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verrückt gemacht ... sie hat mir ewig nur vor-
geredet, ein Mann würde mich niemals lieben . . .
weil sie mich immer für häßlich hielt ... ich sterbe
nach Liebe!"

Da war ein Wahnsinn in beide gefahren, der
sich erst vollkommen erschöpfe^ mußte. Ehe die
beiden sich selber endlich wieder erkennen konnten.
Und dann schnell den Plan schmiedeten, zu ent-
fliehen.

Am nächsten Morgen, als Baronin Dexter von
ihrer Ausfahrt heim kam, erschien der Oberkellner
vergeblich, Frau von Reffici und Santa oben in
ihren Zimmern suchen und rufen.

Die alte Baronin stand wie eine Steinfigur.

Wie noch Felix und Selma kamen und sagten,
daß Santa einen Hauptteil der Koffer und die
Schatulle mit sich genommen.

Erst nach vierzehn Tagen kam ein Zeichen.

Irgendwoher.

Dann ein Brief von Santa. Aber ohne Adresse.
Darin stand, daß Santa heiraten würde.

Endlich nach vierzehn Tagen Fegefeuer für
die alte Baronin kamen nervöse Krakel:

„Mutter ... komme ... so schnell als möglich!"

Da stand auch die Adresse.

Da war auch die Baronin Dexter wieder hoch-
geschnellt und aus dem Kronenhofe in Wien eiligst
abgereist. Und fand Santa nach einer widerwär-
tigen Seereise in einem Hotel in Tunis.

Gänzlich zerrüttet zunächst.

„Dieses vornehme Weib.... diese hämische
Kröte .. . diese . . . diese .. . war ein Mann . ..
ein Libertin ... ein Dieb... ein Gauner . . .
fort.... mit allen Koffern .... mit allem....
fort .. . spurlos fort . .."

Die junge, geschwächte, atemlose Santa konnte
wie eine böse Hexe die Finger gar nicht aus-
einanderbringen von Haßkrampf.

Zerrieb sich.

Sprach gellend.

Hatte keine Tränen. Nur vernichtenden Abscheu.

„Denk Dir ... Mama . . . nein ... ich sterbe
. . . diese Schmach . . . mein Mann . . . niein
Mann . . ."

Dieser Zustand dauerte ziemlich lange. Dabei
sprühte sie lüsternen Glanz aus den jungen Augen.

Man inerkte ihr an, daß sie ein Weib war.

Die Mutter hatte jetzt jede Gewalt über sie
verloren.

Den freihcrrlich Dcxter'schen Damen ist ver-
mutlich eine Last von der Seele genommen ge-
wesen, daß das Geheimnis der Frau von Reffiei
trotz eingehendster Verfolgungen und auch heim-
licher Nachforschungen nie an den Tag kam.

Santa hat dann auf einem entfernten Guts-
hause ihrer Herrschaft einem Kinde mit einigen
Mühen das Leben gegeben.

Und das Kind gedieh.

War stark.

Wuchs.

Und Santa wuchs an ihm zur ruhigen Flantme
der Mutterliebe.

Den Mann hatte sie in tiefstem Abscheu weg-
geworfen.

Wie er, und das begriff Santa neu, ihre
verkrümmte Jämmerlichkeit.

Aber ihre eingekerkerte Seele dehnte sich jetzt
frei. Und es kamen reiche Muttergesänge über
das Kind geflogen.

Santa erlog süße Märchen von des Kindes
Vater, wie es heranwuchs.

Ein kleiner, citronengelber, stumpfschwarzer
Junge.

Der Junge Santas wähnte sein ganzes Leben
lang nur, daß sein Vater ein herrlicher Wagehals,
ein kühner Abenteurer, ein Tollkopf, ein rechter
Lebenskünstlcr, ein das Leben meisternder Indi-
aner gewesen.

Eo wuchs der seltsame Zunge aus der lieb-
lichen Lüge der singenden Mutterseele auch frei auf.

Wuchs sich selber stolz und aufrecht in die
Zukunft derer von Dexter. Seltsam fremdartig.
Aber von höchst persönlichen Gaben.

Der Kampf mit dem Engel

Bon August Bermeplen

Es ward Abend über den Wäldern und dein
Lande; allein der ferne Himmel brannte noch in
dem großen Schweigen — und mein Herz war
voller Abendverlasienheit.

Müde war ich der grauen, unnützen Ange-
sichter der Menschen, der Freunde, die mich nicht
lieb hatten, und müde selbst der Frauenzärtlichkeit,
welche sich gänzlich verschenkt, wähnend, es gäbe
nichts Höheres als lässige Liebesseligkeit.

Aber so war es gut: einsam in dieser Kühlen
Nacht, darein alles versank.

Ich konnte mir selber lauschen. Mit keinem
Menschen gab es mehr zu Kämpfen. So war es
gut. Ruhen freilich konnte ich nicht:

Und ich wußte nicht, was ich begehrte, das
Leben oder den Tod.

Tief umfing mich die Nacht. — Wirst Du nun
schweigen, grausames Herz?

Ich wußte nicht, was ich begehrte .... Ich
war müde.

