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Legende

Von Elsa Maria Bud

Setos, der blinde Bettler, Halle von der Stunde
vor Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung
am Wege gesessen, wo die Karawanen vorbei-
zogen. Haar, Haut und Kleider waren im Staube
gleichmäßig ergraut; eine Kruste lag ihm über
den Lippen.

„Überreich bedenkst Du mich, unfruchtbarer
Schmutz," murmelte er böse, „doch niemand von
allen, die des Weges kamen, dachte, daß ich
noch atme und der Speise bedarf. Gleiche ich
dem Geröll, unterscheidet mich der hochmütige
Kaufmann davon nicht mehr? Grau bin ich
wie die Straße, getreten von tausend Füßen
wie sie."

„Schreie doch dann und wann eine Weile,
Setos," sprach der Bettler mit der Elefantiasis.
„Deine gemurmelten Klagen stören wenig des
Gebers Ruhe. Du siehst ihn nicht, so braucht er
Dich nicht zu sehen, spricht sein Eigennutz. Ich
habe es leichter; mein zum Riesenklumpen ver-
wandeltes Bein schreit für mich, und nicin Er-
trag war nicht schlecht. Auge und Ohr müssen
dem Menschen beleidigt sein, daß er willig werde,
sich von uns und seinen tieferen Gefühlen loszu-
kaufen."

„Was nennst Du ein tieferes Gefühl?"

„Daß er sich mit uns vergleiche und, wär's
einen Augenblick, sich an unsre Stelle dachte —
— die Erniedcrung fühlt!"

„So werde ich schreien," sprach Setos,
„daß die Kamele scheuen sollen." Und er lachte
häßlich und drehte die weißen Augäpfel zum
Himmel.

„Selbst der da oben soll es hören können,
sage ich Dir! Er, den sie „den Gütigen" an-
rufen, der bei mir zubenannt ist: Der kleine
Häßliche!"

„O, o," sprach der andre, „denk des Spruches:
Man nennt es Indra, Baruna und Mitra; Agni,
den schönbeschwingten Himmelsvogel. Vielfach
benennen, was nur eines, die Dichter! Du nennst
es den kleinen Häßlichen. Das ist ein Zeichen;
gibst ihm eben soviel, als Du geben kannst."

„Lange genug hat auch der Dreck seine Größe
gepriesen," schrie Setos und schüttelte sich im Haß,
„ich, der Sohn des Drecks, von seiner,Güte*
zum tappenden Gewürm gestoßen, ich werde ihm
ein Lied singen, das neu in seinen Ohren klingen
soll."

„Es wird nicht leicht sein, etwas ganz Neues
zu finden," spottete der andre; „bedenke, daß
auch Luzifers Gesang schon recht alt ist und seine
ursprüngliche Wirksamkeit verlor — — wie ein
altes Raubtier zahnlos wird und zum Gespöttc
der Raben."

Setos hörte den andern nicht; er vernahm
zu laut das Schreien seiner Natur, die zusammen-
geballte Masse aus Haß und Leid und Ohnmacht,
die ihm aus dem Halse wollte.

„Pfuscher, der Du bist," schrie er und reckte
die Fäuste über sich zum verglühenden Albend,
„Du schlechter Handwerksmann, der Du von An-
beginn vieltausendfältig den guten Stoff verdarbst,
verkrümmtest, ihn voller Fehler und Schlacken aus
Deiner Hand entließest — im Namen der Krüppel-
gewüchse rede ich zu Dir, ich, Setos, der blinde
Bettler, und heische Antwort."

„Mit großen Herren tafelt man schlecht," warf
der Nachbar ein und hob sich mittels zweier
Stecken mühsam vom Boden auf, „sie messen
die Zeit Deiner Genüsse nach ihrem Appetit."

Er spie aus; fein mannsstarkes Bein pendelte.

Der Sommer tan;t . . .

Der Sommer tanzt so froh ins Dorf herein,

Da werden all die Sonnenstrahlen munter
lind fegen funkelgli'tzernd hinterdrein;

Hoch von der Halde springt der Wind herunter

— hat mit der Mühle sich verschwatzt am Bach
lind hupst nun eilend, daß er nichts versäume,
Dem slammendbunten Sonnenwirbel nach
bind drückt ganz dreist in seinein Tanz die Bäume,

Die so verkrüppelt-scheu am Wege stehn,

Voll Übermut und Lachen an sein Herze —

Die Wetterfahne, die das Spiel gefehn.

Dreht sieh und kreischt, verletzt ob. solcher Scherze.

Thllde Becker

*

Im Zuge

Die Lichter und Sterne stiegen dahin,
bind immer schneller schivindet ihr Schein;
bind hastiger, hastiger rennt durch die Nacht
Das ratternde Rad. . .

Ich höre allein

Im Jagen, im Fluge, im flüchtenden Schein
Meines pochenden Herzens jauchzendes Lied:
Ich komme! Ich komme! Ich komme! Ich komm!

Carl Lange

*

„Ein Rätsel sollst Du mir lösen, Setos, und
dann geh' heim. Gott zeugte Himniel und Erde;
wer gebar nun die Welt? Auch Gott, wirst Du
sagen. So war er denn auch Weib? Zeugte in
Kraft und gebar in Weibesschwäche?"

