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Isartal Richard Langner (München)

mal bat sie einen von ihnen,
hinaufzusteigen und nach-
zuforschen, ob es auf der
Erde noch immer Krieg gebe.

Und wenn die Froschkun-
de lautete, der Krieg laufe
noch immer auf Erden um,
so seufzte die Feldschlange:

„Dann war mein Opfertod
umsonst, quack!" Nach und
nach hatte sich nämlich der
Feldschlange zum Trost der
Gedanke in ihr eingenistet,
daß sie einen Opfertod auf
sich genommen habe, und
wie es schon zu gehen pflegt,
wenn jemand ins Martyrcr-
wesen und Unverstandensein
hineingerät, bekam sie es mit
üppigem Phantasiewucher,

Halluzinationen und dem
zweiten Gesicht zu tun.

So sah sie einmal nach
einer heftigen Gemütswal-
lung ein fürchterliches Unge-
tüm anrollen, die Erdkruste
erbebte unter ihm, es war
wohl hundertmal so groß
wie sie, hatte ein ungeheures
Maul und hinten war es
durch stählerne Ringe ver-
dickt und mit zwei Kolben
versehen. Es lief ganz non
selber, ohne Pferd, ächzend
auf der Straße einher, blieb
stehen, ein paar kleine Men-
schenmännlein drehten es
ohne Mühe mit einigen
Handgriffen herum, richtete
ihm das breite Maul schief
gen Himmel. Dann schoben
sie ihm hinten einen großen
spitzen Zapfen ein, „Wo ist
der Feind?" fragte die Feld-
schlange.

„Hinter dem Berg," ant-
wortete man ihr.

Und dann brüllte das Un-
geheuer so fürchterlich, als
brächen die Stützen des Him-
mels auf einmal zusammen.

Und in dem Donner sprach
eine Stimme: „Siehe, dein
Geschlecht!"

„Ja, ja, mein Opfertod war umsonst, quack!"
seufzte die Feldschlange.

Dann aber lächelte sie doch ein wenig, denn cs
war ja klar, daß ein Geschlecht, das über die Berge
und sozusagen ums Eck schießen wolle, schließlich
von seiner eigenen Verrücktheit unschädlich gemacht
werden müsse.

Darüber kam dann endlich Frieden in die
mürbe Seele der alten Feldschlange.

Woher ich das alles weiß?

Sie hal es mir selbst erzählt, im landständischen
Zeughaus zu Graz, wohin man sie gebracht hat,
nachdem man sie bei der Entwässerung des Teichs
auf seinem Grund aufgefunden hatte.

■k

Adamo singt!

Von Alfred Madecno

Me ersten Frühsommernächte auf Lussin. Man
kann die Ruhestunden nach der Abendmahlzeit im
Freien zubringen. Ein duftiger Ueberwurf ge-
nügt den Frauen: die Herren setzen nicht einmal
die Hüte auf. Alle sitzen zufrieden zurückgelehnt
um den halb abgeräumten Tisch.

Frau Doris hatte es nicht zugelassen, daß die
Windlichter gebracht wurden. Sie meint, die
weißen Rosen, die in einer Ecke des kleinen

Pensionsgartens wie auf einem vielarmigen Leuch-
ter stecken, erhellen das Dunkel übergenug. Zu-
dem die Sterne — —

Und da Frau Doris bei Tisch und überhaupt
viel zu sagen hat und niemals nach der Mei-
nung anderer Leute fragt, geben sich die übrigen
Gäste mehr aus Bequemlichkeit als aus Gut-
mütigkeit zufrieden und bleiben gleichfalls im
Dunkeln sitzen.

Vom Hafen dringt der Lärm spielender Kinder
herauf: dann hämmern sie irgend einem lieben
Heiligen zu Ehren auf dem unfernen Campanile
an den Glocken.

Frau Doris hält sich die Ohren zu, aber es
sieht niemand, denn die weißen Rosen beleuchten
vielleicht eine andere Stelle des Gartens, den
Tisch und die kleine Gesellschaft drum herum jeden-
falls nicht.

