Ein Besuch Otto Lendecke (Berlin)
eine jugendlich flatternde Heiterkeit und eine ver-
stärkte häusliche Betriebsamkeit. Wenn sie nicht
gerade am Fenster sah und des nachdenklich sin-
nenden Aufblickes ihrer angebeteten Exzellenz harrte,
trippelte sie geschäftig zwischen ihrem Krimskrams
hin und her und schien sich auf einen neuen, wesent-
lich vergrößerten Hausstand einüben zu wallen.
Immerhin hatte sie nun etwas zu räumen und
zurechtzurücken, abzustauben, zu polieren oder aus-
zubessern. Bis tief in die Nacht hinein war sie
von ihren häuslichen Pflichten in Anspruch ge-
nommen und wurde doch niemals fertig damit.
Nur meiner Schwiegermutter gegenüber sprach
sie sich über ihre mädchenhaften Gefühle aus. Sie
aber war indiskret genug, sie uns auszuplaudern,
wobei sie die Achseln zuckte und in ihrer herben
Art bemerkte: „Daß sie nur wieder was hat, die
Tante! Schließlich schnappt sie noch über mit
ihrem Kriegsminister."
Julius nahm die 6aä>e höchst ernst und nahe-
zu schon offiziell. Bei nächster Gelegenheit wünschte
er der Tante im Tonfall des mitfühlenden Ge-
mütsmenschen alles Glück zu ihrer Eroberung und
versicherte ihr, die geschmeichelt lächelte und errötete,
wenn es wirklich dazu kommen sollte, so sei der
Kriegsminister jedenfalls eine glänzende Partie,
aus der unsre ganze Verwandtschaft allerhand
Ehre und Gewinn ziehen könne.
Als ich mit ihm zusammen einmal die Tante
besuchte, durften wir insgeheim hinter der Gar-
dine hervor den hohen Herrn betrachten. Julius
flüsterte mir zu, daß er ihn den Abzeichen nach,
zwar nicht für eine» Kriegsminister aber immer-
hin für einen Stabsveterinär halte. Mir kam
er eher wie ein bejahrter und ausrangierter Feld-
webel vor.
Der Austausch stummer Blicke ging einige
Monate so weiter, bis Tante Ida eines Tages
aufgeregt erzählte, nun hätte sie endlich die per-
sönliche Bekanntschaft Seiner Exzellenz gemacht.
Bei einem Spaziergang im Englischen Garten
habe sie auf einer Bank gesessen, als er des Weges
daher gekommen sei und höflich den Hut lüftend
neben ihr Platz genommen habe. Er sei nämlich
in Zivil gewesen, aber doch sofort wiederzuerkennen:
an der strammen Figur, dem elegant geschwungenen
Schnurrbart, dem gutmütigen Gesichtsausdruck.
Unsren Zweifel, es könne doch vielleicht ein an-
drer gewesen sein, wies sie fast als Beleidigung
zurück. Natürlich hatten sie, taktvoll wie sie beide
waren, ihre Fensterplätze nicht erwähnt, sondern
nur ein paar belanglose Worte über das Wetter
gewechselt, aber engere Bande waren damit doch
geknüpft. Er hatte den ersten Schritt getan! Daß
er Zivil trug, legte Tante siä> so zurecht: auf der
Straße bewegte er sich sozusagen inkognito, damit
ihn die vielen Leute nicht immer grüßten, Uniform
zog er nur im Ministerium an und wenn er zu
Hofe ging.
Meine Schwiegermutter sagte nur: „Tante Ida,
Du spinnst." Aber auf diese abgedroschene Re-
densart gab Tante Ida schon lauge nichts mehr.
Wurden ihre Illusionen doch von Julius bekräf-
tigt und von mir mit zurückhaltendem Respekt be-
handelt.