„Ha, Du sagst es, eine schwache Tal ist diese
Weltschöpfung!" rief Setos ekstatisch. „Zehntausend
Fehler und einer haftet ihr an; ich habe nicht
Atem genug, sie herzuzählen. Ein Kind, kaum
setzt es die Füße, wüßte ihm Rat zu geben. Gott,
harter Herr über uns, ich, Setos, dem Du das
Leben gabst und die Augen dabei vergaßest, ich
schwinge mich aus der Legion Deiner mißratenen
Geschöpfe zum Ankläger auf! Einem vollkom-
menen Gott wollten wir Dank wissen, hättest Du
uns vollkommen und gut erschaffen für eine voll-
kommene, gute Welt! Doch Du häuftest Grau-
sames und Entsetzliches auf Deine Geschöpfe, hast
sie mit stümperhaften Sinnen auf kargen Grund

Erich Müller

gestellt, ihnen Krankheit, Pest, düstere Gedanken
nachgehetzt, hast Taube, Blinde, Krumme, Brest-
hafte ausgeworfen — — von keines schlechten
Töpfers Drehscheibe kamen je so viel schiefe Ge-
fäße! Ja, Du! Ich habe - Dir hinter die Hülle
gesehen. Zum Mantel Deiner unzulänglichen
Schöpfung gabst Du ungerechtes Gesetz, gabst den
Knebel in den ewig fragenden Mund! Ungerechtes
Gesetz — — hörst Du mich? Es stehet: der
Väter Missetat soll sich rächen an den Kindern
bis ins dritte rmd vierte Glied! Dies heißt uns
Menschen: Unschuldige strafst Du, Schuldige läßt
Du ledig gehen! O des Unsinns! Was können
wir für unsrer Urväter Untat? Was wissen wir,
ob auch Untat geschah? Du lüssest uns im Fin-
stern mit Schmerzen und Zweifeln-"

Setos schlug die Fäuste krcuzweis über die
nackte Brust und senkte den greisen Kopf. Leiser
wurde die röchelnde, rauhe Stimme.

„Als ich Kind war, im Sande grub, mich an
den Mauern des Dorfes hintastete, zu finden was
wohl die Welt wäre, und meine Hände nach
Taten hungerten, wie nur eines Schöpfers Hände,
da träumte ich manchmal von Dir und fühlte
in meiner Seele: Daß Du traurig gewesen sein
müßcst, als sich der Mensch aus Deiner bilden-
den Hand entwand und diese Hand nun ruhte.
Als Greis sehe ich klar: Nicht Trauer faßte Dich
an — nein, Haß! Den Goiteshaß, den Zorn
über alles Erschaffene schleppen wir Iammers-
kindcr fort und fort. Wohin? An welches Ziel,
Du Dunkler?"

Er streckte eine Hand vor sich, fragte flüsternd:
„Bist Du noch da, Kephalos? Ist der Knabe
gekommen, mich heimzuführen — — die Nacht
weht mich an —" Doch es schwieg um ihn; fern,
schon sehr fern der letzten Karawane singendes
Rufen. Selos stützte sich ächzend auf seinen Stab
und hob sich aus dem Staube empor.

„Sieh," sprach er, erstickt an Stimme von dem
Emporgewühlten, „als ich begriff, daß Du im
Unrecht standest wider uns, da gab ich Dir den
Namen des kleinen Häßlichen! Du mischtest zu-
viel und verdarbst den reinen Trank. Gang des
Lebens, Untergang des Lebens, Anfang und Ende
— sie hätten genügt — — das Leid — — das
Leid — — es mußte nicht sein — —"

Er tappte einige Schritte; sein Fuß verscharrte
die einzige Münze, die ein später Wanderer ihm
zugeworfen halte.

„Niemand, der mich führt?" fragte er. „Die
Nacht ist da, und ich bin müde."

Kühl kroch es ihn an, feine Lippen zitterten
im Bart. Er tastete sicl, mit dem Stab zum
Fußpfad hin. „Ewige Verdammnis, so sprach
ein Weib, schwätzest Du Dir an den Hals, Setos.
Wie, sagte ich, für ein elendes Leben von fünfzig
Jahren ewige Verdammnis — wer lachte nicht
über diesen Hohn?"

Der Wind nahm Staub in Wirbeln auf und
wand sie um die Bettlergestalt.

„Ich bin müde —" sprach Setos, „es ist stille
geworden, wie ausgehöhlt von allem saftigen Leben.
Meine Füße schaudern unter mir und zittern, als
ginge ich einem Abgrund zu."

„Gib mir die Hand, Freund —," sagte eine
Stimme an seinem Ohr.

Setos reckte sie dem Tone entgegen.

„Unhörbar ist Dein Fuß — und Deine Hand
ist ohne Leben," murmelte er bald, „doch seist Du
gesegnet, daß Du mich Freund nanntest. Nie war
ich eines Menschen Freund."

„Ich bin Dir's," sprach die ruhevolle Stimme.

„Führe mich denn zum Dorf."

„Zum Frieden führe ich Dich."

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Thilde Becker: Der Sommer tanzt...
Elsa Maria Bud: Legende
Carl Albert Lange: Im Zuge
Erich Müller: Vignette
 
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