Mutterliebe
Paul Zeiller jun., geboren 22. Oktober 1880 In München,
f nach schwerer Verwundung als Leutnant 25. Juni 1915.
VITA SOMNIUM BREVE
23i’n ErNst Gallus
geboren 26. 3urt( 1882 ln Darmstadt,
gestorben im Lazarett an seinen schweren Verwundungen
20. Mai 1917.
Dag war fin Himmel: blau und klar und still
Steht dort ein See in voller Sommersonne
In einem Kelch von Bergen — klar und still.
Mein schwer beladener, ungefüger Kahn
Warf einen breiten Graben auf; eg lenken
Zwei lange Furchen die bedächt'ge Bahn.
Ich zog die groben Ruder langfam ein
lind fah zum Grund. In duftigen Geweben
Sank leig hinab der Sonne leichter Schein.
Ein Jubeln rief mich an. Das fuhr vorbei —
Schon weit im Blau entfloh mit Silberfegeln
Ein flinkes Schiff voll Torheit, Licht und Mai,
Lachen in Tränen trug's. Vom Grunde steigt
Ein grüner Schleier, Dämmrung rinnt ihm nach.
Der Wellen Anschlag klingt sich aus und schweigt.
Seitdem, mein Kind, leb ich hier auf dem Grunde
lind trage meine Lasten auf dem Rücken
lind in deni Herzen eine heiße Wunde.
Doch sieh, die Sonne spielt, es sucht das Licht
llns alle wieder — Mut, mein Kind, ich hebe
Dich hoch hinauf: faß zu und zaud're nicht!
Schaust du den See — den Himmel blau und klar.
Die heilige Heimat in der Sommerfonne,
Dag Schneegebirg, das Silberfegelpaar — ?
51 ti s „W o lfEsch e n l o h r"
Von Walter F lex
geboren 6. Juli 1887 in Eyenach,
gefallen 16. Oktober 1917 auf Oescl.
<Wir veröffentlichen nachstehend ein Bruchstück
aus dem nachgelassenen Roman-Fragment „Wolf
Eschenlohr". Geschildert ist die Abschiedsfeier
der Kriegsfreiwilligen der Erlanger Burschenschaft
„Arminia." bei deren Beginn der greise Universitäts-
Professor Theobald Wachsmnth zu der begeisterten
Jugend spricht).
Und Theobald Wachsniuth hob an:
„Gott. Freiheit, Ehre, Vaterland! — Bier-
Worte stehen als Wahlspruch über dem Leben
unseres Bundes. Worte sind Glocken, meine
Brüder: Die Jungen läuten sie, wie die Alten sie
gegossen haben. Es kann kein volleres und rci-
rliercs Geläut in die Stille dieser Schicksalsstunde
hineinklingen als die vier geheiligten Worte unserer
Lebensgemeinschaft. . ."
Und dann ließ er Gott reden aus dem Ge-
witterhimmel des Krieges über der verdunkelten
Erde, daß die Jünglinge unter der Heiligung
ihrer opferdurstigen Kraft erbebten. Er schwang
das Sturmbanner der Freiheit unsichtbar über
ihren Häuptern, daß sie tiefer cralmend sein Rau-
scl>cn zu hören vermeinten. Er richtete die Gebote
der Ehre wie Gesetzestafeln in ihrer Mitte auf.
Und er sprach ihnen vom Baterlande:
„Hast Du's auch recht gekannt und geliebt:
Dein Vaterland? nicht den toten Begriff, sondern
das Vaterland aus Fleisch und Blut, Dein Volk?
Hast Du s wirklich gekannt und geliebt von ganzem
Herzen und ganzem Gemüte? Tiefer soll keine
Glocke je tönen über uns und unsere Erben und
Nachgeborenen als das Wort Volk. Wie ein
Glückenton soll ihm das Wort der Hingabe, das
Wort Du vorausschwingen: Du, mein Volk! Du,
mein Bruder! Du, mein Vaterland! In keiner
Sprache der Erde schwingt das Wort der Hingabe,
das Wort Du, so voll tiefen, inbrünstigen Wohl-
klangs wie in'der unser», und kein Volk der Erde
kann uns das in Kraft und Wohllaut und Schön-
heit und Wahrheit nachschwören: Du, unser Gott!
