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ihre neuen Gedanken auszubreiten.
Aber Falkenhan und Basilisk waren
jünger, hatten eben heute viel Lob und
Beifall gefunden und meinten, die
Feldschlange möge sie mit solchem
Gewäsch verschonen. Ich muß meine
Seele retten, sagte sie zu sich, meine
Seele, der Krieg ist ein Jammer,
iä) für meinen Teil will nichts mehr
davon wissen, ich will statt Haß Liebe
geben, stattKriegFrieden, ich bezähme
mich, ein Bekehrter ist der beste
Prophet.

In der Nacht kroch sie von ihrem
Gestell und zwischen den Schlafen-
den hindurch aus dem Lager hinaus.
Morgens war sie in einem Wald,
auf der Höhe, das Getöse der Stadt-
beschießung ballte sich hinter ihr im
Frührot. Sie lauschte, ob das Fehlen
ihrer eigenen Stimme darin merk-
bar fei, aber es klang gänzlich unge-
schwächt, genau so wie an allen
anderen Tagen. Darüber wurde sie
ein wenig ärgerlich und dachte, nun
gut, sie werden auch ohne mich fertig,
sie brauchen mich wirklich nicht.
Nachdem sie ein wenig gewartet hatte, ob sie
niemand holen komme, zog sie durch ein Korn-
feld. Eine breite Furche geknickter Halme
blieb hinter ihr. Au der Heerstraße, im Graben
rastete sie, viele Wagen mit Kriegsbedarf zogen
vorbei, die Kutscher schnalzten mit den Peitschen
über sie hin, Reiter trabten und Fußknechte mar-
schierten im Staub, manchmal sah einer flüchtig
über sie hin und sagte zu den anderen: „Da
haben sie ein ausgebranntes Rohr liegen gelassen."
Mars und Barbara am Zündloch, die seit langem
mit einander im besten Vernehmen gestanden
hatten, begannen sich zu zanken, wie es zu ge-
schehen pflegt, wenn einmal die Glücksumstände
ins Wanken gekommen sind. Sie machten sich
Borwürfe, wer daran die Schuld trage, und Mars
schimpfte wütend durch das Zündloch ins Rohr
hinab, als wäre er nicht der Feldschlange einge-
graben, sondern diese recht eigentlich sein Gebilde
und Werk. Me Feldschlange unterließ es zu
antworten: es war ihr weh und dumm zu Mut:
wenn ein Planwagen mit Pulver und Kugeln
vorüberfuhr, dann schnappte die Delphinschnauze
auf und zu wie ein Fischmaul !m Trockenen.

Im Straßengraben weiterkriechend, kam die
Feldschlange an eine Stadt. Ein kleines Männ-
lein lustwandelte in der Abendkühle, mit ver-
staubtem Gesicht, den Stock auf dem Rücken,
seine Schritte raschelten trocken, als würden Buch-
blätter gewendet. „Was bist denn Du für ein
Ding?" fragte er am Straßenrand.

„Ich bin ein Tier, ein gutes Tier, ein seelen-
gutes Tier!"

„Du bist kein Tier," antwortete er, das Rohr
mit dem Stock klopfend, „was füllt Dir ein, ein
Tier sein zu wollen? Du bist vorne offen und
hinten offen. Sieh den Menschen an, den Vogel,
den Fisch, den Wurm, die Laus — alles oben
zu und unten zu, wenn es ihnen nicht beliebt,
sich für einen Augenblick zu öffnen. Die Uniform
jeglichen Tieres ist die Wurst." Damit ging er
beleidigt fort, denn er war der Urheber der wissen-
schaftlichen Lehre von der Wurstform des Lebens
und empörte sich über die Anmaßung, ein ihm
Widersprechendes zu behaupten.

Ein Regenwurm kroch vorbei, mit spitzem Kopf
und feucht glänzenden Ringen, die sich zusammen-
zogen und streckten. Er sah hochmütig auf die
alte Feldschlange. Mars und Barbara grinsten
durch das Zündloch hinab: da siehst Du's nun,
da hast Du's nun! Sie hatten sich geeinigt, daß
keines von ihnen an dem Unheil Schuld trage.
Die Feldschlange wälzte sich weiter, über den
Regenwurm hinweg: hinterdrein tat es ihr leid,
denn von dem Wurm war nichts weiter verblie-
ben, als ein zermalmtes Klümpchen Schleim, und
so war ihr zu den vielen anderen alten Morden
ein neuer auf die Seele gefallen.

Lilst Du suchend auch dahin
Ungestüm in grüne Seme,

Sind doch über vir die Sterne,
Die Ou kennst von Anbeginn.

Überfällt Dich auch mit Nacht
All das Unerhörte, Neue,
wacht doch über Vir die Bläue,
Vie als Nind Vir schon gelacht.

was Vu eilend auch beginnst.
Niegewahrtes zu gewahren,
Immer wirst Vu doch erfahren,
Vaß Vu nie Dir selbst entrinnst.

So bezwingst Du Zier für Zier
Vieser Welt im großen Nreise,

Und am letzten Saum der Reise
Nehrst Vu wieder ein bei Vir.

8ran; Narl Glnzkey

Sommer wiese

Line innig fromme Jungfrau,

Die der Seele Vuft und Blumen
Zum Altäre trägt in schlichtem NIeide,
Hast du leise Farben dir erwählet,
Reiche, stille, sommersel'ge Wiese,
Vemutvoll in deiner großen Schöne.

Zarte, bräunlichgraue Schleier
Hängst du vor dein blumig Antlitz,

Vaß des Reizes Süße nicht verlocke,

Wie die heißgeliebte Braut, die schämig
Ihres Herzens leuchtend reifes Hoffen
Hinter treuverschwiegnen Wimpern hehlet.

Leise Sarben hast du dir erwählet,
Reiche, stille, sommersel'ge wiese,
Vemutvoll in deiner großen Schöne.

Hebwlg Van

*

Die alte Feldschlange

Eine Groteske von Karl Hans Strobl

Die alte Feldschlange hatte tagsüber brav auf
den Feind geschaffen und ihm auch einigen Schaden
getan. Deßungeachtet hörte sie, als abends die
Lagerfeuer mit Lichtern an ihren bronzenen Leib
sprangen und die Würfel auf dem Trommelfell
hopsten, wie die Stückknechte hinter ihr her redeten,
als wäre sie ein wenig nützes Ding und als setze
man wenig Vertrauen in sie. Einer sagte gar,
sie wäre ein größerer Schaden für den, der sie zu
laden und abzufeuern hätte, als für den, der
gegen sie anrennen müßte. Darüber wurde die
alte Feldschlange todestraurig: in ihrer Bravheit
gekränkt und enttäuscht von so viel Undank, er-
zitterte sie, von den Bildern des Mars und der
heiligen Barbara an, die um ihr Zündloch ein-
gestichelt waren, bis zu der Delphinschnauze vorne,
aus der sie die Kugeln ausspie. Ob es nicht traurig
sei, fragte sie sich, ein ganzes Leben der Vernichtung
anderen Lebens zu widmen und sich gänzlich Zer-
störungswerken zu verschreiben, wenn man dann
hinterdrein so gelästert würde. Sie wandte sich
an einen Falkenhan und einen Basilisken, die
neben ihr auf ihren Lafetten ruhten und versuchte

Orchideen

ü

f

Frieda Blell

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Register
Frieda Blell: Orchideen
Hedwig Dau: Sommerwiese
Karl Hans Strobl: Die alte Feldschlange
Franz Karl Ginzkey: Reiselied
 
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