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430

Hermann Moest (Karlsruhe)

immer boten, doch noch eine Viertelstunde zuzu-
geben, nur gern de die letzten zwei Tünze, dünn
willigten die schläfrigen Tunten in ihrer willens-
schwuchen Gutmütigkeit doch wieder ein, und die
Burschheit der Väter verwandelte sich in ein nach-
sichtig-stolzes Betrachten der elektrisierten Kinder,
und so blieb man in dem überhitzten, dichtgedräng-
ten Saale bis früh in den Morgen.

Neben dem Stadtverordneten Clewing, dem
angesehensten Baumeister der Gegend, saß eine
vierzigjährige Frau in einem schwarzen, ein wenig
ausgeschnittenen Spitzenkleid, die erst dann älter
erschien, wenn ihre zwanzigjährige Tochter neben
sie trat. Neben dem glatten, weiß-roten, ovalen
Gesicht der Tochter erschien das Antlitz der Mutter
ein wenig schwammig, weißlich, der Kopf hatte
dann nicht mehr die schmale Rundung der Jugend,
sondern trug schon die Ausbuchtungen und Gruben
der Reife. Aber in den Gesichtern beider brannte
ein metallisch glühendes Auge.

Auf der Estrade war es im Augenblick etwas
leerer, weil die jungen Leute drunten sich in einen
tolle» Walzer gestürzt hatten. „Sehen Sie Franz?"
fragte der Baumeister. Beide blickten minutenlang
in das Gewirr von tanzenden weißen und schwarzen,
rosa und bläulichen Pünktchen.

Plötzlich sagte die Baronin: „Natürlich, dort,
gerade vor der Kapelle ist Camilla. Sie tanzt
natürlich wieder mit Franz." Es lag Bedauern
und Sorge im Tonfall der Mutter.

„Ja, sie sollten es nicht, Sie haben ganz recht,
Frau Baronin."

Dann trat wieder Schweigen ein, die Beiden
sahen hinunter und versuchten das Paar in dem
quirlenden Durcheinander festzuhalten. Der Bau-
meister hatte seinen Kneifer aufgesetzt, und nun
sah er mit zehnfach verschärften Augen. Er sah
nicht nur die Gesichter des tanzenden Paares, er
gewahrte auch ganz deutlich den festen Druck, mit
dem Franz das Mädchen an der Hand festhielt,
er spürte die andere Hand des Sohnes, die im
weißen Handschuh und doch bebend auf Camillas
Rücken lag, er sah nicht nur, er fühlte das
Aneinandergepreßtsein der jungen Körper, ja er
glaubte die Wärme der rosa Seide zu spüren, die

sich an Franzens weiße Hemdbrust legte, er fühlte
ganz genau das durchpulste Leben dieses erregten
jungen Körpers und gewahrte jede Berührung der
Kniee der Tanzenden. Das war nicht mehr ein
Sehen mit dem verschärften Glase, das war ein
Sehen mit bangender Seele.

„Sie sollten aufhören," sagte die Baronin noch
bestimmter als das erste Mal.

Herr Clewing besann sich, legte den Kneifer
ab und sagte: „Vielleicht ist es unrecht, daß wir
so scharf Hinsehen."

Er nahm die Champagnerflasche aus dem
Kübel, der neben ihm stand, schenkte der Baronin
ein und sagte lächelnd: „Wir wollen doch nicht
die Polizisten der jungen Leute sein."

Sie tranken einander freundlich zu, und die
Baronin fühlte, daß sie etwas Verbindliches, ja
sogar Begütigendes sagen müsse: „Franz ist sicher
der gewissenhafteste junge Mensch unter allen
Freunden von Camilla. Es ist nicht recht von
mir, daß ich Angst habe, aber warum sollte ich
vor Ihnen lügen? Fa, ich habe Angst. Er hat
so aufgeregt gestottert, als er in der vorigen Pause
hier war. Haben Sie es bemerkt? Er war nicht
dazu zu bewegen, sich einen Augenblick niederzu-
setzen. Ist es Ihnen nicht auch aufgefallen, wie
unruhig seine Hände waren? Wenn ich nicht
wüßte, daß er der beherrschteste und disziplinier-
teste junge Mensch ist, den man sich denken kann,
ich litte es nicht, daß Camilla heute noch einen
Schritt weiter tanzt."

In diesem Augenblick war der Walzer zu
Ende, die Herren boten den Damen den Arm an,
und man promenierte in langen Zügen über den
Tanzboden.

„Sie kommen nicht einmal herauf," sagte die
Baronin traurig. Der Baumeister war einsilbig
geworden. Plötzlich sagte er:

„Auf die Diszipliniertheit möchte ich mich nicht
so unbedingt verlassen. Wir zwei müßten uns
darüber im reinen sein, ob wir dazu Ja und
kirnen sagen."

Die Baronin erschrak. Sie konnte im Augen-
blick nichts erwidern. Sie wollte sich nicht fest-
legen. In ihrem Herzen stund nur ein einziger

Abend

Sonett des Lauschers

So ruhevoll ist diese Zeit. Es gleiten
Die Tage mir vorbei und sind ganz licht,
klnd auch in meiner Nächte Angesicht
Seh ich ein Leuchten sich dem Tag bereiten.

Ich tret zum Tor hinaus. Die Wiesen breiten
Sich weit ins Tal. Ein blumiges Gedicht
Les ich von ihrem Teppich. Tönte nicht
Das Lied, das ich erfand, schon durch die Weiten?

Seht, was ich singe, ward oorausgedichtet
Von Wiesen und von Wolken eh und je.

Nur zum Empfange Hab ich mich gerichtet.

Da kam mein Lied gesogen übern See.
lind alles Dunkel hat sich mir gelichtet.

Daß ich der Worte Heimlichstes versteh.

Alfred Grünewald (Wien)

*

Der Händedruck

Bon Stefan Groß mann

Väter sind entweder blind oder sie sehen drei-
fach scharf. Der Baumeister Clewing saß im
Hintergründe eines Ballsaales auf einer Estrade
mit den anderen alten Leuten, die sich am Tanz
nicht beteiligten. Die Estrade lag um drei Stu-
fen höher als der eigentliche Tanzboden und war
vollgefüllt mit den Vätern, Müttern, Onkeln, Tan-
ten und Gardedamen der jungen Leute, die da
unten nun schon bis in den frühen Morgen hin-
ein walzten. Von Zeit zu Zeit mahnte eine schlä-
frige Tante zum Aufbruch, ein energischer Vater
besorgte die Garderobe und legte die Ueberkleider
vorbereitend auf einen Sessel, fest entschlossen, in
der nächsten Pause seine Tochter zum Nachhause-
gehen zu zwingen. Aber wenn die Musik daun
verstummte und die jungen Mädchen mit erhitzten
Wangen und glühenden klugen erschienen und
Register
Hermann Moest: Abend
Stefan Großmann: Der Händedruck
Alfred Grünewald: Sonett des Lauschers
 
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