Stimmen um ihn versinken in einem rauschenden
Meer, aus dem hin und wieder laute Blasen
kochen, steigen, platzen.
„Dreißig Mark zum ersten!"
„Vierzig!"
„Fünfzig!"
Der Auktionator läßt preisend eine dunkelrote
Plüschportiere aus erhobenen Händen aufrollen.
Wie ein Vorhang senkt sich dies Dunkelrot zwischen
das schwatzende Meer und den alten Graubart,
der auf das Bild hinabstarrt.
Paul, denkt er, vielleicht bist einmal auf den
Sesseln dort herum gerutscht Vielleicht ist dein
Vater gestorben oder deine Mutter. Wer weiß,
welches Schicksal dich hier auf den Ramscheimer
spülte.
Und die da hinterm Vorhang feilschen und
schachern und streiten um Dinge, aus denen deine
Kindheit guckt. Und während die da aufgeregt
schachern und handeln und dich auf den Ramsch-
havfen schichten, liegst du im flandrischen Graben.
Oder du schläfst schon lange unter irgend einem
kleinen Holzkreuz in Polen — oder in der Cham-
pagne — — —
Da ist der Vorhang plötzlich weg. Das plap-
pernde Meer wogt wieder an den Küchentisch
heran.
Der Auktionator packt die Photographie, legt
sie auf den Eimer.
„Ra also: das Letzte! Wer nimmt den Ramsch-
haufen! Schöner Ramsch, feiner Ramsch!"
Zahlen fallen unterm Habybart hervor, fallen
müd und dumpf, wie faules Obst: Einsachtzig.
Einsfünfzig. Einsdreißig. Groschen um Groschen
abwärts.
Herr Joachim ist wieder bleich geworden. Rur
überden buschigen Augenbrauen flammte eine Röte.
Er reißt das Bild vom Eimer, fingert im
Portemonnaie, schmeißt einen Rosa-Schein auf den
Tisch.
Die Leute schauen ihn an wie ein verrücktes
Tier, stoßen einander verschmitzt mit dem Ellen-
bogen, während Herr Joachim komisch mit dem
Stocke fuchtelt. Seine Lippen sind weiß und beben.
Aber er bringt nicht viel zu Markte.
„Bande!" schreit er nur „Bande seid ihr!"
Er geht. Dreht sich im Hoftor um. „Bande alle
miteinander!"
Ein Dicker mit blauer Schürze will ihm nach,
aber seine Frau hält ihn zurück. „Das siehste
doch, daß der-" Sie deutete auf Joachims
Zweimarkschein und dann auf die Stirn.
Das plappernde Meer aber grollt und murrt
und schäumt. Ein Flegel! Ob das wohl eine
Art ist! Ob das wohl einer versteht, he. . . Ob
das wohl einer versteht!
Dle Braut
Behet an üie süße Wethe Braut,
Steif und lieblich in üen Schleierfalten,
tvie sie bläh unö ernsthaft nieöerschaut
Auf üie tzanü, üie seinen Reif erhalten.
Von Gesang umflossen schreitet sie
Nieüer auf Ües Lebens üunkle Sahn,
SaS Gebet Üer Jugenü leitet sie
UnÜ üie Alten lächeln ihrem Wahn.
Lva Bernstein
*
Der Mann
mit den Champagnerftöpseln
Bon I. C. Brunner-Warschau
Um es gleich zu sagen: der „Mann mit den
Champagnerstöpseln" bin ich.
Als unser Onkel Theodor das Zeitliche ge-
segnet Haie, verkehrte sich sein bis dahin vorzüg-
licher Ruf bei allen Familienmitgliedern in das
Gegenteil.
Denn Onkel Theodor hatte die schamloseste
Gemeinheit begangen, die ein Erbonkel nur be-
gehen kann: er hatte nichts hinterlassen. Oder
wenigstens so gut wie nichts.
Eigentlich — um es ganz genau zu sagen —
waren es zwei Gemeinheiten gewesen. Die erste
hatten nur die anderen Familienmitglieder emp-
funden, als sie bei der Tcstamcntseröffnung er-
fahren hatten, daß Onkel Theodor mich zum
Alleinerben eingesetzt hatte. Die zweite hatte nur
ich empfunden, als sich nach der Testamentseröff-
nung herausstellte. . .
