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O. L. Nägele (München)

Lin Bedürftiger

„Aloys, Du solltest eine doxxelte Brotkarte verlangen:
On bist Schwerfaulenzer!"

Der letzte Wille

Von Georg Hirschfeld

Guido Maurus Stern, der Kunstschriftsteller,
hatte seinem Freunde Wodanshausen soeben seinen
großen Entschluß mitgeteilt. Der Dichter saß ihm
ergriffen gegenüber, „Also das ist Ihr letzter Wille.
Das ist Guido Maurus' Testament. Sie wollen
Ihr gesamtes Barvermögen, viermnlhunderttausend
Mark zum Besten aufstrebender Künstler vermachen.
Herrlich! Herrlich!"

Guido Maurus wollte bescheiden widersprechen
— da wurden sie unterbrochen, Fräulein Kloster-
mann, die Wirtschafterin, erschien und meldete
neuen Besuch. Sie machte jetzt ein freundlicheres
Gesicht, denn sie war sehr kritisch gegen den künst-
lerischen Verkehr ihres Herrn, Mit blutendem
Herzen hatte sie wieder ihre kalten Schüsseln her-
gerichtet, Besonders die Kaviarbrötchen waren
immer gleich verschwunden, wenn die Künstler
kamen. Jetzt aber konnte Fräulein Klostermann
eine Dame melden, eine junge Dame noch dazu,
deren Wohlstand und gute Familie ihr bekannt
waren.

„Fräulein Levinger!" flötete Guido Maurus
und eilte dem Besuch entgegen. Wodanshausen
sah ihm etwas indigniert nach — die Fremde
gehörte nicht zum „Bunde", und um ihretwillen
wurde die große Sache sofort beiseite geschoben,

Fräulein Levinger war ein zierliches und äußerst
beredtes Persönchen, Ihr Wesen war ganz Neu-
gier und Begeisterung, Sie hatte durch Guido
Maurus' Schwager zu ihm gefunden, durch Joseph
Rogger, Bettfedern en gros. Niemand wußte in
Guido Maurus' Welt, daß der Mäcen an den
Bettfedern still beteiligt war. Auch Elsbeth Le-
vinger wußte es nicht, denn sie hatte trotz der
väterlichen Manufakturwarenhandlung gar kein
Interesse für's Geschäft, sondern nur für die Kunst.
Sie malte und geigte, aber sie dichtete auch. Vor
allem wollte die losgelassene Kleinstädterin sich an
all' den freien und schönen Genüssen der Groß-
stadt erquicken.

Guido Maurus Sterns Wohnung erschien ihr
als Inbegriff davon. Nun hatte der gute Herr
Rogger, ihres Vaters Geschäftsfreund, ihren großen
Wunsch erfüllt. Sie stand in den Räumen, wo
alles Kunst war. Der erste Mensch, mit dem Guido
Maurus sie bekannt machte, war ein lebendiger

Dichter, Guido Maurus aber war von Elsbeth
Levinger entzückt. Es ging ihm heute sonderbar.
Er war sonst nicht so leicht empfindlich vor Frauen.
Ein echter, alter Junggeselle, von Gewohnheiten
umzirkelt, ein Graukopf von 52 Jahren immerhin.
Sein Alter hatte ihn in die kühle Sphäre des
Verzichten» geführt, zur tröstenden Kunst — aber
sein Alter war es auch, das ihm den ersten Todes-
gedanken gegeben hatte. Doch gerade in diesem
kritischen Zeitpunkt wirkte die weibliche Jugend
in Gestalt von Elsbeth Levinger auf ihn. Das
schwatzhafte, aber urwüchsige Persönchen brachte
Licht und Luft in seine schönen, vor lauter Kultur
etwas muffig gewordenen Räume. Ihr Glaube
an alles, was er besaß, ihre Bewunderung für
seine abstrakte Welt waren so spontan, daß sie ihn
mitriß.

