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Die Sonne ist gangen

Oie Sonne ist gangen,
Lrlofchen der Tag.

Wer weiß, was im Dunkel
Mir kommen mag?

Oer Wind hebt ein Summen
Und Klingen an.

3d) habe mein §enster
weit ausgetan.

Ls schleicht durch die Dassen
Nein bös Geschick.

Und die mir entglitten,

Sie kehren zurück.

Ich strecke die Hände
Im Grauen der Nachts
Sie aber gleiten
Und schwinden sacht.

Oer wind schlägt die 8enster
Mit lachendem Wehn. —

Jetzt muß ich einsam
Ins Dunkel gehn.

A. AttenhofÄ

Unterstand

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Mr.

Bauern Kamen und saßen in lautem
Gespräch um langen, braungesirichenen
Tisch, die Wirtin mischte ihre helle
Stimme in ihr dunkellöniges Reden.
Ein starkes Selbstgefühl ging von allen
aus, ein wohliges Behagen. Sie waren,
sie hatten was, die Häuser, die Scheu-
nen und Ställe, die Kirche, das Land
draußen, das sie bebauten, war ihr er-
weitertes Sri), gehörte zu ihnen wie ihr
Rock, ihr Hut oder ihre Hand. Aloys
Strobl fühlte, daß es von ihnen aus-
ging wie eine Wand, die ihn fernhielt,
an der er sich stieß. Da erwachte der
Haß gegen die Besitzenden, die in ihren
Häusern mit ihren blanken Weibern
im Bollen sitzen, ein ruhiges Leben füh-
ren, und sich was gönnen können, wie-
der neu in ihm, und das Bewußtsein
seiner Heimatlosigkeit, seines Ausge-
stoßenseins wühlte in ihm. Die Art,
wie die Bauern breit dasaßcn, auf den
Tisch schlugen, laut disputierten, tran-
ken und ihre feinen Zigarren rauchten,
ärgerte ihn. Er wollte ihnen den
Schädel einschlagen und alle zu Brei
zermürben. Er biß ins Mundstück seiner
Pfeife, rauchte und trank rasch, und
immer fraß in ihm der Gedanke, zurück-
gesetzt zu sein, vernichten zu wollen.
Um zu zeigen, daß er auch da sei, auch
etwas sei, mitreden wolle, fing er nach

Otto Flechtner

Der Wandrer

Mein Her;, mein Herz, du Gottcskind,
wann endlich findest du die Statt,
von der im sonnigblauen wind
Oie Amsel fabelt nimmersatt?

Mein Herz, mein Herz, sieh hier die Bank
Am warmen Rain! In süßem Licht
Lrblüht ein köstliches Gerank,

Mein Herz, mein Herz, genügt das nicht?

Oie weite Lrde ist ein Haus
voll Rot und Leid und Lustbarkeit,

Mein Herz, werd' endlich klug daraus,

Denn unstät bleibst du allezeit.

Wilhelm Schüssen

Lite Stadt

Lin Giebeldach, daraus der Mond sich dehnt.

Lin altes Tor, in dessen Laub der wind
Großvater-alte, liebe Weisen sinnt.

Bis er die Harse an die Mauer lehnt.

Lin Brunnen-Neptun, der beflissen gähnt,

Oie Türen breit, die 8enster klein und blinde
welker Lavendeldust aus Truh und Spind.

Nie Hab' ich mich nach allem so gesehnt,

Nie stand ich so vor meines Ldens Tor,

Nie fühlte ich so heiß, was ich verlor.

Ich will die Augen schließen, still und fest,

2u einem Schlafe, der mich träumen läßt,
vielleicht rauscht mir das Laub, strömt mir der Schein
Oes guten Monds in meinen Traum hinein.

Robert Hohlbaum

Aloys Strobls Rache

Bon Hans Christo p h A d e

Der alte Handwerksbursch Aloys Strobl tappte
mit müden Schritten über die verschneite Landstraße,
die sich von Horizont zu Horizont als lange, ent-
fliehende Baumreihe hindehnte. Eiswind fuhr
von Osten über die Schneefläche her, die von der
roten Abendsonne überhellt dalag. Ein Pfeifen
und ein Geklirr von verwehtem Schnee kam im
Wind mit her, die Bäume der Landstraße rauschten
dunkel auf. Irgendwo im Weiten krächzten Bügel

Aloys Strobl ging mit müden Knieen und
hielt den Kopf gesenkt, aus dem graue Augen
scharf und böse heraussahen. Er war durchfroren,
der Hunger knurrte in ihm, und machte ihn
schwach. Manchmal brummte er Worte vor sich
hin, Haßworte aus unsäglicher Verbitterung und
grenzenlosem Neid herausgestoßen. Manchmal riß
er die Hand aus der Tasche und schlug in die Luft,
um seinen Flüchen mehr Kraft zu geben; aber die
Kälte machte ihm die Finger klamm und besiegte
ihn, daß er sie wieder in die Tasche steckte. Seine
Augen bohrten fid) in die Weite, die sid, in dem
niedersinkenden Abend verengte, und plötzlich zeigte
sid) mit roten, heimatlieben Liditern anflcuchtend
sein Abendzicl an, das Dorf. Nun ging er rnfdjcr,
fein Schritt knirschte im Schnee auf, verstummte
und knirschte unwillig wieder auf. Ein Baum
nach dem andern blieb hinter ihm, er tadelte und
verhöhnte jeden.

