Edelwild Richard Langner (Mönchen)
Die Braut des Kriegsministers
Von Kurt Martens
Selig sind die geistig Armen ... und oft brauchen
sie nicht einmal das Himmelreich, das ihnen ver-
heißen ist, abzuwarten, sondern finden hieniedcn
schon ihre stille Seligkeit, ein Glück, das ihnen
niemand neidet und mancher geringschätzig vcrlaä>t,
das aber von längerer Dauer zu sein pflegt als
die Glücksräusche der geistig allzu Lebendigen,
Zu denen, die firi) von jeher über die Tante
meiner Sä>miegermuttcr vor Lachen ausschütten
wollten, gehörte mein Schwager Julius, Er wußte
um Tante Ida schon von Kindesbeinen an Be-
scheid, hatte sich auf ihre Beschränktheit mit be-
sonderem Vergnügen eingestellt und trieb, ohne
daß sie es merkte, andauernd seine Neckereien mit
ihr. Voll abgründiger Ironie schien er sie durch-
aus ernst zu nehmen, galt daher und gilt auch
heute noch für ihren Liebling und Vertrauten,
Das alte Fräulein — id) selber habe sie nie
anders als alt gekannt, obwohl man ihr die Jahre
nicht ansieht, ihre verdächtig frischen Farben, ihr
üppiger Lockenwulst und ihre steife Haltung ewige
Jugend vortäuschen — lebt dürftig und zurück-
gezogen ihre Tage hin, räumt, putzt, kocht von
früh bis abends in ihrem Stübchen herum und
führt allem Anschein nach ein gänzlich freudloses
Dasein, Schwager Julius, der ein Gcnußniensch
und Lebemcmy ist, findet es erstaunlich, daß es
jemand unter 'solchen Umständen überhaupt aus-
halten kann und sagt mir oft, er begreife nicht,
warum Taute Ida sich nicht längst schon aufge-
gehängt habe,
Tatsache ist, daß die Tante inuncr etwas zu
klagen und zu bejammern hat, aber der Einfall,
sich aufzuhängen, ist ihr wohl noch nie gekommen.
Ein so kümmerliches Stückchen Mensch sie auch
darstellt, so besitzt sie doch Selbstbewußtsein und
danüt einen inneren Halt. Bor allem vergißt sie
keinen Augenblick, daß sie eine kgl, Filialbank-
Hauptkassiers-Tochter ist, also einen Titel hat, den
ihr auch das widrigste Geschick nicht rauben kann.
Ferner verfügt sic über ein, wenn auch kärgliä>es,
so doch sicheres Einkommen, braucht also nicniandes
Mildtätigkeit in Einspruch zu nehmen, und endlich
kann sie sich der Bekanntschaft mit mehreren Da-
men ähnlichen Ranges und Alters rühmen — eine
davon ist sogar von Adel, sodaß sie das Gefühl
hat, zur guten Gesellschaft zu gehören.
Schön ist Tante Ida nun freilich nicht, aber
sie soll es früher einmal gewesen sein. Meine
Schwiegermutter wirft ihr vor, daß sie vor vierzig
Zähren verschiedene ganz annehmbare Partien aus-
geschlagen habe, weil ihr der Sinn zu sehr nach
Höherem stand, — Ihre Gesundheit ist auch nicht
die beste, doch kann man ihrem Leben eine ge-
wisse Zähigkeit nicht absprcchen. Leicht geneigt,
sich kränkelnd zu Bett zu legen, steht sie eben so
leicht wieder auf und ächzt mehr aus Gewohnheit
als aus leiblichen Beschwerden,
Eigentlichen Kummer hat sie wohl nie gehabt,
Ihre Sorgen drehen sich nur darum, ob die je-
weilige Zugeherin, die es gerade wieder einmal
mit der etwas schwierigen und genauen Tante Ida
versucht, regelmäßig kommen oder unerwartet aus-
bleiben wird, ob es diesmal eine ehrliche Person
ist oder ob sie nascht und stiehlt wie die übrigen,
Unsre gute Tante wird nämlich fortwährend be-
stohlen, Sie hält zwar ihre Augen offen, richtet
sie aber leider stets nach der verkehrten Stelle,
schließt all ihre Thüren und Kästen sorgfältig ab,
nur gerade zu jener Stunde nicht, wo die Zu-
geherin von der Habgier überwältigt wird. So
sind ihr unter anderem zahlreiche Kopfkissen und
Federbetten, die sie aus unvordenklicher Zeit her
zusammengeerbt hat und nie verkaufen wollte,
„weil Federn jetzt so wertvoll sind", vom Speicher
auf rätselhafte Weise, ganz allmählich eins nach
dem andern, entwendet worden. Dies ist der eine
Kummer ihres Lebens; nie kommt sie darüber hin-
weg. Der andere, der Tod ihres Kanarienvogels,
drückt sie zugleich als Gewissensschuld. Denn sie
selbst hat das Ende des geliebten Kanari herbei-
geführt, dadurch nämlich, daß sie ihn während der
Mauser mit einer Salbe einrieb, die sie von altcrs-
her als besonders heilkräftig in der Komode ver-
wahrte. Sie konnte nicht genau sagen, ob es Ich-
thyol» oder Vitriolsalbe war, jedenfalls verschied
der Kanari unter deren Einfluß mit verklebten
Schwingen.
