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Heber ItCorgen

von Gerhard Moerner
geboren rr. (Vktober 189^ zu Halle a. S.,
gefallen bel tombartzyde if. April 1917.

Lieber Morgen, du bist kühl.

Deine Hände streicheln mich.

Ganz von weitem scheint die Sonne
Und die Gräser beugen sich.

Über mir die Blütenbäume
Tragen mich wie einen Ast,
stn die Lust bin ich geschwungen,

Line knospenreiche Last.

Irischer Dust der kräftigen Lrde
Spritzt wie Wasser aus dem Boden,
Kräftig müh'n sich schwere Hände
Feuchtes Unkraut auszuroden.

Schneide nur, du scharfe Scheere.
stn die Blätter grüne Lucht:
vieles muh für Seltnes fallen
Und der Rest wird edle Frucht.

*

Der Herbft des Einsamen

Von Georg Trakl
geboren z. Februar 1887 in Salzburg,
gestorben 3. 71ov, 1914 In einem Lazarett der Festung Krakau.

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;

Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.

Die Wolke wandert übern Weiherfpiegel;

Es ruht des Landmanns ruhige Geberöe.

Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die fchivarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;

In kühle Stubeii kehrt ein still Bescheiden
lind Engel treten leise aus den blauen
2lugen der Liebeiiden, die fanster leiden.

Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Graueil,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen

Weiden.

*

Der Grenzbock

Bon Hermann Löns
geboren 29. August 1866 zu Kulm in Westpreußen,
gefallen 27. September 1914 bei Loivre (vor Reims).

Das gefährlichste Tier, das es auf der Welt
gibt, ist der Grenzbock. Der Floh ist unangenehm,
der Tiger ist hinterlistig, das Rhinozeros ist rück-
sichtslos, die Puffotter hat üble Eigenschaften, aber
wenn man von ihnen allen einen Extrakt macht,

Mein letztes Postenloch Hans Hofmüllcr f

so bekommt man doch noch keinen Begriff von
der Gefährlichkeit, Bosheit und Gemeinheit des
Grenzbocks.

Dieser Bock, gegen den jeder andere Rehbock
ein Waisenknabe und ein frischgewaschenes Un-
schuldslamm ist, ficht von außen aus wie jeder
andere Rehbock, hat also vier Läufe, keinen We-
del, zwei Lauscher und dazwischen ein Gehörn.
Und dieses Gehörn hat stets den doppelten, wenn
nicht dreifachen Wert eines gleichstarken Gehörns
eines Bockes, der kein Grenzbock ist. Das läßt
sich weder mit dem Zollstab, noch mit dem Mi-
kromeiermaß feststellen, aber es ist so. Der Wert
ist eben imaginär, wenn nid)t sogar imaginärrisch,
denn ein Grenzbock, der nur Knubben trägt, ver-
führt den Menschen oft zu mehr Dummheit als
ein Sechserbock, der mitten in der Zagd steht.
— Der Grenzbock hat eine Masse häßlicher An-
gewohnheiten und Eigenschaften; seine niederträch-
tigste ist aber die, daß er die Zagdgrenze nicht
achtet. Den ganzen Tag treibt er sich an der
Grenze umher. Wenn Meyer denkt: „So, mein
Lieber, nun will ich dir das Maß nehmen!", dann
macht der Grenzbock kaltlächelnd kehrt, und Meyer
ist der lackierte Mitteleuropäer, 'denn jetzt steht der
Bock anderthalb Zentimeter über der Grenze auf
Müllers Jagd. Meyer wartet eine Viertelstunde,
eine halbe Stunde, eine ganze Stunde, aber der
Bock hat ebensoviel Zeit, und Meyer wird cs zu
dumm, und er geht ab. Zn demselben Augenblick
tritt der Bock wieder über die Grenze, und zwar
nur, um Müller zu reizen, der sich langsam her-
angeb irscht hatte. Nun steht Müller da und
wartet, bis er schwarz wird, und geht schließlich
ab, und da tritt der Bock wieder über die Grenze,
und zwar gerade in demselben Augenblicke, als
Meyer sich wieder heranbirscht. — Am deutlich-
sten zeigt sich der gewöhnliche Charakter des
Grenzbockes, wenn Meyer rechts und Müller
links von der Grenze in ihren Anstandslöchern
sitzen und gratis und franko die Mücken fett
machen. Dann äst sich der Bock immer so, daß
beide ihn sehen können, aber immer in guter
Deckung. Manchmal tut er so, als wolle er
dem einen kommen, aber das macht er bloß,

damit der andere hustet, um den Bock zu ver-
grämen, denn sein Bestreben geht auf weiter
nichts hinaus, als Müller und Meyer zu Tod-
feinden zu machen, was ihm auch in den meisten
Füllen gelingt.