Frau Doris ist nahe daran, nach den Wind-
lichtern zu rufen; da verstummt das einem Heili-
gen wohlgefällige Gehämmer nach einem letzten
gewaltigen Schlag auf die große Glocke, hörbar
will Frau Doris in der doppelt erfreuenden Stille
aufatmen, da stockt ihr der Atem und beinahe
auch der Herzschlag.

Roch weiter sinkt ihr unbestritten schönes
Haupt zurück, ihre rechte Hand langt halb un-
bewußt ins Dunkel und bleibt wie ein Nacht-
schmetterling auf dem Arm Herrn Söhngens für
die Dauer ihrer Flüsterworte ruhen:

„Still! Ach, Adamo singtI"

Und nun lauschen st« alle
gehorsam, mehr oder weniger
aufmerksam und entzückt,
jedoch schweigend.

„Ach! "haucht Frau Doris
hingerissen, als der jugend-
liche zwar ungeschulte, jeden-
falls aber stimmbegabte Te-
nor verstummt.

„Na," macht Herr Söhn-
gen etwas trocken und ver-
gewissert sich durch einen
Seitenblick, daß der Nacht-
schmetterling nicht mehr auf
seinem Arm sitzt.

„Adamo singt doch wun-
dervoll!" erhitzt sich Frau
Doris.

Um so gelassener bemerkt
Herr Söhngen: „Ich kenne
den Burschen vom Sehen.
Ein Lümmel — I"

„Dem muß ich entschieden
widersprechen!" Frau Doris'
Stimme klingt vor Entrüs-
tung dem Weinen nahe. „Ge-
wiß ist er nur ein einfacher
Fischer, doch die Gabe, so
singen zu können, adelt ihn.
Auch ich kenne Adamo vom
Sehen!" Und Frau Doris
läßt keinen geringen Stolz
mit diesen Worten auf-
klingen.

Herr Söhngen, dem
das alles ziemlich gleich-
gültig ist, zuckt bloß lässig
die Achseln. Er kennt Lussin
als Maler durch und durch
und liebt es seiner herben
Schönheit wegen. Rotes
Gestein, das den lichtblauen
Wogen der Adria entsteigt,
Silberströme von Ölzweigen
an seinen Abhängen —
Lussin! Die Leute dort
können ihm gestohlen wer-
den. Mit slavischen Namen
werben sie für die Irredenta,
mit italienischen für bcn
Panslavismus

Herr Söhngen zuckt die
Achseln.

Frau Doris fühlt es und
hat eine noch härtere Erwiderung auf der Zunge
— da beginnt der Sänger von neuem.

Wieder herrscht lautlose Stille, bis Adamo
zu Ende ist.

Adamo ist zu Ende. In weitem Bogen spuckt
er ins Meer. Aus der Brusttasche seines braunen,
wenig sauberen Wollhemdcs holt er eine abge-
brochene Zigarre.

Pia, die madonnenmilde, sieht nicht die Spu-
ren der Armut und der Nachlässigkeit an dem
jungen Fischer. Sie liebt ihn, denn sein Blick
ist kühn und aufrecht sein Gang, gewandt seine
Faust, die im Sturm die Barke meistert, und
Wohllaut seine Stimme, die er wn Abend über
den Hafen schickt, weit über den Hafen hin-
aus, und das gibt Pia zu denken, bereitet ihr
Kummer.

„Adamo!" Wie ein Schatten steht das Mäd-
chen hinter dem Burschen.

Der weiß Bescheid.

„Ich habe Dich nicht gefragt, meine Taube,"
spottet er Pias Schmerz.

Doch das Mädchen wagt mehr.

- „Morgen, übermorgen reist die Signora ab:
dann bist Du ihr nichts mehr —"

„Oho!"

„Nichts mehr!" läßt sich Pia nicht einschüchtern.
„Du bildest Dir wohl ein, daß die Signora Dich
liebt, und tust vor ihr, als seist auch Du in sie
verliebt. Du prahlst nur vor ihr und mit ihr,
Adamo —"

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Register
Alfred Maderno: Adamo singt!
Richard Langner: Isartal
 
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