Er hörte glücklich lächelnd zu. Er dachte dank-
bar an seinen Schwager Rogger, Elsbeth Levinger
schwatzte von den Expressionisten und befragte ihn,
was diese Künstler eigentlich wollten. Er faßte
sich errötend und antwortete ihr. Aber er war
zerstreut und von der großen Ewigkcitssache seines
Testamentes gänzlich abgelenkt.

Plötzlich mußte er sich wieder hineinfinden.
Die Freunde des „Bundes" erschienen, Fräulein
Klostermann servierte mit mürrischer Miene, Els-
beth aber spürte bald, daß es gut war, sicl> zu
empfehlen. Eie war an lückenlose Beliebtheit ge-
wöhnt, und es gehörte etwas dazu, bis ihr eitles
Köpfchen sich selbst als störend erkannte. Die Herren
um sie herum machten so sonderbare, gleichsam zu-
geschraubte Gesichter. Niemand richtete das Wort
an sie. Man ließ es die junge Dame fühlen, daß
sie nicht zum „Bunde" gehörte.

Elsbeth stand auf. Sie ging nicht schweren
Herzens, Gewiß, es war höchst interessant bei
Guido Maurus Stern, und sie hatte in Hilffchen-
broda viel zu erzählen — aber die Kunst war ihr
bod) lieber als die Künstler.

Sie wollte sid) cnglisd) drücken — da folgte
Guido Maurus ihr mit einem Eifer, der ihm sonst
nidjt eigen war. — „Id) hoffe, daß es Ihnen ein
wenig bei mir gefallen hat," sagte er im Vor-
zimmer, — „Großartig, Herr Stern! Ganz groß-
artig!" rief die kleine Heuchlerin, Dann fügte sie
errötend hinzu: „Aber idj habe nun noch eine
große Bitte — — darf ich's sagen?" — „Wie
könnte ich Ihnen etwas abschlagen?" — „Id>
nehme Sie beim Wort! Nächsten Sonntag sind
Herr und Frau Rogger draußen bei uns in Hch-
sd)enbroda! Bitte, kommen Sie doch auch! Uni
1 Uhr, zu Tisd)! Meine Eltern würden sid) so
freuen!" — „Id, komme," — „Sie fahren um
12 Uhr 15 vom Zentralbahnhof — nur eine halbe
Stunde!" — „Ich komme!"

Sein inniger Blick folgte Elsbeth Levinger,
während sie die Treppe hinuntcrhuschte, Halb ver-
liebt, halb väterlid) — es war eine wundersame
Misd>ung. Dann riß er sid> aus seinen Träumen.
Er mußte ja zu den Freunden zurüdi. Sie waren
gewiß schon ungeduldig. Ad,, heute wünschte er
sie zum ersten Mal — anderswohin. Heute ge-
rade _Wie sonderbar....

Da saßen sie sd,on alle in erwartungsvollem
Sd,weigen. Sie wußten, was sid, ereignen sollte,
und ihre Blicks ruhten in milder Andadst auf
Guido Maurus, Diesen fröstelte es dabei. Es
war etwas wie Friedhofsstimmung, Leichenhallen-
feierlichkeit in seinem sd,önen Arbeitszimmer, War
er denn schon ein Jenseitiger, ein Toter?

Er trat an seinen Schreibtisch, er wollte zu
reden anfangen, aber die Stimme versagte ihm.
Kalter Sd,weiß trat ihm auf die Stirn, Er winkte
Wodanshausen mit mattem Läd)eln, „Sagen Sie
es, lieber Freund. Ich bin etwas müde. Sie
wissen ja alles."

Guido Maurus wurde wie ein Ahnherr in
den Sessel gesetzt, und Wodanshauscn begann.
Man lauschte andächtig, aber sogleich nad, der
Rede des Dichters kam die Diskussion, Wegen
der Zusammensetzung des Kuratoriums platzten
die Meinungen aufeinander. Der ganze Richtung»»
Hader und Kritikerhaß entlud sich. Die Luft wurde
immer schlechter, Man behauptete, objektiv zu sein,

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Otto Ludwig Naegele: Ein Bedürftiger
Georg Hirschfeld: Der letzte Wille
 
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