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lauschenden Kunstbegeisterten. Er schloß zeit-
weise wie in Verzückung die Augen und bog
den Oberkörper nach außen. Wenn er sie
wieder öffnete, schien er aus einem Traum zu
erwachen. Er hatte sehr dunkle, schwermütige
Augen. Er ließ sie über das Publikum gleiten,
mit einem Ausdruck bedauernden Mitleids,
das eigentlich ihm selber galt. Und plötzlich
tasteten seine Blicke über das feine, in weißem
Fell versinkende Gcsichtchen mit dem halbge-
öffneten Mund, durch den die Zähne schimmer-
ten, wie bei einem schlafenden Kind. Und sie
tasteten weiter, zart und vorsichtig, bis zu den
kleinen Händen, an denen der neue Ehering
seltsam glitzerte. Und er sah, daß sie 18 Jahre
alt, und vermutete, daß sie vier Wochen ver-
heiratet und noch nie in einem Kabarett ge-
wesen war.

Sie saß da, streichelte mit den kleinen, ner-
vösen Kinderhänden über die dunkelroten Rosen,
die sich in dem Kübel zwischen kleinen Eis-
blöcken zu Tode überkühlten, nippte manchmal
an dem Spitzglas und lächelte ihrem Mann
zerstreut zu. Als sie den langen streichelnden
Blick des Klavierspielers an sich tasten fühlte,
blickte sie auf und wurde ein wenig rot.

Auf dem kleinen, in gelb und gold drapier-
ten Podium wechselten die Nummern.

Eine junge, üppige Chansonette sang mit
den entsprechenden Gebärden:

Das ist der Busen —

Das ist der Busen —

Das ist der Busen-der Natur . ..

Die kleine Frau in Weiß saß da, wie ein
kostbares und ungemein feines Porzellan-Fi-
gürchen unter einem Glassturz. Es war, als
könnten die gewagten Witze nur bis auf eine
gewisse Entfernung an sic heran, als zerschel-
len sie an einer durchsichtigen aber undurch-
lässigen Mauer, die sie von den übrigen trennte,
und hätten dadurch ihren Inhalt und ihre Be-
deutung verloren.

Der Klavierspieler schloß die Augen. Er
saß jetzt wirklich in einem Konzertsaal vor kunst-
begeistertem Publikum. Er spielte die „populären
Chansons", als wären es Beethovensche Sym-
phonieen.

Als die kleine Frau wieder seinem langen
streichelnden Blick begegnete, wurde sie dunkelrot.
Sic dachte: „Was der Mensch für komische Augen
hat. . . Künstleraugen. . ."

In der Loge nebenan stand ein Herr auf und
trank ihr zu.

Es war eigentlich sehr heiß.

Sie ließ den Fuchs ein wenig lockerer, so daß
ihr schlanker, zierlicher Mädchenhals frei wurde.

Das Publikum begann warm zu werden. Man
sang mit und wiegte den Takt.

Auf dem gelb und goldenen Podium wechsel-
ten die Nummern.

Ein blondes Mädel stand oben, mit unschul-
digen Bergißmeinnichtaugen und sang:

Es kommt ja vor — ich leugne es nicht —

Daß eine Frau die Treue bricht.

Ich Hab schon manche Frau gekannt,

Die mit dem Freunde durchgebrannt.

Doch hält sie es nicht lange aus
Und kommt auf ja und nein nach Haus
Und spricht zu ihrem Manne:

„Nur du bist meine Flamme!

Ich liebe doch nur dich, mein Kind!"

Da sieht man erst, wie treu wir Frauen sind . . .

Das Publikum klatschte.

Die kleine Frau in weis; lächelte. Ganz fein.

. . . Und diesmal war es nicht das Lächeln einer
kostbaren Porzellanpuppe. Es war das Lächeln
einer verheirateten Frau.

Der Klavierspieler träumte: Ich spiele vor einer
Königin . . .

Sie fühlte seinen streichelnden Blick . . .

Als sie den Saal verließen, trug sie den könig-
lichen, weißen, breiten Polarfuchs über dem Arm.
Ihr Mann ging hinter ihr und fand, daß das

F. A. Burger

Sein Vorschlag

„Vermögensabgabe nach dem lirieg? — Wee! Aber
für 'neSchuldenabgabe wäre ich zu haben!'

weiße Taftkleid eigentlich ein bißchen sehr aus-
geschnitten war, und sagte deshalb:

„Willst Du den Pelz nicht lieber umnehmen?
Du wirst Dich verkühlen . . ."

Sie schüttelte den Kopf und lächelte . . .

Die Kapelle spielte einen Marsch . . .

Der Klavierspieler erwachte aus einem Traum.
Er suchte mit den dunklen, schwermütigen Augen
den dichten Mcnschenknüuel ab, der sich an dem
Ausgang staute . . .

9!m nächsten Morgen saßen sie sich am Früh-
stückstisch gegenüber. Sie sprach viel von dem
gestrigen Abend.

Sie war 18 Jahre alt, erst vier Wochen und
einen Tag verheiratet und gestern zum ersten Mal
im Kabarett gewesen.

