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Bauernsonntag

Otto Bauriedl (im Felde)

ein uraltes und überaus feines Kunstwerk, nicht
nur mit Zeigern groß und klein für Stunden und
Minuten, sondern auch einem Mond- und einem
Sonnenball, Planetenbahnen, dem Tierkreis, Zahr-
weifern, den zwölf Aposteln, dem Totengerippe,
dem Teufel und einem krähenden Hahn. Uber
diese Uhr war eine seltsame Verrücktheit gekommen.
Der große Zeiger war nämlich plötzlich ins Zagen
geraten und rannte im Verlauf von zwölf Stunden
wohl an die tausendmal um das Zifferblatt. Da
der andere, der kleine Zeiger, sich aber durchaus
um diese Jagd nicht kümmern zu wollen schien,
geriet bald das ganze Gangwerk aufs wüsteste
durcheinander; der Mond prallte an die Sonne,
die Planeten schoben sich im Tierkreis herum, wo
sie gar nichts zu suchen hatten, der Teufel sprang
plötzlich mitten unter die Apostel, der Tod tanzte
auf einem Bein, und der Hahn krähte, wenn es
ihm einfiel.

Darüber war die ganze Stadt in Unordnung
gekommen, uneins und zerfallen schrie die Bürger-
schaft gegeneinander. Die einen meinten, man
müsse den Zeiger aufhalten, die andern, man müsse
ihn ausrasen lassen. Die einen brüllten: „Der
Zeit ihre Freiheit!", die andern wetterten: „Der
Freiheit ihre Zeit!", und oielleiä)t meinten sie beide
dasselbe, aber sie konnten nicht dahinter kommen
und verprügelten sich inzwischen gegenseitig. Der
Bürgermeister hatte über seinen Schlafrock eine
Feldbinde angelegt, ging in den Straßen herum,
mit einer Kerze, die er in einen Flaschenhals ge-
steckt hatte. Er stellte sich neben den steinernen

Neptun auf dem oberen Wasscrkasten und sang
wehklagend: „Die Zeit ist aus den Fugen."

Gerade da kam die Feldschlange auf dem
Hauptplatz an. Die Leute, die dafür waren, den
irrsinnig gewordenen Zeiger zur Vernunft zurück
zu bringen, erblickten sie kaum, als es wie eine
Eingebung über sie kam. „Das ist es!" schrien
sie. Und ein Feuerwehrhauptmann mit blitzendem
Helm erklärte, man müsse bloß ein ordentliä>es
Gewicht an den rasenden Rundrenner hängen,
dann werde er fid) bescheiden, und man werde
wieder wissen, wie viel es geschlagen habe. Eie
holten eine Feuerleiter, zogen die Feldschlange
hinauf und hingen sie dem Zeiger an. Nun war
sie zufrieden und glücklid), auf irgend eine Weise

Der Dritte

Lrst sah ich sie, — im Myrthenkran;,

Das Auge froh und voller Glan;. — —

Dann sah ich ihn — die Faust geballt;
Urwüd)sig, eine Rerngestalt.-

Lin Dritter aber lud ;um Tan;

Und nahm die Faust — und nahm den Rran;.

Zaus ^eidsieck

doch zur Ordnung und zum Frieden beitrage» zu
Können.

Aber die, denen es bester schien, den Zeiger
ungebändigt rasen zu lassen, standen unten vor
den Türen und schimpften, daß nun das ganze
Werk zurüdtbleibe. Und eines Nadiis stahlen sie
dem Feuerwehrhauptmann die große Leiter, stiege»
hinauf und banden die Feldschlange vom Zeiger
los. Der tat einen Schnapper und begann fogipid)
sein verrücktes Gerenne um das Zifferblatt; die
Feldschlange, die man ohne alles Mitleid einfad)
hatte fallen lasten, polterte auf das Pflaster, fd)lug
ihm ein Loch und sich einige Beulen. Dem Mars
wurde das Schwert verbogen und das Schienbein
gebrochen, die heilige Barbara büßte ein Auge und
zwei Backenzähne ein, und die Delphinschnauze
kriegte eine Hasenscharte weg. Mit Fußtritten
rollten sie das Rohr vor sid) her bis zu einem
Teich, wo sie es versenkten. Es gurgelte ein wenig
im Schilf, dann war es von der Erde verschwunden.

Nun schwammen ihm Stichlinge durch die Seele,
hinten hinein und vorne heraus oder umgekehrt,
Wasserschlangen schwänzelten hindurch, schließlich
nahm es der Froschkönig zum Sommerpalast. Die
alte Feldsd>lange seufzte: „Sie wollen nicht be-
greifen, daß unsereiner besser sein kann als sie.
Sic wollen keinen Frieden, sie braudien den Krieg,
so oder so, mit uns oder gegen uns, quadi!" Je
öfter sie diesen Satz wiederholte, desto öfter kam
das Quack darin vor, das gewöhnte sie sich von
den Frösd>en an, die zur Regierung gehörten und
ihr den ganzen Tag etwas oorquackten. Manch-

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Hans Heidsieck: Der Dritte
Otto Bauriedl: Bauernsonntag
 
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