Run ja, es stellte sich heraus, daß Onkel
Theodor schon seit Jahren von der ansehnlichen
auf Grund eines Versicherungsvertrages erhaltenen
Leibrente gelebt und sein Bargeld jeweils gewissen-
haft in Rotweinen, Weißweinen, Champagner
und Likören angelegt hatte.
Die Belege dafür waren vorhanden. Ein
ganzes Zimmer voll. Da standen, in Kisten sorg-
fältig gesammelt, die Korke aller von Onkel Theodor
seit urdenklichen Zeiten geleerten Flaschen. Ehr-
same Rot- und Weißweinflaschenstöpsel, frivole
Sektstöpsel mit dem Korkbrand der bedeutendsten
Firmen, schlemmerische Likörflaschenkorke in allen
Spielarten, vom schlanken Cordial Brizard ange-
fangen bis zum kurzen, dicken Pcppcrntint, alles
mit dem Eifer des Sammlers gesichtet und etikettiert.
Zuerst dachte ich daran, die ganze Erbschaft
auszuschlagen. Aber das wäre pietätlos gewesen
und hätte die Schadenfreude der anderen Nicht-
erben nur noch geweckt. So stellte ich die Kiste
mit den Korken in einen Speicherraum und dachte
nicht mehr daran. Jahrelang nicht.
Da kam der Krieg. Und eines Tages las
ich in der Zeitung: „Champagnerkorke 15
Pfennige, andere Weinkorke 5 Pfennige das
Stück zu kaufen gesucht." Bor ich noch dazu
kam, ein Anerbieten zu schreiben, erschien wieder
eine Anzeige: „ChampagNerkorke 25 Pfg., andere
Weinkorke 15 Pfg., zu kaufen gesucht." Da schrieb
ich kein Anerbieten und wartete ab.
Und ich tat gut daran. Fe mehr der Geld-
wert sank, desto mehr stieg der Wert der Wein-
und Likörkorke im allgemeinen und der der Cham-
pagnerstöpsel im besonderen.
Stieg und stieg!
Als mir eines Tages mein Schneider eröffnetc,
daß er mir nichts mehr liefern könne, weil seine
noch in der Friedenszeit eingekauften Stoffe nun
unbezahlbar geworden seien, frug ich ihn von oben
herab: „Auch nicht, wenn ich in Champagner-
stöpseln bezahle?!"
„Zn Champagnerstöpseln? — Ja, das ist etwas
anderes! Soviel Euer Gnaden wünschen!"
Seit dieser Zeit bezahle ich alles, was gewöhn-
liche Erdenbürger für Geld nicht mehr bekommen
können, in Wein- und Champagnerstöpseln: —
die Milchfrau, die Butterfrau, der, Bäcker, der
Fleischer, der Steucrbote — nein, der nimmt
auch Bargeld — aber alle, alle anderen bekom-
men Wein- und Champagnerstöpsel statt Geld.
Und ich stehe mich gut dabei!
Ich spekuliere auch. Jeden Mittag bekomme ich
von allen Kriegswarenhintertreppenbörsenplätzen
Deutschlands und der verbündeten Mächte die
neuen Stöpsclnotierungen telegraphisch übermittelt.
Mein Reichtum hatte sich bald herumgesprochen
und alle Welt kennt mich nur noch als den
„Mann mit den Champagnerstöpseln". Es gibt
keine illustrierte Zeitung, die nicht schon mein Bild
gebracht hat und keine große Tageszeitung hat
es unterlassen, mich um meine Ansicht über die
Zukunft Europas ausfragen zu lassen. Und es
gibt keinen Orden für Kriegsverdienste in der
Heimat, den ich nicht schon für die bewunderns-
werte Boraussicht, die mich die Korke für die
Zeit der Rot aufheben ließ, erhalten hätte.
Neulich habe ich Inventur gemacht. Bei ver-
nünftigem Haushalten — ich brauche mich dabei
nicht einschränken — reicht mein Barbestand an
Wein-, Likör- und Champagnerkorken noch fünf
Jahre, sieben Monate und elf Tage.
Und bis dahin wird der Krieg wohl aus sein.