Du, mein Volk und Vaterland! .. . Und so laßt
uns den Wahlspruch singen!"
Barhäuptig standen sie alle an den langen
Tafeln. Und während sie sangen, hörten sie über
ihren Häuptern die ewigen Glocken tönen, von
denen der Alte gesprochen.
Einer aber unter ihnen sah mehr als sie alle.
Mit der Inbrunst der Kriegsfreiwilligen sang
Wolf Eschenlohr das alte Gelübde mit. Eine
brennende, ungeduldige, knabenhaft schwärmende
und männlich starke Liebe war über ihn gekommen.
Und während sie ihren Wahlspruch sangen,
sah er mit der Kraft einer Vision den Kreis der
verschlungencn Männer und Jünglinge sich weiten.
Zwischen den schwarzen Samt der Pikeschen und
das graue und lichtblaue Tuch der bayerischen
Waffenröcke schoben und drängten sic sich hinein:
hemdärmelige Arbeiter, Schmicdeknechte im blauen
Linnenkittel, Tagelöhner im grauen Werkelkleide..
Mehr und mehr.Zahllos drängten sie
heran . . . Die ungleichen Kinder Euü . . . Aus
den Fabriken waren sie gekommen und von den
Erntefeldern . .. Ihre Arme lagen auf den Schul-
tern der singenden Burschen . . . Sie sangen mit
. . . Auch Karl Igelshieb hatte empfangenen und
getanen Schimpf vergessen . . . Sein Arm lag
schwer um Eschenlohrs Nacken, während sie san-
gen . . .
In tiefer Erschütterung, als wäre ihm eine
Offenbarung geworden, stand der Jüngling, als
der Kreis der Burschen sich löste und mit ihm die
Runde der unsichtbaren Gäste zerfloß.
Die Stunden trieben weiter auf den Wogen
immer neuer Lieder und stürmender Worte . . .
Es war schon spät, als Heinz Borkenhagen,
der Sprecher, seinen Arm unter den Eschenlohrs
540
Paul Zeiller jun., geboren 22. Oktober 1880 In München,
f nach schwerer Verwundung als Leutnant 25. Juni 1915.
VITA SOMNIUM BREVE
23i’n ErNst Gallus
geboren 26. 3urt( 1882 ln Darmstadt,
gestorben im Lazarett an seinen schweren Verwundungen
20. Mai 1917.
Dag war fin Himmel: blau und klar und still
Steht dort ein See in voller Sommersonne
In einem Kelch von Bergen — klar und still.
Mein schwer beladener, ungefüger Kahn
Warf einen breiten Graben auf; eg lenken
Zwei lange Furchen die bedächt'ge Bahn.
Ich zog die groben Ruder langfam ein
lind fah zum Grund. In duftigen Geweben
Sank leig hinab der Sonne leichter Schein.
Ein Jubeln rief mich an. Das fuhr vorbei —
Schon weit im Blau entfloh mit Silberfegeln
Ein flinkes Schiff voll Torheit, Licht und Mai,
Lachen in Tränen trug's. Vom Grunde steigt
Ein grüner Schleier, Dämmrung rinnt ihm nach.
Der Wellen Anschlag klingt sich aus und schweigt.
Seitdem, mein Kind, leb ich hier auf dem Grunde
lind trage meine Lasten auf dem Rücken
lind in deni Herzen eine heiße Wunde.
Doch sieh, die Sonne spielt, es sucht das Licht
llns alle wieder — Mut, mein Kind, ich hebe
Dich hoch hinauf: faß zu und zaud're nicht!
Schaust du den See — den Himmel blau und klar.
Die heilige Heimat in der Sommerfonne,
Dag Schneegebirg, das Silberfegelpaar — ?
51 ti s „W o lfEsch e n l o h r"
Von Walter F lex
geboren 6. Juli 1887 in Eyenach,
gefallen 16. Oktober 1917 auf Oescl.
