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Die 3ITttffer betet

Die Mutter betcf. Fühlst du das?

Du bist sc> seltsam bleich und blaß!

Der Tod, sagst du, griff nach dir aus? —
Uitö kamst doch aus der Schlacht heraus?

So riß dich wohl ein Arm zurück.

Der stärker ist, als dein Geschick?

Hans Heidfieck

Letzte Frage

Seele, wie ward ich dein?

Bin ich in Werdens Not
Au dich hin gebrandet
Und in dir gelandet
Zwischen Leben und Tod?

Seele, wie wird cs sein?

Wenn meine Schmerzen sind
Reif zum letzten Vergehen,

Wirst du mich von dir wehen
Wie ein zürnender Wind?

Wirst du groß und allein.

Ein hellwanderndes Licht,

Wieder im Weiten schweben.

Bis ein anderes Leben
Sich an dir zerbricht?

Margarete Sachse



Gondertalms Segen

Novelle von Adrien Turel

Die Insel lag wie eine winzige Schildkröte
im Meer verloren. Wenn die Fluten glatt und
dunstfrei waren, sah man auch von der höchsten
Düne kein Land und auch nicht den Dunst, der
über unsichtbaren Erdteilen schwebt. Zwischen
Himmel und See schloß ein scharfer Kreis diese
kleine Welt in sich ab.

Aber das war nur selten so. Nach kurzer
Stille zerbarst immer wieder dieser Bannring in
sich selbst kreisenden Lebens. In der Ferne
brauten Meer und Wolken ineinander, über das
Eiland spülte die Unendlichkeit hin.

Zuweilen dann setzte der Weststurm mit aller
Kraft gegen die Luvküste an, von der er längst
alles Leben vertrieben hatte. In breiten, tiefen
Schichten trieb er das graugrüne Wasser auf den
flachen Sand. Immer neue Wogen wuchsen über
die erschlaffenden Wogen hin; dünen an. Aber
wie die große Kraft sich auch mühte, tosend, in
Gischt verwühlt, sie trieb das Meer doch nie über
den Berg. Die Wasserlast war zu schwer, viel-
fältig, unfaßbar flüssig; wie in Millionen Kugeln
und Bällen rollte und schlüpfte es immer wieder
bergab unter dem Luftstrom fort. Der Sturm
aber ging weiter über die Düne und jenseits in
die Ferne, gradaus mit seiner großen, heulenden
Stoßgewalt. Nur abbiegende Strudel griffen
hinunter in die weite Mulde und bis in die
Erdfalte, wo der Hirt Gondertalm bei seinen
Schafen in der Hürde fror.

Geduldig grübelnd wartete er, bis die Witterung
ihm wieder die Freiheit erlaubte. Dann trieb er
seine Herde von neuem hinaus auf das Gebiet
dürftiger Weide, welches im Leeschatten der west-
lichen Hügel lag. Kaum bedurfte es hier des Hun-
des, um die grasenden Tiere zusammen zu halten,
der eisige Wind, der den Kamm abmähte, hielt auch
die frechsten Böcke im wirtlichen Grunde nieder.

So stieg denn Gondertalm von der Sohle des
Tals auf Dreiviertelhöhe des Westhanges hinan,
bis zu seinem „Stuhl", einem flachen Steinsitz,

Kirche St. Nicola in Gent K. Hapke (Unteroffizier)

der durch Jahrzehnte hindurch unter des Alten
wollenen Decken blank gesessen war. Dort hockte
er tagelang noch knapp im Schutze des Mulden-
rands, wenige Fuß über seinem gebeugten Kopfe
heulte der Wind.

Ihm zu Füßen trotteten und grasten seine
Schafe. Jenseits, wo der Osirand der Insel hinter
einer sanften Böschung lag, gewahrte er einzelne
Dächer des Fischerdorfes, Netzstangen und Masten
vom Ankerplatz. Dort hausten einige zweihundert
Fischer. Seinesgleichen einst, jetzt aber seiner Seele
ganz entfremdet. Nur wenn sie krank waren oder
sich vermählen wollten, kamen sie von ihren Be-
hausungen in die Bußeinsamkeit des alten Gonder-
talm, denn sie hatten keinen anderen Arzt und
Priester als ihn.

Den dreiundsiebzigsten Winter seines Lebens
bestand er schlecht. Die Schur im Frühjahr be-
sorgte er fast allein; dann aber ging es immer
schwächer mit ihm, und er mußte den kleinen
Wasserkopf, den letzten Überlebenden seiner Enkel,
ständig um sich haben. Aber so schwer ihm das
Gehen auch fiel, zu seinem Stuhle klomm er immer
noch, wenn die Herde draußen war.

Eines Tages, als es schon dämmern wollte,
sah er die Haube einer Frau vom Dorfe her über
den Kamm auftauchen. Das Mieder, dann auch
der Rock wurden sichtbar, und mit schnellen, zier-
lichen Schritten durchquerte die Dirne das Tal.
Bor ihr her ging eine Unruhe durch die zerstreute
Herde, aber der Schäferhund fiel sie nicht an, da
erkannte auch Gondertalm die schöne Iellah und
sah ihr geduldig entgegen, bis sie vor ihm stand.

„Wie geht es Dir, Bater Gondertalm?" be-
gann sie.

„Nicht gut, Iellah," sagte der Greis, „die
Schur hat mich angestrengt. Meine Beine rinnen
wieder voll Brackwasser. Du siehst, ich muß meine
großen Schaftstiefel tragen, damit sie mir die
Waden Zusammenhalten. Und lange werde ich
es nicht mehr aushalten, es schmerzt zu sehr."