Einladung
525
Robert Engels (München)
Meer, aus dem hin und wieder laute Blasen
kochen, steigen, platzen.
„Dreißig Mark zum ersten!"
„Vierzig!"
„Fünfzig!"
Der Auktionator läßt preisend eine dunkelrote
Plüschportiere aus erhobenen Händen aufrollen.
Wie ein Vorhang senkt sich dies Dunkelrot zwischen
das schwatzende Meer und den alten Graubart,
der auf das Bild hinabstarrt.
Paul, denkt er, vielleicht bist einmal auf den
Sesseln dort herum gerutscht Vielleicht ist dein
Vater gestorben oder deine Mutter. Wer weiß,
welches Schicksal dich hier auf den Ramscheimer
spülte.
Und die da hinterm Vorhang feilschen und
schachern und streiten um Dinge, aus denen deine
Kindheit guckt. Und während die da aufgeregt
schachern und handeln und dich auf den Ramsch-
havfen schichten, liegst du im flandrischen Graben.
Oder du schläfst schon lange unter irgend einem
kleinen Holzkreuz in Polen — oder in der Cham-
pagne — — —
Da ist der Vorhang plötzlich weg. Das plap-
pernde Meer wogt wieder an den Küchentisch
heran.
Der Auktionator packt die Photographie, legt
sie auf den Eimer.
„Ra also: das Letzte! Wer nimmt den Ramsch-
haufen! Schöner Ramsch, feiner Ramsch!"
Zahlen fallen unterm Habybart hervor, fallen
müd und dumpf, wie faules Obst: Einsachtzig.
Einsfünfzig. Einsdreißig. Groschen um Groschen
abwärts.
Herr Joachim ist wieder bleich geworden. Rur
überden buschigen Augenbrauen flammte eine Röte.
Er reißt das Bild vom Eimer, fingert im
Portemonnaie, schmeißt einen Rosa-Schein auf den
Tisch.
Die Leute schauen ihn an wie ein verrücktes
Tier, stoßen einander verschmitzt mit dem Ellen-
bogen, während Herr Joachim komisch mit dem
Stocke fuchtelt. Seine Lippen sind weiß und beben.
Aber er bringt nicht viel zu Markte.
„Bande!" schreit er nur „Bande seid ihr!"
Er geht. Dreht sich im Hoftor um. „Bande alle
miteinander!"
Ein Dicker mit blauer Schürze will ihm nach,
aber seine Frau hält ihn zurück. „Das siehste
doch, daß der-" Sie deutete auf Joachims
Zweimarkschein und dann auf die Stirn.
Das plappernde Meer aber grollt und murrt
und schäumt. Ein Flegel! Ob das wohl eine
Art ist! Ob das wohl einer versteht, he. . . Ob
das wohl einer versteht!
Dle Braut
Behet an üie süße Wethe Braut,
Steif und lieblich in üen Schleierfalten,
tvie sie bläh unö ernsthaft nieöerschaut
Auf üie tzanü, üie seinen Reif erhalten.
Von Gesang umflossen schreitet sie
Nieüer auf Ües Lebens üunkle Sahn,
SaS Gebet Üer Jugenü leitet sie
UnÜ üie Alten lächeln ihrem Wahn.
Lva Bernstein
*
Der Mann
mit den Champagnerftöpseln
Bon I. C. Brunner-Warschau
Um es gleich zu sagen: der „Mann mit den
Champagnerstöpseln" bin ich.
Als unser Onkel Theodor das Zeitliche ge-
segnet Haie, verkehrte sich sein bis dahin vorzüg-
licher Ruf bei allen Familienmitgliedern in das
Gegenteil.
Denn Onkel Theodor hatte die schamloseste
Gemeinheit begangen, die ein Erbonkel nur be-
gehen kann: er hatte nichts hinterlassen. Oder
wenigstens so gut wie nichts.
Eigentlich — um es ganz genau zu sagen —
waren es zwei Gemeinheiten gewesen. Die erste
hatten nur die anderen Familienmitglieder emp-
funden, als sie bei der Tcstamcntseröffnung er-
fahren hatten, daß Onkel Theodor mich zum
Alleinerben eingesetzt hatte. Die zweite hatte nur
ich empfunden, als sich nach der Testamentseröff-
nung herausstellte. . .
