Apachen-„Bal-Musette“ in Paris
Richard Bloos (München)
„Und wie ist cs mit der Wiese, Großmutter?"
fragte ich. „Geht der liebe Gott nicht auch mal
durch die Wiese?"
„Freilich auch," nickte sie. „Mußt nur recht
acht haben, daun merkst Du's. Wenn die hohen
Halme sich tief, ganz tief zur Erde neigen, dann
geht der liebe Gott durchs Feld und die Wiese.
Mit der Hand streichelt er die frommen, gebeugten
Köpfe, und alles Gezirpe hört auf, und die Kreatur
lauscht seinem Schreiten. . ."
Das gefiel mir sehr und id) hatte immer Herz-
klopfen, vor Andacht und Befangenheit, wenn
solch ein Neigen durch die Halme und über die
Gräser ging. Aber der Kinderglaube wurde
nicht alt.
Der wilde Naz, unseres Nachbarn Sohn,
stürmte eines Tages einem Schmetterling nach,
mit übermütigem Iungenschreien. „Sei nicht so
laut," warnte id) ihm. „Bleib doch da! Siehst
Du denn nicht, wie sid) die Ähren neigen — der
liebe Gott ist jetzt im Feld!"
„Pha, Du bist schön dumm! Der liebe Gott!
Hat sich was mit dem lieben Gott! Der Wind
ist das, Du Dummerling!"
„Großmutter," klagte id), „der Naz hat gesagt,
id) war ein Dummerling und das war garnicht
der liebe Gott, der im Feld war, rmd das war
nur der Wind . . ."
Großmutter streichelte mich. „Der Naz ist
dumm, nid)t Du. Glaub nur, was id) Dir gesagt
Hab. Die glauben, das sind alleweil die Klügeren
im Leben. Was weiß denn der Naz! Der Wind!
Was heißt das, der Wind? Der liebe Gott ist
eben hn Wind, verstehst? Ganz eingewickelt ist
er darin, wie in einen Mantel . . ."
„Aber im Wald ist er dod) auch, der liebe
Gott, Großmutter? Und dort ist doch gar kein
Wind?"
„Im Wald ist er and). Dort kann er aber
den Mantel nicht brauchen! Denk, der würde
dod> immer in den spitzen Nadeln hängen bleiben!"
„Aber manchmal ist doch auch im Wald Wind?"
zweifelte id) wieder.
„Ist and), Burscherl. Wenn der liebe Gott
mal aus dem Wald geht, fd)wingt er sich hod>
über die Wipfel und nimmt seinen Mantel um."
„Und wenn er fortgegangcn ist aus dem Wald,
der liebe Gott," bettelte id) weiter, „dann ist er
ganz leer?"
„Nid)t ganz. Dann läßt er einen Engel zur
Wache drin, daß nichts passiert, wenn so ein
kleiner Bielfrager kommt, weißt?"
„Du bist aber so klug, Großmutter," schmei-
d)elte id) in ehrlid)cr Bewunderung. „Werd id)
aud) einmal so gesd>c!t?"
„Bis Du so alt bist wie id), mein Kind, s!d)er."
„Der liebe Gott kann aber dod) alles, Groß-
mutter? Kann er da nidzt machen, daß id) sd>on
früher so gesdieit bin?"
Die Großmutter küßte mich.
„Er behüte Did) davor, mein Kind. Das ist
kein Wissen, das einen froh macht. Darin ist
kein Glück..."
Und eines Tages verlor id) meinen Wald.
Denn das war mein Wald. Gab wohl nod)
andere, aber gerade den halte id) mir ausgesucht,
hatte ihn tausendmal entdedit, war daheim in ihm
und liebte ihn. Ein Stück Glauben ging mit
ihm dahin und ein Stück Wunder, ein wenig
Heimat und viel Freude.
Und das kam so.
Als id> eines Morgens hinkam, waren viel
Männer dort mit Beilen. Und eh id) nod) wußte,
was die alle, die id) nie in meinem Revier ge-
sehen hatte, in meinem Walde wollten, ging ein
großes Morden an. Mit mancherlei Waffen
gingen sie auf meinen Wald los, hieben viel tiefe,
blutende Wunden in meine Bäume. Jammervoll
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Richard Bloos (München)
„Und wie ist cs mit der Wiese, Großmutter?"
fragte ich. „Geht der liebe Gott nicht auch mal
durch die Wiese?"