Doch nicht von Tante Idas Kümmernissen
soll hier die Rede sein, sondern von ihrem großen,
stillen Glück, von dem beseligenden Stolz ihres
scheinbar so geringen Lebens.
Dieses Glück nahm einen Anfang vor etwa
zehn Jahren, als Tante Ida unsrer Schätzung
nach zum mindesten schon eine hohe Fünfzigerin
war. Die zwei Stübchen, die sie kürzlich erst auf-
gegeben hat, uni in das spitalähnliche Altersheim
überzusiedeln, lagen im Rückgcbäude einer weit-
läufigen Mietskaserne. Das Haus hatte, wie Tante
Ida selber fand, „einen gewöhnlichen Anstrich",
zeichnete sich aber vor seinesgleichen dadurch aus,
daß einige seiner Fenster, darunter die der Tante,
einem Seitenflügel des Kriegsministeriums gegen-
über lagen, fodaß die Bewohner dieser Stuben
wenn auch keine sonnige, so doch eine vornehme
Aussicht hatten.
Dort an ihrem Nähtisch mit der unvermeid-
lichen Flickwäsche beschäftigt und vielleicht in un-
vcrwirklichte Iugendträume sich zurückversetzend,
bemerkte Tante Ida hinter einem der Fenster des
Ministeriums täglich um dieselbe Dienststunde einen
stattlichen, wohlbeleibten älteren Herrn in schöner
Uniform, der an einem Schreibtisch immer Akten
durchblättcrte und von strammstehenden Soldaten
huldvoll Rapporte entgegennahm.
Die ersten Nachrichten über diesen interessanten
hohen Militär gingen Schwager Julius und mir
durch Vermittlung meiner Schwiegermutter zu, der
sich Tante Ida nach längerem schämigen Zögern
anucrtraute. Er habe einen starken, elegant ge-
schwungenen Schnurrbart, ein volles, rotes, sehr
gutmütiges Gesicht und eine Glatze mit einem
kleinen Büschel grauer Haare über jedem Ohr,
auf den Schultern aber „die glänzendsten Ippo-
lctts". Nach dieser Beschreibung hatte die Haus-
meisterin der Tante, die später übrigens als falsche
Katze und zwidere, ordinäre Nocken erkannt wurde,
festgestellt, daß dieser hohe Offizier niemand anders
sein könne, als seine Exzellenz der Herr Kriegs-
minister in Person, „der, wo an der Spitze unsrer
Kriegsmacht steht". Was seiner Erscheinung aber
erst die rechte Würze gab, war die Beobachtung,
die Tante Ida maä>te oder zu machen glaubte, daß
er zuweilen von seinen Aktenstößen aufsah und
einen langen Blick nach ihr hinüberwarf. Sein
Blick blieb, wie Tante Ida sich ausdrückte, „so
gewiß sinnend" an ihrem Fenster haften.
Damals verwandte Tante Ida auf ihr schon
etwas vernachlässigtes Außere wieder größere Sorg-
falt, kleidete sich in farbenfreudige Blusen, die sie
mit zierlichen Rischen und Schleifchen versah, legte
Rot auf, puderte sich die leicht entzündliche Nase
und türmte auf ihr gelichtetes Haupthaar jenen
üppigen, kastanienbraunen Chignon, den sie noch
heute trägt.