Die Külte wurde grimmiger, die Nad)t sank
nieder, am Himmel blühten ferne, kalte, zitternde
Sterne auf. Die Eisnaä>t weitete fidj unendlich,
und die wenigen Gehöfte des Dorfes duckten fid) eng
zusammen. An ihren vereisten Fenstern floß das Lam-
penl!d)t rot auseinander, Stimmen von Männern,
Frauen und Kindern klangen undeutlich heraus.

Aloys Strobl fühlte eine Wärme, als er am
ersten Hause ankam, das sid) unter seiner Schnee-
last an die Erde hindrückte. Er wurde freund-
lidjer, und als er im Wirtshaus war, setzte er
sid) behaglid) zum Ofen und wärmte sich. Beim
Ofen, der seine Hitze wie eine Last ausspic, wurde
ihm heimatlich zumute, er stopfte seine Pfeife und
stieß vorsid>tig blaue Wolken aus.

w<4k heftigem Paffen aus seinen Rauchwolken
*lid; S zlt reben an: „Kalt is heint." Die
Bauern drehten kaum den Kopf und
sahen ihn mit einem Auge von der Seite
an. „Io, kalt is heint," sagte einer
zurück, dann drehten sie sid, wieder,
daß der Handwerksbursch die undurchdringliche
Mauer zwischen sid> und ihnen fühlte. Er saß
und zerkaute fid) den struppigen Bart, tausend
Erinnerungen gleicher Zurückstoßung und Ver-
höhnung wachten in ihm auf, zugleid) fühlte er
eine Befriedigung, daß es mit seinem Haß beim
Eliten blieb, und daß er heute ansgestoßen war
wie sonst. Er brütete in sid) hinein, brummte
wilde Verwünschungen gegen den Herrgott vor
sid> hin und lästerte gegen die Ungerechtigkeit der
Welt. Seine Klagen drohten durd) das Gastzimmer
hin und her. Er wollte die Bauern, das Haus,
die ganze verdammte Welt zerschmettern mit seiner
Faust und dann dasitzen und Indien! Mit großer
Deutlichkeit stellte er fiel) die Verwüstung vor, er
sah, wie alle zitternd vor ihm knieten, die Hände
aufhoben, beteten, wimmerten, auf die Kinder
zeigten — aber er vernid)tcte sie mit einer Kraft,
die von seiner Brust ausging, verniästete, zermalmte,
bis alle dalagen und hin waren, wie Fliegen!
Die Gedanken standen in seiner Brust wie ein Gerüst,
stärkten, bermifdjtcn ihn. Auf einmal verdidstete sid,
das Allgemeine zu einem Bild. Er war einen Augen-
blick wie starr, dann wirbelte eine rasende Freude
in ihm auf. Er preßte die Faust um das runde
Bicrglas auf dem Tisd) und biß auf das Horn-
mundstüdi seiner Pfeife, daß ihn die Zähne schmcrz-
ten. Seine Augen loderten durd) die Gaststube,
daß die dicke Wirtin sid) fürchtete. Aber er lachte
ihr gleid) zu, trank aus und ließ sid, ein neues
Bier bringen. Dann saß er sinnierend in sid)
versunken da, mamhmal mit dem Kopf nickend,
wie wenn er jemand zustimmen wollte, und eifrig
trinkend. Die Bauern laä)ten über den alten,
verlumpten, besoffenen Kerl und machten höhnische
Bemerkungen über il)n. Er kümmerte sich erst
nidjt um sie, aber dann ging er auf sie ein und
redete mit ihnen. Er fühlte sid) ben Bauern
überlegen, die Mauer war versd)w»nden, er hatte
sie in der Hand und wollte nur nod) seine Rolle
weiterspielen. Manchmal ging er wie ein Be-
trunkener auf den Hof, daß alles lad)te und
meinte, er sei ein besoffenes Wagsd>eitel, aber sonst
ein griebiger Kerl. “Sliif dem Hof trieb er allerlei
Schabernack, und einmal kam eine Magd mit
rotem Kopf herein und sagte, sie habe dem frem-
den Kerl eine gelangt, weil er ihr in den Stall

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Register
Adolf Attenhofer: Die Sonne ist gegangen
Wilhelm Schussen: Der Wanderer
Robert Hohlbaum: Alte Stadt
Hans Christoph Ade: Aloys Strobls Rache
Otto Flechtner: Unterstand
 
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