Run ja, es stellte sich heraus, daß Onkel
Theodor schon seit Jahren von der ansehnlichen
auf Grund eines Versicherungsvertrages erhaltenen
Leibrente gelebt und sein Bargeld jeweils gewissen-
haft in Rotweinen, Weißweinen, Champagner
und Likören angelegt hatte.
Die Belege dafür waren vorhanden. Ein
ganzes Zimmer voll. Da standen, in Kisten sorg-
fältig gesammelt, die Korke aller von Onkel Theodor
seit urdenklichen Zeiten geleerten Flaschen. Ehr-
same Rot- und Weißweinflaschenstöpsel, frivole
Sektstöpsel mit dem Korkbrand der bedeutendsten
Firmen, schlemmerische Likörflaschenkorke in allen
Spielarten, vom schlanken Cordial Brizard ange-
fangen bis zum kurzen, dicken Pcppcrntint, alles
mit dem Eifer des Sammlers gesichtet und etikettiert.
Zuerst dachte ich daran, die ganze Erbschaft
auszuschlagen. Aber das wäre pietätlos gewesen
und hätte die Schadenfreude der anderen Nicht-
erben nur noch geweckt. So stellte ich die Kiste
mit den Korken in einen Speicherraum und dachte
nicht mehr daran. Jahrelang nicht.
Da kam der Krieg. Und eines Tages las
ich in der Zeitung: „Champagnerkorke 15
Pfennige, andere Weinkorke 5 Pfennige das
Stück zu kaufen gesucht." Bor ich noch dazu
kam, ein Anerbieten zu schreiben, erschien wieder
eine Anzeige: „ChampagNerkorke 25 Pfg., andere
Weinkorke 15 Pfg., zu kaufen gesucht." Da schrieb
ich kein Anerbieten und wartete ab.
Und ich tat gut daran. Fe mehr der Geld-
wert sank, desto mehr stieg der Wert der Wein-
und Likörkorke im allgemeinen und der der Cham-
pagnerstöpsel im besonderen.
Stieg und stieg!
Als mir eines Tages mein Schneider eröffnetc,
daß er mir nichts mehr liefern könne, weil seine
noch in der Friedenszeit eingekauften Stoffe nun
unbezahlbar geworden seien, frug ich ihn von oben
herab: „Auch nicht, wenn ich in Champagner-
stöpseln bezahle?!"
„Zn Champagnerstöpseln? — Ja, das ist etwas
anderes! Soviel Euer Gnaden wünschen!"
Seit dieser Zeit bezahle ich alles, was gewöhn-
liche Erdenbürger für Geld nicht mehr bekommen
können, in Wein- und Champagnerstöpseln: —
die Milchfrau, die Butterfrau, der, Bäcker, der
Fleischer, der Steucrbote — nein, der nimmt
auch Bargeld — aber alle, alle anderen bekom-
men Wein- und Champagnerstöpsel statt Geld.
Und ich stehe mich gut dabei!
Ich spekuliere auch. Jeden Mittag bekomme ich
von allen Kriegswarenhintertreppenbörsenplätzen
Deutschlands und der verbündeten Mächte die
neuen Stöpsclnotierungen telegraphisch übermittelt.
Mein Reichtum hatte sich bald herumgesprochen
und alle Welt kennt mich nur noch als den
„Mann mit den Champagnerstöpseln". Es gibt
keine illustrierte Zeitung, die nicht schon mein Bild
gebracht hat und keine große Tageszeitung hat
es unterlassen, mich um meine Ansicht über die
Zukunft Europas ausfragen zu lassen. Und es
gibt keinen Orden für Kriegsverdienste in der
Heimat, den ich nicht schon für die bewunderns-
werte Boraussicht, die mich die Korke für die
Zeit der Rot aufheben ließ, erhalten hätte.
Neulich habe ich Inventur gemacht. Bei ver-
nünftigem Haushalten — ich brauche mich dabei
nicht einschränken — reicht mein Barbestand an
Wein-, Likör- und Champagnerkorken noch fünf
Jahre, sieben Monate und elf Tage.
Und bis dahin wird der Krieg wohl aus sein.
Einladung
525
Robert Engels (München)