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S o j oII es | cin ...

Ich will nicht fragen.

Warum es so ist
Und warum so.schwer!

Ich fände gewiß den Weg nicht mehr
Aus diesen Wirren und Wehen heraus.

Die Lippen zusammen.

Den Blick gradauS!

Und nun in Feuer und Flammen hinein!

Bo soll eS sein! Elly Elisabeth Essers

Zliklinftsadel

Wir tragen auch die Kopse hoch
Und spüren im Blut den Adelstropsen;

Wir fühlen unter der Arbeit Joch
Die stolzen Herzen herrisch klopfen.

llnS rinnt kein Wein im Kristallpokal,

Uns rinnt der Schweiß von den heißen Stirnen;
Doch hegen wir Artusglanz und Gral
In unfern Sehnen, unfern Gehirnen.

Nicht Wappen verrittert uns und Schwert,
Nicht sechzehn Ahnen in goidnen Rahmen,

Wir geben uns selbst den eignen Wert
Und streuen der Menschheit Freiherrnsamen.

Du Herz im Harnisch aus hohcni Roß,

Neig' grüßend deines Geschlechtes Fahnen!

Im Staube vorüber an deinem Schloß
Schreiten der Zukunft Königsahnen!

+ Fritz Erdner

Kraft

Bon Alfred Manns, Bremen

Eine unglaublich finstere Nacht wich dem jun-
gen Tage. Die Sonne erwachte. Eie jagte den
Sturm gen Westen und drückte den schweren,
feuchten Nachtncbel ins Meer.

Ein wundervoll klarer Frühlingsmorgen lag
über der Nordsee. In der Ferne sah man als
dunklen Streifen die Südostküste Englands.

Das U-Boot war mit dem Turm über Wasser
gekommen. Kapitänleutnant Kräfting stand oben
mit seinem Leutnant.

„Die Sonne sticht; es bleibt nicht so," sagte
der Leutnant.

„Schadet nichts, Kamerad. Das ganz schöne
Wetter ist mir nicht das liebste — — — Hallo,
was haben wir denn dort? Ein holländisches
Fischerboot, anscheinend schwer havariert."

„Zwei Männer stehen auf Deck. Sie winken

um Hilfe-da springen sie ins Meer-

allewetter, sackt der Kasten schnell weg."

Das U-Boot kam höher. Man zog die Schiff-
brüchigen an Bord.

„Ich bin Direktor einer Pmuidener Fischerei,"
redet der eine Gcrettetete den Kommandanten in
gutem Deutsch mit leicht holländischem Kehllaut
an, „wollte eine Fangrcise in größerem Verbände
mitmachen. Unser Schiff wurde letzte Nacht vom
Sturm verschlagen. Wir danken Ihnen unsere
Rettung."

Kräfting schlug in die Hand ein. „Ich nehme
Sie ohne Besinnen auf; aber ich müßte lügen,
wenn ich behaupten wollte, daß ich Sie auf meiner

leli hatt’ einen Kameraden E. Woltereck (Pasing)

Reise gern als Gäste begrüße." Verbindlich fuhr
er fort: „Nein, lassen Sie nur die Entschuldigungen.
Gehen Sie erst und ziehen sich von meinem trok-
kenen Zeug an. Die Ordonnanz hilft Ihnen."

Nach einer Weile begab sich der Kapitänleutnant
unter Deck zu dcu> Gaste — der andere, ein Fischer,
wurde im Mannschnftsraume versorgt.

Der Holländer gab eine kurze Erklärung über
die Erlebnisse der Sturmnacht. Sie bot nichts
besonders Interessantes. Die Besatzung des Loggers
hatte es wahlweise vorgezogen, das Schiff in der
Jolle zu verlassen, während der Direktor und der
Netzmeister an Bord geblieben waren.

Nach dem Bericht fragte der Holländer fast un-
vermittelt: „Wie stellen Sic sich zu Ihrem Hand-
werk, Herr Kommandant?"

Kräfting blickte erstaunt auf; aber die Frage
war ersichtlich ehrlich, rückhaltslos und erwartungs-
voll gestellt.

„Mein Handwerk ist der Krieg, Herr Direktor,
da gibt es keine Stellungnahme, da gibt es nur
die Pflicht. Wenn einer Mutter Sohn drüben
beim Feinde sein Haupt über den Schützengraben
steckt, so schießt man danach und trifft auch wohl.
Was nützt es, den Schützen zu fragen: ,was
empfindest Du?' Sind Eie nicht mit ein paar
Worten zufrieden und gehen in die Tiefen, so
werden Sie so viele Antworten erhalten, wie es
Schützen gibt."

„Hm," machte der Holländer, „das war's auch
nicht so eigentlich, was ich meine; aber Sie werden
mich für unbescheiden halten — —"

„Fragen Sie nur immerhin."