Zeitungen pflegte Tante Ida nicht zu lesen;
höchstens überflog sie einmal das „Vermischte" und
die Inserate. Von dem in Fortsetzungen erschei-
nenden Roman ließ sie siä> jede Nacht in Schlummer
wiegen. Alles übrige war ihr teils zu sstzwer ver-
ständlich, teils ging es sie nichts an; sie hatte siä>
in den langen Spalten nie zurecht gefunden. So
erfuhr sie denn über den Kriegsminister nichts
weiter, als daß er Freiherr von X. . . . heiße und
— dies war freilich ein harter Schlag — ver-
heiratet sei. Da hatte sie, in einen schweren, tra-
gischen Konflickt verwickelt, nun selbst ihren Ro-
man, nahm die in ein furchtbares Geschick ergebene
Miene einer tragischen Heldin nn, hielt aber gleich-
wohl an der Hoffnung eines glücklichen Ausgangs
zuversichtlich fest. —
Der Kriegsminister nahm seinen Abschied und
wurde durch einen anderen ersetzt; Tante Ida
merkte nichts davon. Nach einigen Jahren starb
er; auch diese schmerzliche Nachricht erreichte nicht
ihr Ohr. Ihr Kriegsminister behielt seinen Fenster-
platz und blickte nach wie vor sinnend von den
Akten zu ihr auf.
Ihre Treue sollte belohnt werden. Einige Tage,
nachdem sie der Unwandelbarkeit ihrer Gefühle
wieder einmal keuschen aber felsenfesten Ausdruck
verliehen hatte, erhielt sie folgenden, in edlen,
monumentalen Schriftzügen abgefaßten Brief:
„Hochverehrtes gnädiges Fräulein!
Die stillen, aber nichtsdestoweniger innigen Be-
ziehungen, die uns seit Jahren verknüpfen, be-
stimmen mich, endlich das Wort auszusprechen,
das mir schon lange auf der Seele und der Zunge
liegt: Reichen Sie mir zum Bund fürs Leben Ihre
teure Hand! — Meine Gattin, das einzige Hin-
dernis, das bisher zwischen unsren Herzen stand,
hat sich bereit erklärt, in die Scheidung mit mir
zu willigen. Freilich werden sich die Verhand-
lungen darüber etwas in die Länge ziehen. Im-
merhin darf ich es schon heute wagen, Ihnen
meine Person und meine Stellung zu Füßen zu
legen. Sollten Eie, woran id) nicht zweifle, bereit
sein, die Meine zu werden, so bitte iäz um Ihre
gütige Zustimmung unter der Chiffre „von X..
hauptpostlagernd. Sie werden mich damit zum
glücklichsten der Mensäzen mastzen und mir das
Pecht verleihen, Sie als meine vor Gott rechtmäßige
Braut zu betradzten. Stillsdzweigen über unsren
Herzensbund ist vorläufig nod> strengstes Gebot.
In vollkommenster Hodzachtung und Verehrung
Ihr Sie anbetender
von X.
Kriegsminister."
Die Einwilligung traf umgehend auf dem Haupt-
postamt ein und wurde von Schwager Julius
schmunzelnd in Empfang genommen. Er las sie
mir vor. Ich zeige midz seines Vertrauens würdig,
und werde sie deshalb hier nidzt wiedergeben. Sie
war, wie man fid) vorstellen kann, in allen Züchten
vom wortreidzsten Sdzmelz der Gefühle.
Id, sagte dem kupplerischen Julius, er solle
froh sein, daß der Heiratsantrag von einem toten
Kriegsminister stamme, denn der lebendige hätte
den Sdzerz, wenn er bekannt geworden, wahr-
scheinlich krumm genommen. Da Tante Ida die
ihr anbefohlene Versdzwiegenheit nie verletzte, so
kam der Schwindel tatsädilidz nidzt ans Licht.
Sdzwer genug mag es ihr angekommen sein, über
die bevorstehende glänzende Partie nidzts auszu-
schwatzen, aber das stille Bewußtsein, die vor Gott
redztmäßige Braut eines Kriegsministers zu sein,
war ja an fid) schon wertvoll genug.
Jedenfalls wandelt die Tante seit jener Zeit
in wesentlich gehobener Stimmung und wie von
einem mystischen Heiligensdzein gekrönt umher.
Für uns, ihre nächsten Angehörigen, hat sie, wenn
wir uns nach Seiner Exzellenz erkundigen, ein
mildes, bedeutungsvolles Lächeln: Spötteleien oder
Grobheit übelwollender Nachbarinnen aber be-
gegnet sie mit unnahbarer Hoheit und geheimnis-
vollen Wendnngen, etwa des Sinnes: Wißt ihr
überhaupt, wen ihr vor euch habt?_ Eure Krän-
kungen könnten eudz leicht teuer zu stehen kom-
men_ Wenn ich nur wollte, id) wüßte den
rechten Beschützer schon zu finden!