Das beglückende Bewußtsein, zu lieben, und
die nicht unbegründete Hoffnung, wiedergeliebt zu
werden, verlieh ihreni an sich so soliden Wesen
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Die Braut des Kriegsministers
Von Kurt Martens
Selig sind die geistig Armen ... und oft brauchen
sie nicht einmal das Himmelreich, das ihnen ver-
heißen ist, abzuwarten, sondern finden hieniedcn
schon ihre stille Seligkeit, ein Glück, das ihnen
niemand neidet und mancher geringschätzig vcrlaä>t,
das aber von längerer Dauer zu sein pflegt als
die Glücksräusche der geistig allzu Lebendigen,
Zu denen, die firi) von jeher über die Tante
meiner Sä>miegermuttcr vor Lachen ausschütten
wollten, gehörte mein Schwager Julius, Er wußte
um Tante Ida schon von Kindesbeinen an Be-
scheid, hatte sich auf ihre Beschränktheit mit be-
sonderem Vergnügen eingestellt und trieb, ohne
daß sie es merkte, andauernd seine Neckereien mit
ihr. Voll abgründiger Ironie schien er sie durch-
aus ernst zu nehmen, galt daher und gilt auch
heute noch für ihren Liebling und Vertrauten,
Das alte Fräulein — id) selber habe sie nie
anders als alt gekannt, obwohl man ihr die Jahre
nicht ansieht, ihre verdächtig frischen Farben, ihr
üppiger Lockenwulst und ihre steife Haltung ewige
Jugend vortäuschen — lebt dürftig und zurück-
gezogen ihre Tage hin, räumt, putzt, kocht von
früh bis abends in ihrem Stübchen herum und
führt allem Anschein nach ein gänzlich freudloses
Dasein, Schwager Julius, der ein Gcnußniensch
und Lebemcmy ist, findet es erstaunlich, daß es
jemand unter 'solchen Umständen überhaupt aus-
halten kann und sagt mir oft, er begreife nicht,
warum Taute Ida sich nicht längst schon aufge-
gehängt habe,
Tatsache ist, daß die Tante inuncr etwas zu
klagen und zu bejammern hat, aber der Einfall,
sich aufzuhängen, ist ihr wohl noch nie gekommen.
Ein so kümmerliches Stückchen Mensch sie auch
darstellt, so besitzt sie doch Selbstbewußtsein und
danüt einen inneren Halt. Bor allem vergißt sie
keinen Augenblick, daß sie eine kgl, Filialbank-
Hauptkassiers-Tochter ist, also einen Titel hat, den
ihr auch das widrigste Geschick nicht rauben kann.
Ferner verfügt sic über ein, wenn auch kärgliä>es,
so doch sicheres Einkommen, braucht also nicniandes
Mildtätigkeit in Einspruch zu nehmen, und endlich
kann sie sich der Bekanntschaft mit mehreren Da-
men ähnlichen Ranges und Alters rühmen — eine
davon ist sogar von Adel, sodaß sie das Gefühl
hat, zur guten Gesellschaft zu gehören.
Schön ist Tante Ida nun freilich nicht, aber
sie soll es früher einmal gewesen sein. Meine
Schwiegermutter wirft ihr vor, daß sie vor vierzig
Zähren verschiedene ganz annehmbare Partien aus-
geschlagen habe, weil ihr der Sinn zu sehr nach
Höherem stand, — Ihre Gesundheit ist auch nicht
die beste, doch kann man ihrem Leben eine ge-
wisse Zähigkeit nicht absprcchen. Leicht geneigt,
sich kränkelnd zu Bett zu legen, steht sie eben so
leicht wieder auf und ächzt mehr aus Gewohnheit
als aus leiblichen Beschwerden,
Eigentlichen Kummer hat sie wohl nie gehabt,
Ihre Sorgen drehen sich nur darum, ob die je-
weilige Zugeherin, die es gerade wieder einmal
mit der etwas schwierigen und genauen Tante Ida
versucht, regelmäßig kommen oder unerwartet aus-
bleiben wird, ob es diesmal eine ehrliche Person
ist oder ob sie nascht und stiehlt wie die übrigen,
Unsre gute Tante wird nämlich fortwährend be-
stohlen, Sie hält zwar ihre Augen offen, richtet
sie aber leider stets nach der verkehrten Stelle,
schließt all ihre Thüren und Kästen sorgfältig ab,
nur gerade zu jener Stunde nicht, wo die Zu-
geherin von der Habgier überwältigt wird. So
sind ihr unter anderem zahlreiche Kopfkissen und
Federbetten, die sie aus unvordenklicher Zeit her
zusammengeerbt hat und nie verkaufen wollte,
„weil Federn jetzt so wertvoll sind", vom Speicher
auf rätselhafte Weise, ganz allmählich eins nach
dem andern, entwendet worden. Dies ist der eine
Kummer ihres Lebens; nie kommt sie darüber hin-
weg. Der andere, der Tod ihres Kanarienvogels,
drückt sie zugleich als Gewissensschuld. Denn sie
selbst hat das Ende des geliebten Kanari herbei-
geführt, dadurch nämlich, daß sie ihn während der
Mauser mit einer Salbe einrieb, die sie von altcrs-
her als besonders heilkräftig in der Komode ver-
wahrte. Sie konnte nicht genau sagen, ob es Ich-
thyol» oder Vitriolsalbe war, jedenfalls verschied
der Kanari unter deren Einfluß mit verklebten
Schwingen.
