkwürdiges
drin zu lesen wäre. Nicht anders, als ob er hätte
Advokat oder Pfaff werden wollen. Und ist er
ja einmal unversehens in eine Rauferei geraten,
so hat er sicher wollen den Fricdcnstifter spielen,
statt dem Nächstbesten ein Bierkrllgel an den Kopf
zu schmeißen. Und sowas will ein Burgstaller-
Bub sein! Und sowas schickt der Kaiser ins Feld,
um gegen die Russen zu kämpfen!
Zornig auflachen mußte der Bauer, als er irr
feinen Betrachtungen an diesem Punkt angelangt
war. Und so oft seitdem die Rede auf den Krieg
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Ludwig Putz (Kriegsmalef)
geht!" Und so oft sie bei dem Christusbild im
Herrgottswinkel vorüber kommt, verhält sie immer
eine Weile den Schritt und seht noch vertrauens-
voll und eindringlich hinzu: „Gelt, mein lieber
Herrgott, Du, tust mir auch weiterhin fein schau'n
auf die Buben, daß ihnen nix geschieht . . ."
„Weiberg'schichten!" grollt dann wohl der
Bauer im Stillen und ärgert sich dabei. Ärgert
sich über sein Weib und — mehr noch über sich
selber. Denn da will immer etwas aufsteigen in
ihm, das er bisher sein Lebtag nicht gekannt, das
er hasst wie der Teufel das Weihwasser, So
eine Bangigkeit ist das — fast schon wie Angst,,,
Aber der Burgstaller mühte nicht der Burg-
staller sein, um einer solchen Regung nicljt immer
bald wieder Herr zu werden. Zum Kuckuck
auch! War es denn nicht als halbwüchsiger Bub
schon sein liebstes Vergnügen gewesen, einen
Fichtenslanun zu erklettern und sich auf dem
abgesügten Wipfel auf den Kopf zu stellen? War
ihm ein Versteigen in den Wänden oder eine
tolle Wirtshausrauferei je mehr als „eine Hetz"
gewesen? In der schönen Zeit nämlich, bevor ihm
der stürzende Waldriese den Fast zerscl>mcttcrt
hatte, in der Zeit, da er noch der gefürchtete
Wildschütz gewesen war. . .
Einmal in diesen langen drei Jahren ist der
Ferdl, sein Ältester, auf Urlaub zu Hause ge-
wesen. Krankenurlaub. Grad' aus dem Spital
heraus. Und immer noch ohne Auszeichnung —
wenn man nicht den von einem Kugelschuh durch-
bohrten Arm in der weißen Schlinge als solche
gelten lassen wollte.
Das wollte aber der Alte natürlich nicht.
„Frei eine Dummheit is ’s, sich von der Weiten
nnschießen lassen wie ein Stück! Wildpret!" fuhr er
den Fcrdl an. Und weil ihm dabei seine einstigen
Raubschützenabenteuer in den Sinn kamen, fuhr
er lehrhaft unterweisend fort: „Zu was gibt's denn
Baumstämme und Steinfelsen auf der Welt? Da
duckt man sich halt schnell dahinter —“
„Ja, wann's solche gibt!" fuhr ihm der
Ferdl lachend ins Wort. „Wenn aber nix is als
ein Boden, so brettclcben wie eine Kegelstatt, —
kein Berg, kein Stein, kein Baum, — grad' nur
Dreck und Wasser-"
Da schüttelte aber der Bauer energisch den
Kopf. „Ein so ein Land kann's ja gar nit geben!"
entschied er. „Und wann's es geben tat’, dann
müßt' man halt aufspringen und müßt' den Russen
niederhau'n, bevor er noch Zeit hat, die Büchsen
anzulegcn. — Krcuztcufcl, wann ich die elendig'»
Haxen nit hätt', ich möchl' Euch 's schon weisen,
wie man's macht!"
Bei solchen Reden verschlug cs der Bäuerin
erst die Stimme. Dann aber kreischte sie plötzlich
angstvoll auf: „Was tust mir denn den Buben
verhetzen auch noch? Is 's denn nit g'nug, daß
er den zerschossenen Arm da hat? Und is er denn
nit eh so ein Wildling, wie Du selber einer bist?"
Der Bauer streifte mit einem stolzen Blick
seinen Ältesten. Ein Wildling, ja — das ist der
Ferdl sein Lebtag gewesen. Ganz wie der Vater..
Aber dann versteckte er seine Anerkennung doch
wieder hinter einem zornigen Brummen. „Sein
halt nix mehr wert, die heutigen Buben. Denk'
nur einmal an den Lois, den Trauminit! Ich
mein' frei, der hängt sich im Krieg noch allerweil
ans Seiteng'wehr von fein' Vordermann an, wie
er sich zu Haus immer an Dei Kittelfalten an-
g'hängt hat."
Der Lois ist nämlich von jeher des Burg-
stallers Sorgenkind gewesen. Nicht wegen Krank-
heit oder Schwachscin — beileibe nicht. Der Lois
ist gerade so ein Mordskerl wie sein älterer Bruder,
der Ferdl. Aber sonst halt gar kein richtiger Burg-
staller. Wenn die anderen Buben am Sonntag
auf die Kegclstatt gezogen waren oder auf den
Schicßstand, hat sich der Loisl daheim in den Obst-
garten verkrochen und hat eines der alten Kalen-
derbüchl oder sonst einen gedruckten Wisch durch-
studiert, als ob da weiß Gott was Merkwürdiges
drin zu lesen wäre. Nicht anders, als ob er hätte
Advokat oder Pfaff werden wollen. Und ist er
ja einmal unversehens in eine Rauferei geraten,
so hat er sicher wollen den Fricdcnstifter spielen,
statt dem Nächstbesten ein Bierkrllgel an den Kopf
zu schmeißen. Und sowas will ein Burgstaller-
Bub sein! Und sowas schickt der Kaiser ins Feld,
um gegen die Russen zu kämpfen!
Zornig auflachen mußte der Bauer, als er irr
feinen Betrachtungen an diesem Punkt angelangt
war. Und so oft seitdem die Rede auf den Krieg
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