Als der Krieg ausbrach, war dies eine günstige
Gelegenheit, den Kriegslninister, der zu Tante Idas
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eine jugendlich flatternde Heiterkeit und eine ver-
stärkte häusliche Betriebsamkeit. Wenn sie nicht
gerade am Fenster sah und des nachdenklich sin-
nenden Aufblickes ihrer angebeteten Exzellenz harrte,
trippelte sie geschäftig zwischen ihrem Krimskrams
hin und her und schien sich auf einen neuen, wesent-
lich vergrößerten Hausstand einüben zu wallen.
Immerhin hatte sie nun etwas zu räumen und
zurechtzurücken, abzustauben, zu polieren oder aus-
zubessern. Bis tief in die Nacht hinein war sie
von ihren häuslichen Pflichten in Anspruch ge-
nommen und wurde doch niemals fertig damit.
Nur meiner Schwiegermutter gegenüber sprach
sie sich über ihre mädchenhaften Gefühle aus. Sie
aber war indiskret genug, sie uns auszuplaudern,
wobei sie die Achseln zuckte und in ihrer herben
Art bemerkte: „Daß sie nur wieder was hat, die
Tante! Schließlich schnappt sie noch über mit
ihrem Kriegsminister."
Julius nahm die 6aä>e höchst ernst und nahe-
zu schon offiziell. Bei nächster Gelegenheit wünschte
er der Tante im Tonfall des mitfühlenden Ge-
mütsmenschen alles Glück zu ihrer Eroberung und
versicherte ihr, die geschmeichelt lächelte und errötete,
wenn es wirklich dazu kommen sollte, so sei der
Kriegsminister jedenfalls eine glänzende Partie,
aus der unsre ganze Verwandtschaft allerhand
Ehre und Gewinn ziehen könne.
Als ich mit ihm zusammen einmal die Tante
besuchte, durften wir insgeheim hinter der Gar-
dine hervor den hohen Herrn betrachten. Julius
flüsterte mir zu, daß er ihn den Abzeichen nach,
zwar nicht für eine» Kriegsminister aber immer-
hin für einen Stabsveterinär halte. Mir kam
er eher wie ein bejahrter und ausrangierter Feld-
webel vor.
Der Austausch stummer Blicke ging einige
Monate so weiter, bis Tante Ida eines Tages
aufgeregt erzählte, nun hätte sie endlich die per-
sönliche Bekanntschaft Seiner Exzellenz gemacht.
Bei einem Spaziergang im Englischen Garten
habe sie auf einer Bank gesessen, als er des Weges
daher gekommen sei und höflich den Hut lüftend
neben ihr Platz genommen habe. Er sei nämlich
in Zivil gewesen, aber doch sofort wiederzuerkennen:
an der strammen Figur, dem elegant geschwungenen
Schnurrbart, dem gutmütigen Gesichtsausdruck.
Unsren Zweifel, es könne doch vielleicht ein an-
drer gewesen sein, wies sie fast als Beleidigung
zurück. Natürlich hatten sie, taktvoll wie sie beide
waren, ihre Fensterplätze nicht erwähnt, sondern
nur ein paar belanglose Worte über das Wetter
gewechselt, aber engere Bande waren damit doch
geknüpft. Er hatte den ersten Schritt getan! Daß
er Zivil trug, legte Tante siä> so zurecht: auf der
Straße bewegte er sich sozusagen inkognito, damit
ihn die vielen Leute nicht immer grüßten, Uniform
zog er nur im Ministerium an und wenn er zu
Hofe ging.
Meine Schwiegermutter sagte nur: „Tante Ida,
Du spinnst." Aber auf diese abgedroschene Re-
densart gab Tante Ida schon lauge nichts mehr.
Wurden ihre Illusionen doch von Julius bekräf-
tigt und von mir mit zurückhaltendem Respekt be-
handelt.