Doch nicht von Tante Idas Kümmernissen
soll hier die Rede sein, sondern von ihrem großen,
stillen Glück, von dem beseligenden Stolz ihres
scheinbar so geringen Lebens.
Dieses Glück nahm einen Anfang vor etwa
zehn Jahren, als Tante Ida unsrer Schätzung
nach zum mindesten schon eine hohe Fünfzigerin
war. Die zwei Stübchen, die sie kürzlich erst auf-
gegeben hat, uni in das spitalähnliche Altersheim
überzusiedeln, lagen im Rückgcbäude einer weit-
läufigen Mietskaserne. Das Haus hatte, wie Tante
Ida selber fand, „einen gewöhnlichen Anstrich",
zeichnete sich aber vor seinesgleichen dadurch aus,
daß einige seiner Fenster, darunter die der Tante,
einem Seitenflügel des Kriegsministeriums gegen-
über lagen, fodaß die Bewohner dieser Stuben
wenn auch keine sonnige, so doch eine vornehme
Aussicht hatten.
Dort an ihrem Nähtisch mit der unvermeid-
lichen Flickwäsche beschäftigt und vielleicht in un-
vcrwirklichte Iugendträume sich zurückversetzend,
bemerkte Tante Ida hinter einem der Fenster des
Ministeriums täglich um dieselbe Dienststunde einen
stattlichen, wohlbeleibten älteren Herrn in schöner
Uniform, der an einem Schreibtisch immer Akten
durchblättcrte und von strammstehenden Soldaten
huldvoll Rapporte entgegennahm.
Die ersten Nachrichten über diesen interessanten
hohen Militär gingen Schwager Julius und mir
durch Vermittlung meiner Schwiegermutter zu, der
sich Tante Ida nach längerem schämigen Zögern
anucrtraute. Er habe einen starken, elegant ge-
schwungenen Schnurrbart, ein volles, rotes, sehr
gutmütiges Gesicht und eine Glatze mit einem
kleinen Büschel grauer Haare über jedem Ohr,
auf den Schultern aber „die glänzendsten Ippo-
lctts". Nach dieser Beschreibung hatte die Haus-
meisterin der Tante, die später übrigens als falsche
Katze und zwidere, ordinäre Nocken erkannt wurde,
festgestellt, daß dieser hohe Offizier niemand anders
sein könne, als seine Exzellenz der Herr Kriegs-
minister in Person, „der, wo an der Spitze unsrer
Kriegsmacht steht". Was seiner Erscheinung aber
erst die rechte Würze gab, war die Beobachtung,
die Tante Ida maä>te oder zu machen glaubte, daß
er zuweilen von seinen Aktenstößen aufsah und
einen langen Blick nach ihr hinüberwarf. Sein
Blick blieb, wie Tante Ida sich ausdrückte, „so
gewiß sinnend" an ihrem Fenster haften.
Damals verwandte Tante Ida auf ihr schon
etwas vernachlässigtes Außere wieder größere Sorg-
falt, kleidete sich in farbenfreudige Blusen, die sie
mit zierlichen Rischen und Schleifchen versah, legte
Rot auf, puderte sich die leicht entzündliche Nase
und türmte auf ihr gelichtetes Haupthaar jenen
üppigen, kastanienbraunen Chignon, den sie noch
heute trägt.
Das beglückende Bewußtsein, zu lieben, und
die nicht unbegründete Hoffnung, wiedergeliebt zu
werden, verlieh ihreni an sich so soliden Wesen
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