Das Mädchen sah erschrocken aus: „Aber
Deine Füße werden wieder gesund werden? ...
Was spricht Dein Haar?"

„Ich habe mir heute eine Strähne abgeschnit-
ten," sagte der Alte, „als ich sie betrachtete, sah
ich zunächst nichts, ich hatte nicht den Mut. Doch
mit der Zeit vergaß ich, daß sie mir gehörte, und
da gewahrte ich es sofort: Es war das welke

Haar der Sterbenden . . . Pack Dein Dies-
seitsbündel, sagt mein Haar zu mir."

Er sah das Mädchen an, das betrübt
drcinfchaute und von ganz anderen inner-
lichen Dingen glühte. Mit wunderbarer Nach-
sicht sprach er weiter: „Sei nicht traurig, Iellah,
kann ich nicht mehr zum Hochzeits fest, so kommt
wohl das Hochzeitsfest zu mir. Noch ein
Menschenpaar möchte ich segnen."

Die Dirne griff schnell in ihren Lutz und
streckte ihm rotwerdend ein dunkelbraunes Ge-
rlngel hin: „Besser als andere von Händen
vermagst Du Geschick und Gesundheit aus
dem Haar zu lesen. Deute mir dieses, Gon-
dertalm."

Der Greis hielt die Locke dicht vor seinen
Augen: „Ja," sagte er, „das ist Gurms Haar.
Eines glühenden, vollsaftigen Menschen Haar,
dem das Leben bis in alle Spitzen quillt. Wann
hast Du es abgeschnltten?"

„Gestern vor Nacht."

„Wunderbar," murmelte der Alte, „meine
Strähne war kaum von meinem Haupte ge-
trennt, da war sie schon weniger lebendig als
das." Er sann nach: „Iellah," fuhr er fort,
„Du mußt Gurm sehr lieb haben. Er ist stärker
als irgend ein Mensch, den ich kenne. Er
kann DeinFrauenschicksal wunderbar erfüllen.
Denn etwas muß noch geschehen zwischen Mann
und Weib, was noch keinem Menschenpaar ge-
lungen ist."

„Was ist das?" fragte sie scheu und gierig.
„Wenn ich Eure Ehe segne, werd' ich es
Euch sagen, denn Eure Ehe will ich noch
schließen, fester als jede andere."

„Ja, Bater Schäfer, schmiede Gurm unlös-
bar an mich. Daß er mein bleibt wie angesaugt an
meinem Herzen. Du kannst es, denn alle im
Dorfe sagen: was Du zusammentust, das hält."

Er beugte sich vor: „Weißt Du, warum?"

. „Ja," sagte das Mädchen und erbleichte da-
bei, „weil Du einen Zauber hast, die Seelen zu
binden. Weil Du quälen und hassen darfst, ohne
daß man Dich wieder hassen kann. . . Weil Du
Dein Weib mißhandelt hast, durch sieben Jahre,
ohne daß sie aufhören konnte, Dich zu lieben."

„Glaube das nicht, Iellah. Haß weckt Haß.
Nur mit Liebe habe ich Folk an mich gebunden."

Das Mädchen hob hilflos fragend die Hände:
„Wahr ist es, seitdem ich Dich kenne, habe ich
noch nie einen so sanften Menschen gesehen wie
Dich .. . Aber Du hast sie doch geschlagen, immer
von neuem durch sieben Jahre."

„Ich habe sie befruchtet und ich habe sie ge-
prügelt. Seit sie mich allein gelassen hat, habe
id) darüber nachgedacht, warum ich das tat. Sprich
jetzt nicht mehr und geh vor Nacht nach Hause.
An Eurem Hochzeitstage will ich's Euch sagen."

* *

*

Am Hochzeitstage harrten Gurms Gäste des
Ed>äfers vor der Hütte des Bräutigams. Eine
große Windstille lag über der Insel. Schwelgend
warteten sie bei einander stehend. Da trug Gon-
dertalms Enkel ganz außer Atem seinen Wasser-
kopf daher. Dicht vor Gurm und Iellah pflanzte
er sich auf und schrie sie an, aus alter Gewohn-
heit, weil man fast immer schreien mußte auf
diesem Wetternest: „Großvaters Beine sind nidjt
besser geworden. Er kann nicht kommen. Wenn
Ihr ihn sehen wollt, so folgt."

Sie machten ftd) auf den Weg über die Düne
im auffrischenden Wind.

Es waren stattliche Menschen im Zuge, aber
Gurm und Iellah, die an der Spitze gingen,
nahmen sich dod) aus wie Tänzer unter Lastträgern.

Ihrem Sonntagsstaate freilid) sah man erst
recht die Armut an. Aber auch das schmückte ihre
urwüchsige Jugend noch. Wer die Braut sah,
dad>te: was für einem Leibe sind die elenden
Fetzen angehängt.

Den Schafstall fanden sie geräumt. Im Hin-
tergründe zusammengedrängt blökten die Tiere
zwischen den Latten die Fremden an. Gondertalm
selbst saß in der Nähe der Tür, in dem pracht-
vollen blenr/ IV-Sessel, den er dereinst aus dem

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Hans Heidsieck: Die Mutter betet
Margarete Sachse: Letzte Frage
Adrien Turel: Gondertalms Segen
Karl Hapke: Kirche St. Nicola in Gent
 
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