Zeitungen pflegte Tante Ida nicht zu lesen;
höchstens überflog sie einmal das „Vermischte" und
die Inserate. Von dem in Fortsetzungen erschei-
nenden Roman ließ sie siä> jede Nacht in Schlummer
wiegen. Alles übrige war ihr teils zu sstzwer ver-
ständlich, teils ging es sie nichts an; sie hatte siä>
in den langen Spalten nie zurecht gefunden. So
erfuhr sie denn über den Kriegsminister nichts
weiter, als daß er Freiherr von X. . . . heiße und
— dies war freilich ein harter Schlag — ver-
heiratet sei. Da hatte sie, in einen schweren, tra-
gischen Konflickt verwickelt, nun selbst ihren Ro-
man, nahm die in ein furchtbares Geschick ergebene
Miene einer tragischen Heldin nn, hielt aber gleich-
wohl an der Hoffnung eines glücklichen Ausgangs
zuversichtlich fest. —
Der Kriegsminister nahm seinen Abschied und
wurde durch einen anderen ersetzt; Tante Ida
merkte nichts davon. Nach einigen Jahren starb
er; auch diese schmerzliche Nachricht erreichte nicht
ihr Ohr. Ihr Kriegsminister behielt seinen Fenster-
platz und blickte nach wie vor sinnend von den
Akten zu ihr auf.
Ihre Treue sollte belohnt werden. Einige Tage,
nachdem sie der Unwandelbarkeit ihrer Gefühle
wieder einmal keuschen aber felsenfesten Ausdruck
verliehen hatte, erhielt sie folgenden, in edlen,
monumentalen Schriftzügen abgefaßten Brief:
„Hochverehrtes gnädiges Fräulein!
Die stillen, aber nichtsdestoweniger innigen Be-
ziehungen, die uns seit Jahren verknüpfen, be-
stimmen mich, endlich das Wort auszusprechen,
das mir schon lange auf der Seele und der Zunge
liegt: Reichen Sie mir zum Bund fürs Leben Ihre
teure Hand! — Meine Gattin, das einzige Hin-
dernis, das bisher zwischen unsren Herzen stand,
hat sich bereit erklärt, in die Scheidung mit mir
zu willigen. Freilich werden sich die Verhand-
lungen darüber etwas in die Länge ziehen. Im-
merhin darf ich es schon heute wagen, Ihnen
meine Person und meine Stellung zu Füßen zu
legen. Sollten Eie, woran id) nicht zweifle, bereit
sein, die Meine zu werden, so bitte iäz um Ihre
gütige Zustimmung unter der Chiffre „von X..
hauptpostlagernd. Sie werden mich damit zum
glücklichsten der Mensäzen mastzen und mir das
Pecht verleihen, Sie als meine vor Gott rechtmäßige
Braut zu betradzten. Stillsdzweigen über unsren
Herzensbund ist vorläufig nod> strengstes Gebot.
In vollkommenster Hodzachtung und Verehrung
Ihr Sie anbetender
von X.
Kriegsminister."
Die Einwilligung traf umgehend auf dem Haupt-
postamt ein und wurde von Schwager Julius
schmunzelnd in Empfang genommen. Er las sie
mir vor. Ich zeige midz seines Vertrauens würdig,
und werde sie deshalb hier nidzt wiedergeben. Sie
war, wie man fid) vorstellen kann, in allen Züchten
vom wortreidzsten Sdzmelz der Gefühle.
Id, sagte dem kupplerischen Julius, er solle
froh sein, daß der Heiratsantrag von einem toten
Kriegsminister stamme, denn der lebendige hätte
den Sdzerz, wenn er bekannt geworden, wahr-
scheinlich krumm genommen. Da Tante Ida die
ihr anbefohlene Versdzwiegenheit nie verletzte, so
kam der Schwindel tatsädilidz nidzt ans Licht.
Sdzwer genug mag es ihr angekommen sein, über
die bevorstehende glänzende Partie nidzts auszu-
schwatzen, aber das stille Bewußtsein, die vor Gott
redztmäßige Braut eines Kriegsministers zu sein,
war ja an fid) schon wertvoll genug.
Jedenfalls wandelt die Tante seit jener Zeit
in wesentlich gehobener Stimmung und wie von
einem mystischen Heiligensdzein gekrönt umher.
Für uns, ihre nächsten Angehörigen, hat sie, wenn
wir uns nach Seiner Exzellenz erkundigen, ein
mildes, bedeutungsvolles Lächeln: Spötteleien oder
Grobheit übelwollender Nachbarinnen aber be-
gegnet sie mit unnahbarer Hoheit und geheimnis-
vollen Wendnngen, etwa des Sinnes: Wißt ihr
überhaupt, wen ihr vor euch habt?_ Eure Krän-
kungen könnten eudz leicht teuer zu stehen kom-
men_ Wenn ich nur wollte, id) wüßte den
rechten Beschützer schon zu finden!
Als der Krieg ausbrach, war dies eine günstige
Gelegenheit, den Kriegslninister, der zu Tante Idas
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