„Freilich auch," nickte sie. „Mußt nur recht
acht haben, daun merkst Du's. Wenn die hohen
Halme sich tief, ganz tief zur Erde neigen, dann
geht der liebe Gott durchs Feld und die Wiese.
Mit der Hand streichelt er die frommen, gebeugten
Köpfe, und alles Gezirpe hört auf, und die Kreatur
lauscht seinem Schreiten. . ."
Das gefiel mir sehr und id) hatte immer Herz-
klopfen, vor Andacht und Befangenheit, wenn
solch ein Neigen durch die Halme und über die
Gräser ging. Aber der Kinderglaube wurde
nicht alt.
Der wilde Naz, unseres Nachbarn Sohn,
stürmte eines Tages einem Schmetterling nach,
mit übermütigem Iungenschreien. „Sei nicht so
laut," warnte id) ihm. „Bleib doch da! Siehst
Du denn nicht, wie sid) die Ähren neigen — der
liebe Gott ist jetzt im Feld!"
„Pha, Du bist schön dumm! Der liebe Gott!
Hat sich was mit dem lieben Gott! Der Wind
ist das, Du Dummerling!"
„Großmutter," klagte id), „der Naz hat gesagt,
id) war ein Dummerling und das war garnicht
der liebe Gott, der im Feld war, rmd das war
nur der Wind . . ."
Großmutter streichelte mich. „Der Naz ist
dumm, nid)t Du. Glaub nur, was id) Dir gesagt
Hab. Die glauben, das sind alleweil die Klügeren
im Leben. Was weiß denn der Naz! Der Wind!
Was heißt das, der Wind? Der liebe Gott ist
eben hn Wind, verstehst? Ganz eingewickelt ist
er darin, wie in einen Mantel . . ."
„Aber im Wald ist er dod) auch, der liebe
Gott, Großmutter? Und dort ist doch gar kein
Wind?"
„Im Wald ist er and). Dort kann er aber
den Mantel nicht brauchen! Denk, der würde
dod> immer in den spitzen Nadeln hängen bleiben!"
„Aber manchmal ist doch auch im Wald Wind?"
zweifelte id) wieder.
„Ist and), Burscherl. Wenn der liebe Gott
mal aus dem Wald geht, fd)wingt er sich hod>
über die Wipfel und nimmt seinen Mantel um."
„Und wenn er fortgegangcn ist aus dem Wald,
der liebe Gott," bettelte id) weiter, „dann ist er
ganz leer?"
„Nid)t ganz. Dann läßt er einen Engel zur
Wache drin, daß nichts passiert, wenn so ein
kleiner Bielfrager kommt, weißt?"
„Du bist aber so klug, Großmutter," schmei-
d)elte id) in ehrlid)cr Bewunderung. „Werd id)
aud) einmal so gesd>c!t?"
„Bis Du so alt bist wie id), mein Kind, s!d)er."
„Der liebe Gott kann aber dod) alles, Groß-
mutter? Kann er da nidzt machen, daß id) sd>on
früher so gesdieit bin?"
Die Großmutter küßte mich.
„Er behüte Did) davor, mein Kind. Das ist
kein Wissen, das einen froh macht. Darin ist
kein Glück..."
Und eines Tages verlor id) meinen Wald.
Denn das war mein Wald. Gab wohl nod)
andere, aber gerade den halte id) mir ausgesucht,
hatte ihn tausendmal entdedit, war daheim in ihm
und liebte ihn. Ein Stück Glauben ging mit
ihm dahin und ein Stück Wunder, ein wenig
Heimat und viel Freude.
Und das kam so.
Als id> eines Morgens hinkam, waren viel
Männer dort mit Beilen. Und eh id) nod) wußte,
was die alle, die id) nie in meinem Revier ge-
sehen hatte, in meinem Walde wollten, ging ein
großes Morden an. Mit mancherlei Waffen
gingen sie auf meinen Wald los, hieben viel tiefe,
blutende Wunden in meine Bäume. Jammervoll
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