<Wir veröffentlichen nachstehend ein Bruchstück
aus dem nachgelassenen Roman-Fragment „Wolf
Eschenlohr". Geschildert ist die Abschiedsfeier
der Kriegsfreiwilligen der Erlanger Burschenschaft
„Arminia." bei deren Beginn der greise Universitäts-
Professor Theobald Wachsmnth zu der begeisterten
Jugend spricht).
Und Theobald Wachsniuth hob an:
„Gott. Freiheit, Ehre, Vaterland! — Bier-
Worte stehen als Wahlspruch über dem Leben
unseres Bundes. Worte sind Glocken, meine
Brüder: Die Jungen läuten sie, wie die Alten sie
gegossen haben. Es kann kein volleres und rci-
rliercs Geläut in die Stille dieser Schicksalsstunde
hineinklingen als die vier geheiligten Worte unserer
Lebensgemeinschaft. . ."
Und dann ließ er Gott reden aus dem Ge-
witterhimmel des Krieges über der verdunkelten
Erde, daß die Jünglinge unter der Heiligung
ihrer opferdurstigen Kraft erbebten. Er schwang
das Sturmbanner der Freiheit unsichtbar über
ihren Häuptern, daß sie tiefer cralmend sein Rau-
scl>cn zu hören vermeinten. Er richtete die Gebote
der Ehre wie Gesetzestafeln in ihrer Mitte auf.
Und er sprach ihnen vom Baterlande:
„Hast Du's auch recht gekannt und geliebt:
Dein Vaterland? nicht den toten Begriff, sondern
das Vaterland aus Fleisch und Blut, Dein Volk?
Hast Du s wirklich gekannt und geliebt von ganzem
Herzen und ganzem Gemüte? Tiefer soll keine
Glocke je tönen über uns und unsere Erben und
Nachgeborenen als das Wort Volk. Wie ein
Glückenton soll ihm das Wort der Hingabe, das
Wort Du vorausschwingen: Du, mein Volk! Du,
mein Bruder! Du, mein Vaterland! In keiner
Sprache der Erde schwingt das Wort der Hingabe,
das Wort Du, so voll tiefen, inbrünstigen Wohl-
klangs wie in'der unser», und kein Volk der Erde
kann uns das in Kraft und Wohllaut und Schön-
heit und Wahrheit nachschwören: Du, unser Gott!
Du, mein Volk und Vaterland! .. . Und so laßt
uns den Wahlspruch singen!"
Barhäuptig standen sie alle an den langen
Tafeln. Und während sie sangen, hörten sie über
ihren Häuptern die ewigen Glocken tönen, von
denen der Alte gesprochen.
Einer aber unter ihnen sah mehr als sie alle.
Mit der Inbrunst der Kriegsfreiwilligen sang
Wolf Eschenlohr das alte Gelübde mit. Eine
brennende, ungeduldige, knabenhaft schwärmende
und männlich starke Liebe war über ihn gekommen.
Und während sie ihren Wahlspruch sangen,
sah er mit der Kraft einer Vision den Kreis der
verschlungencn Männer und Jünglinge sich weiten.
Zwischen den schwarzen Samt der Pikeschen und
das graue und lichtblaue Tuch der bayerischen
Waffenröcke schoben und drängten sic sich hinein:
hemdärmelige Arbeiter, Schmicdeknechte im blauen
Linnenkittel, Tagelöhner im grauen Werkelkleide..
Mehr und mehr.Zahllos drängten sie
heran . . . Die ungleichen Kinder Euü . . . Aus
den Fabriken waren sie gekommen und von den
Erntefeldern . .. Ihre Arme lagen auf den Schul-
tern der singenden Burschen . . . Sie sangen mit
. . . Auch Karl Igelshieb hatte empfangenen und
getanen Schimpf vergessen . . . Sein Arm lag
schwer um Eschenlohrs Nacken, während sie san-
gen . . .
In tiefer Erschütterung, als wäre ihm eine
Offenbarung geworden, stand der Jüngling, als
der Kreis der Burschen sich löste und mit ihm die
Runde der unsichtbaren Gäste zerfloß.
Die Stunden trieben weiter auf den Wogen
immer neuer Lieder und stürmender Worte . . .
Es war schon spät, als Heinz Borkenhagen,
der Sprecher, seinen Arm unter den Eschenlohrs
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