„Nun, es handelt sich bei Ihrer Tätigkeit ja
nicht um einen Mann gegen Mann, Leben um
Leben. Im Großen, in der letzten Konsequenz
wohl auch, aber doch nicht so sehr von Fall zu
Fall. Weil nun, wie ich meine, im Großen der
Verstand, im Kleinen aber mehr das Gefühl arbei-
tet, so denke ich mir, daß Sie vielleicht beim Ab-
feuern eines Torpedos auf einen vollbesetzten und
volibcladencn Dampfer nicht nur die Kriegstat
empfinden, nicht nur die Freude über das Gelingen
oder den Mißmut über den Fehlschlag."

Um die Lippen Kräftings zuckte es.

Das gewahrte der Holländer: „Finden Sie
meine Frage lächerlich?"

„Nein, durchaus nicht; aber ich finde, daß sie
einen Teil der Antwort ohne weiteres schon ent-

hält. Sagen Sie selbst, würden Sie einen
Engländer dasselbe gefragt haben?"

Nun mußte auch der Holländer lächeln.
Verneinend schüttelte er den Kopf, der Kapitän-
leutnant aber fuhr fort:

„Sehen Sie, das war so recht bezeichnend.
Alle Welt haßt uns, aber trotzdem: alle Welt
traut uns vor allen Gefühle zu und irrt sich
nicht. Jetzt will ich auch Ihre Frage beantwor-
ten : Wenn wir ein Schiff beschleichen und den
Torpedo abfeuern, so sind wir Soldaten und
machen Krieg, weiter nichts, aber auch garnichts.
Nachher freilich, wenn die Arbeit getan ist, lassen
sich die Gedanken nicht immer auf der Bahn
der Notwendigkeiten dirigieren, allzu oft machen
sie ihre Seitensprünge.

Menschen fallen hüben und drüben, Wit-
wen und Eltern weinen. Das ist der Krieg,
der ungeheuerliche, er tötet nicht nur, sondern
er ertötet auch das Gefühl für den einzelnen,
wenn dessen Leiden uns nicht unmittelbar vor
Augen stehen. Das Mitgefühl und das Mit-
leiden wird summarisch. So verhält sich's mit
unseren Opfern an Menschenleben. Das, was
ich empfinde, wenn ich einen Dampfer mit der
Besatzung überraschend versenken muß, ist ge-
wiß von Befriedigung weit entfernt. Ich habe
stets vor dem Mute der britischen Seeleute, die sich
der Gefahr des Versenktwerdens immer und immer
wieder aussetzen, keine geringe Meinung; ich achte
diesen Mut. Die Leute sterben für ihre Aufgabe,
das ist letzten Endes die Hegemonie der englischen
Seegeltung und der englischen Weltherrschaft. Ein
egoistisches Ziel, aber immerhin ein Ziel. Krieger-
los ist's, dafür zu sterben.

Wissen Sie, was für mich das Grausigste
ist? Sie sind Holländer und kennen die Werft-
betriebe. Ich hatte schon als junger Kadett stets
eine gewaltige Ehrfurcht vor solch einem Schiffs-
riesen. Er ist für mich nie totes Material gewesen,
sondern das Produkt von hunderttausend Stunden
menschlicher Arbeit. In Millionen Schlägen wurde
das lebendige Leben dem Eisen verbunden; für
Weib und Kind, Ehr und Ruhm, Geld und Gut
wurde das Eisen zum Schiff. Ein Ruck des Tor-
pedomaaten auf meinen Befehl, und alles ist hin.
Sehen Sie-— —"

In diesem Augenblicke stürzte eine Ordonnanz
herein: „Melde gehorsamst, feindlicher Dampfer
Nordwest — West."

Kräfting war schon draußen, ehe der Matrose
ausgesprochen hatte.

Der Holländer blieb allein. Er legte sich in
seinem Stuhl weit hintenüber. „Ich glaube, ich
irrte nicht," so sprach er vor sich hin,,, auf einem
kl-Boote werde ich das Rätsel der Kräfte entdecken
und — die Frage des Sieges. In dieser Um-
gebung wird alles das, was der Kommandant
sagte, zum Spnibol. Mir scheint, mir scheint, das
Schicksal wird gegen die Deutschen entscheiden.
Zwei Mächte ringen im Deutschen um die Vor-
herrschaft, die eine heißt Kraft und die andere
Gefühl. Dieser Kampf läßt keine geschlossene Ein-
heit zu, denn das Gefühl hat eine Waffe von
geradezu verhängnisvoller Wucht: es zwingt den
Deutschen stets und überall, vor sich selbst den
anderen gerecht zu werden, auch den Feinden."

Uber diesen Gedanken vergaß der Schiffbrüchige,
wo er war, bis er durch eine gewaltige Erschüt-
terung aufgestört wurde. Er sprang hoch.

Der Engländer ist getroffen, der Torpedo saß!

Nach einigen Minuten erschien die Ordonnanz
wieder und lud den Herrn ein, an Deck zu kommen.

Ernst nickte der Kapitänleutnant dem Gaste zu.

„Der Dampfer war schwer bewaffnet; ich durfte
ihn nicht warnen."

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Register
Fritz Erdner: Zukunftsadel
Elly Elisabeth Essers: So soll es sein...
E. Woltereck: Ich hatt' einen Kameraden
Alfred Manns: Kraft
 
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