Das Geld, die Damen, die Politik und die
Religion sind die Borwände, die die Menschen
benutzen, um sich zu verfeinden. Alle vier zu-
sammen aber haben wohl kaum so viel Un-
heil über die Menschheit gebracht wie der Grenz-
bock. Er hat den Bruder mit dem Bruder, den
Schwager mit dem Schwager, den Kegelbruder
mit dem Kegelbruder auseinandergebracht; er
hat Männer, die so manches Glas Bier und
so manchen Schnaps miteinander getrunken
haben, so weit gebracht, daß einer den ande-
ren wie atmosphärische Luft oder wie noch et-
was Schlimmeres behandelte, und wenn er
sie wieder zusammenbrachte, dann war es vor
dem Kadi.

Er hat Leute, die nicht imstande waren, eine
Million zu unterschlagen, dazu gebracht, sich des
Eigcntumsvergehens schuldig zu machen, und hat
harmlose Gemüter, reine Herzen, edle Seelen mit
Arglist, Bosheit und Niedertracht bis zum Platzen
gefüllt und sie veranlaßt, eine Gemeinheit nach der
anderen zu begehen, als da sind: falsche Fährten,
Fegestellen und Plätze zu machen, Zagdstörungen
zu verüben, Wechsel zu vcrstänkern, Dickungen
mit Papierschnitzeln zu versehen, kurzum, Dinge zu
tun, die ein braver Mann sonst nicht tut. Es hat
Grenzböcke gegeben, um die ein Mann sein Weib,
seine Kinder, sein Geschäft, ja sogar seinen Stamm-
tisch in gröblichster Weise vernachlässigte, ohne daß
er den Bock bekam, oder wenn er ihn bekam, dann
bekam er ihn doch nicht, denn mit dem letzten Rest
seiner Kräfte schleppte sich der Bock noel> über die
Grenze, um dort zu verenden, denn das größte Ver-
gnügen für einen Grenzbock ist es, wenn ihn der
eine nicht kriegt und der andere erst, wenn er ver-
ludert ist und irgendein fremder Mensch sich das
Gehörn angccignet hat.

Weil nun der Grenzbock eine so bodenlos ge-
meine und gefährliche Kreatur ist, gibt man sich
die allergrößte Mühe, ihn auszurotten, doch ge-
lang das bisher noch nicht, denn sowie der eine
Grenzbock erlegt ist, tritt schon ein anderer an
seine Stelle und setzt das Geschäft mit frischen
Kräften fort. Und wenn man das so bedenkt,
dann fragt man sich: Der Deuwel mag bloß
wissen, wo sie alle Herkommen, die Grenzböcke l

*

Der Abend ragte. . .

Von Ernst Wilhelm Lotz

geboren 6. Februar 1890 zu Kulm a. Weichsel,
gefallen 26. Sepicmber 1914 an der Aisnc.

Der Abend ragte rot über den Bäumen des

Westens,

Und über meinem Scheitel war der Himmel ein

tiefes Meer.

Wir faßen im Kaffeegarten, Stimmen-uinstattert.
Biele Augen suchten unsere Lichter zu haschen.

Aber ste konnten nicht zu uns hinstnden.

Denn versteckt in unserer Liebe leuchteten wir. --

Ich glaube, wir faßen auf dem Meeresgrund:
Mein Blut rauschte so und strudelte, und deine
Augen staunten so grnudblau.
Register
Hermann Löns: Der Grenzbock
Georg Trakl: Der Herbst des Einsamen
Gerhard Moerner: Lieber Morgen
Ernst Wilhelm Lotz: Der Abend ragte...
Hans Hofmüller: Mein letztes Postenloch
 
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