Aber jetzt — ich zittere noch beim Daran-
denken —, jetzt trat einer auf mich zu, aus der
Dämmerung, und schien gekleidet in die Glut
meiner tiefsten Seele —, kam mit der schreckhaft-
stillen Gewalt des Todes, aber leuchtend, als wie
die Flamme des schönsten Lebens.

Licht und Finsternis rangen um Ihn; ich konnte
das Licht Seines Wesens nicht ertragen, konnte
nicht in den tödlichen Glanz Seines Gesichts
blicken und ich schrak zurück; Er aber legte
Seine Hand auf mich, damit ich niederkniete.

Nein, nein, ich will nicht! — Ich schrie vor
unmenschlicher Angst, nicht wissend was ich tat —,
ich schlug einen Arm um Seine Lende und suchte,
das Haupt gesenkt, mit meiner Hand nach Seinen:
Antlitze, verzweiflungsvoll. Aber ich fühlte meine
Beine knicken, fühlte mich hintüberfallen. Wer bist
Du? Wer bist Du? — Ich sprang wieder empor,
mit meinen zwei Händen nach Seinen Augen —,
er wendete Sein Haupt, ich konnte es nicht zu
mir heranziehen —, auch ich schwieg nun, um
alle meine Kräfte gegen Ihn zu stemmen —, lange
währte der ächzende Streit —, gebrochen war mir
Haupt und Herz — mußte ich sterben, so wollte
ich doch erst Seinen Blick in den meinen ge-
zwungen haben! ....

Ich habe Sein Angesicht nicht gesehen.

Ab und zu war Er wie ein Blitz, der inich
wild umfittichte, ich fühlte die Ohnmacht in mir
steigen, ich fiel ... O laß mich Dich anschauen,

Aschermittwoch Burger-Mühlfeld

und daß Dein Licht mich versenge, auf daß ich
nichts mehr bin als Flamme in Deiner Flamme!

— Er aber hob mich vom Boden, Er stieß mich
vorwärts, Er trieb mich vor sich her, durch alles
durch, nach unbekannten Tiefen .... Ich will
nicht! Ich will nicht! Ich will nicht sterben!

Überall klaffte das Bodenlose, woraus Feuer
schlug. — Mir schwindelte davon —, weiter
kämpfen konnte ich nicht —ich weiß nicht mehr,
was sich begab . . .

Als endlich des Morgens sanfter Schimmer
erschien, lag ich nackend, zerbrochen, mein Blut
floß aus meiner Brust, floß aus meinem Haupt:
in weitem Bogen kreiste Er über mir, der riesige
räuberische Lichtvogel, und sang Seinen Sieg
hinaus, immer höher, immer höher, bis Seine
freisliche, Seine engelschöne Glut eins ward mit
dem ewigen Lichte des Himmels.

Aus mir aber stieg nun derselbe Sang —, aus
meinem zerbrochenen Haupte, aus meinem zer-
brochenen Herzen sang ich Ihm die Antwort des
Abgrundes entgegen, mit gereckter Kehle, über
Leben und Tod, den rasenden Sang meines, ja,
meines Siegs! . . .

Dann allenthalben die stille Klarheit, und beim
Getröpfel meines Blutes hörte ich überall in der
jungen Tagesfrühe das allzeit neue Gesäusel der
Schöpfung wieder anheben.

Der Tag ist groß und mächtig rund um mich
her geworden: es war, als Hütte ich noch nie
einen so lauteren Tag gesehen, und durch alle
anderen Tage hinspielend ist in meinen dankbaren
Augen etwas von feinem Wunder geblieben.

Biele andere Tage Hab' ich seit diesem erlebt,
hell das Haupt, die Hände voller Werk; aber im
ganz Stillen der rastenden Stunden habe ich noch
den Schauer gefühlt von den großen Flügeln um
meine Seele.

Und kommt Er nochmals und will mich mit
meinem armen Leibe durch brennende Düsternis
treiben, nach wer weiß welchen Ländern des un-
erträglichen Lichtes oder der Nacht und des Wahn-
sinns, so will ich den Kämpfer froh begrüßen, irl,
fürchte Ihn nicht, ich bin bereit: möge hinter mir
alles, alles absinken, und dann steige, wo ich
überwunden liege, Unser Gesang. Uber mich
selber, über Leben und Tod, steige er, Unser beider
Siegesgesang!

Aus dem Flämischen von Dr. H. M. Huebner.

*

Aphorismen

Bon Dr. Baer (Oberdorf)

Reden ist Silber. — Bon sich reden machen

— ist Gold.

Die Flamme, die das Haus erwärmt und
Brot bäckt, schlägt nicht zum Dach hinaus.

*

Wer ausgeht, einen Tiger zu erlegen, darf
nicht mit einem Hafen nach Hause kommen.

*

Ein trauriger, schlechter Schmied, — der
nur Schmied sein kann des eigenen Glücks.

*

Man würde über Wert und Wesen vieler
Menschen sich gar nicht täuschen, wenn man
wüßte, — wie viel Geld sie besitzen.

*

Wenn's in der Gemeinde brennt, sollen
Ratsherrn, Bürgerschaft und Bürgermeister
nicht streiten um den Platz an der Feuerspritze.

irm
Register
Fritz Burger-Mühlfeld: Aschermittwoch
August Vermeylen: Der Kampf mit dem Engel
Dr. Baer: Aphorismen
 
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