Er hatte eine Glatze, war gegenwärtig auf
seine eigene Frau eifersüchtig und zwar in dem
Stadium, in dem man sich zu ärgern beginnt.

„Du," sagte sie, „der Klavierspieler war sicher
ein verkrachter Künstler. Er hatte so komische
Augen . . . Künstleraugen. . . ."

Er sagte: „Du hast recht, wir werden nicht
mehr in ein solches Lokal gehen. ..."

„Warum nicht?" sagte sie. „Ich habe mich
großartig unterhalten. . . . lind dann — es ist
doch gar nichts dabei...." Käthe Wilhelm

*

Gleicdnis

Auf schmalem Saumpfade zog ein
Wanderer mit seinem wohlbepackten Maul-
esel. Um die Gegend ganz zu überschauen,
beugte sich der Wanderer über den Abhang,
ward vom Schwindel erfaßt und stürzte in
die grausige Tiefe. Der Esel aber trottete
sicheren Schrittes weiter. Kurt Bauchwitz

Geschichten für Lesebücher

Paßt auf!

Wer kennt nicht die Geschichte von der
faulen Grille? Im Sommer wollte sie nicl>t
arbeiten und mußte in logischer Konsequenz
dieser tiefbctrüblichen Tatsache im Winter elend
verhungern, dagegen die fleißige Biene in Hülle
und Fülle lebte.

So stand's in den Lesebüchern, wie ich ein
kleiner Bub noch war (und das ist lang her),
so stcht's sicher auch noch heut. Die Geschichte
hat mich immer kolossal gefreut. Nun möcht'
ich selbst für Lesebücher sel>relben, aber mir
hapert's immer mit der Moral.

Ich will's noch einmal versuchen — und
zwar diesmal aus dem Tierreich der Menschen.

Die Fleißigen und die Faulen
Die Fleißigen plagten sich, trugen Mörtel,
schleppten riesige Steine und bauten einen herr-
lichen Palast. Und die Faulen lagen in der
Sonne, sahen zu und gähnten.

Da fiel mir die Geschichte ein mit der Grille.
„Ja, ja," sagte ich, „dafür werdet ihr auch
in dieser elenden Erdhöhle da wohnen, die
Fleißigen dagegen im Palast, den sie bauen."
Doch die unvernünftigen Faulen lachten dazu.

Aber als ich nach Jahresfrist hinkam, da
wohnten die Fleißigen in der Erdhöhle, die Fau-
len aber im Palaste. Und woher kommt das?

Das kommt sicher davon, daß Lesebücher
noch immer nicht die genügende Beachtung
finden. - * * *

Der Streit der Tiere
Die Tiere waren wieder einmal recht ehr-
geizig, jedes maßte sich die vorzüglichsten Eigen-
schaften an und sie stritten auf das heftigste.

„Muh," sagte die Kuh, „ich geb' dem Men-
schen Fleisch, Milch und Butter und außer-
dem mein gefälliges Außeres, wenn er, die
Natur zu bewundern, die Alm ersteigt."
„Außeres hin — Außeres her! — Ich geb'
jenen mein Innerstes; haben Sic schon bei Tonello
Ganslebcr gegessen — mit Schalet ä la Polo-
naise?" schnatterte die Gans.

„Iessas," das Schwein sah gereizt um sich,
„was sich dö Ganslgans nöt einbüld! Was sag
dann i? Mein Kopf mit ancr Zitron in der
Goschen is die Zürde cinös jödcn christlichen
Etablissements."

„Hei! Ich trag' den Menschen in die tobende
Schlacht. Ich bin ein Held. Das hat schon die
Schalek bestätigt — in der ,Neuen Freien',"
wieherte das Roß.

„Nichts geht über meine Treue, Hau! Hau!
Hau! Ich bewache Haus und Hof und in jüng-
ster Zeit werde ich sogar manchmal gegessen!"
Der Hund vergoß Tränen der Rührung, so gut
hielt er sich.

Der Fuchs, der lange Zeit zugehört hatte,
schlich vergnügt davon. „Gottlob, ich bin durch und
durch unbrauchbar," murmelte der alte Sünder.

, Walter Mager

Liebe Lugend!

Lei einer Landwehr-Division im Gsten wird
ans dem kseldenfriedhof das von den: Landwehr-
mann l). geschaffene Denkmal eingeweiht. Einige
Tage später las man in einer Feldzeitung in der
Beschreibung der Einweihungsfeierlichkeit folgenden
Passus: „Der Ejcrr Regimentskommandeur über-
nahm das Denkmal und dankte seinem Schöpfer,
dem Landwehrmann £).!"

*

Wahres Geschichtchen

Die vierjährige Lotte hat einen kleinen Bruder
von sechs Wochen. Neulich soll sie gestraft werden
und ITtuttt hebt eben die Isand zu einem Alaps,
da ruft Lotte: „Du darfst mich nicht aufregen, ich
nähre vier Puppen und meinen Bär!"

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[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
Walther Mayer: Geschichten für Lesebücher
Ferdinand Albert Burger: Sein Vorschlag
Kurt Bauchwitz: Gleichnis
 
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