Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Büste Rud. Schwarz (München)

Bitte

Sag mir, bajj du müde bist.

Und ich will dein Müdsein hegen.

Trage dich dem Traum entgegen.

Daß dein Leid den Tag vergißt.

Deine Trauer sei mir hold.

Will mich nach den Tränen bücken.

Laß mich meine Armut schmücken.

Was du weinest, ist von Gold.

Bin dir immer nah und kann
Deine Schwermut nicht verlassen.

Die sich freuen, muß ich hassen.

Linsam bin ich. Sieh mich an.

Alfred Grünewald (Wien)

Sommerbeginn

Tiefer die schimmernden Schwalben schießen.
Strome voll Duft und Sonne ergießen
Ohren Zauber über das Land,

Und im entfliehenden Mai,

Da schon die Rosen erglühen,

Säuselt's, als griffe auf grüner Schalmei
Line zärtliche Hand,

Ach, den Akkord vom verblühen ...

gxltj Fleischhauer

*

Suggestion

Von Friedrich Eisenlohr

Roger Wild saß zusammengesunken in einem
Klubsessel, als Per Krog eintrat. In dem zweifel-
haften Licht der durch die offenene Balkontür
hereinflutcnden Dämmerung hatte seine regungs-
lose, scharf gezeichnete Silhouette etwas seltsam
Unlebendiges, Phantastisches. Nichts an ihm ver-
riet, daß er die Gegenwart seines Freundes be-
merkt hatte. Seine weißen hochgcäderten Hände
hingen schlaff über die Lehnen seines Sessels, und
seine Augen starrten mit einem abwesenden, bei-
nahe exaltierten Ausdruck auf ein altes, stark nach-
gedunkeltes Ölbild, das eine hügelige, waldige
Landschaft darstellte und über dem noch ein letzter
Sonnenslreifen funkelte.

Als Krog ihm endlich die Hand auf die Schulter
legte, hob Roger Wild ohne ein Zeichen der Über-
raschung nur leicht die Hand und blickte dann
ruhig auf, während sein Gesicht wie von einer
grauen Wolke überschattet wurde: „Du bist sicher
schon einige Minuten hier," sagte er dann nach-
lässig und sah in den Abend hinaus. Als Krog
bejahte, nickte er befriedigt.

Diesem w«r das eigentümliche Benehmen seines
Freundes viel zu vertraut, als daß er darüber
erstaunt gewesen wäre. Er kannte Wild als einen
einsamen Sonderling, der sich trotz seiner Zugend
und seines Reichtums in seinem von Kunstwerken,
Büchern und Altertümern vollgepfropften Haus
vergrub, und dessen abseitiges, lautloses Leben
nur ab und zu von weiten einsamen Reisen unter-
brochen wurde.

Als er ihm nun gegenüber saß, sagte Wild:
„Wie deutlich man in Momenten der äußersten
Konzentration die Nähe, die reine Existenz eines
fremden Willens spürt."

Per Krog lächelte flüchtig. Er kannte dieses
Thema. Seit zwei Zähren beschäftigten Suggestion,
Telepathie, Hypnotismus ausschließlich die geistige
Energie seines Freundes. Da er selbst ein junger
Mensch mit starkem sinnlichem Willen war, konnte
er in der Regel nur mühsam der komplizierten
Logik Wilds folgen, obgleich ihm dessen Experi-
niente und Schlüsse in diesem Gebiet ein lebhaftes
Interesse abnötigten.

Wild deutete auf das alte Ölbild: „Es ist eine
schottische Landschaft," sagte er dann, „und ich
habe sie letzten Herbst in London gekauft. Das
Bild hat keinerlei Wert. Billige Malerei aus dem
Ende des 18. Jahrhunderts. Oder findest Du es
vielleicht schön?"

Per Krog schüttelte schweigend den Kopf.

„Ich fand es bei einem Althändier, der niich
gewaltig übervorteille, als er mein ungewöhnliches
Interesse sah. Und ich mußte es kaufen, obgleich
ich wußte, daß er mich hinter meinem Rücken
auslachte. Denn," fuhr Wild in seinem eindring-
lichen Tonfall fort, „es hat für mich den ganzen
Reiz und Zauber einer mittelalterlichen Legende.
Hast Du nie im Traum in einer Landschaft ge-
standen wie diese?"

Per Krog sah, daß er gar keine Antwort er-
wartete, und sah ihn nur fragend an.

„Mit 14 Jahren sah ich diese Landschaft zum
ersten Mal. Ich erinnere mich noch immer sehr
genau, sogar des Datums. Ganz deutlich sah ich
im Traum diese Bäume, die Linien dieser Hügel
und die gotischen Formen dieser Ruine dort auf
dem Felsen. Und dann kam der Traum wieder
und immer wieder. Stets genau die gleiche, diese
Landschaft dort, und ich erlebte noch als Kind die
phantastischsten Dinge in ihr, so daß ich vertraut
und bekannt mit ihr wurde, als hätte ich lange
Zeit in ihr gelebt Später als ich mich ernsthaft
mit all diesen Dingen beschäftigte, wurden auch diese
frühen Erinnerungen wieder in mir lebendig, und
so kam ich vor zwei Jahren nach England und
streifte bis hoch in den Norden von Schottland.
Es war Anfang Herbst, und die Tage waren klar
und rein, voll Sonne und Farben. Da fand ich
mich eines Tages auf einer Kuppe liegend und
sah diese Landschaft vor mir, diese Bäume, die
Linien dieser Hügel und die gotischen Formen
dieser Ruine dort auf dem Felsen. Und alles war
nahe, greifbare Wirklichkeit; der Wind spielte in

den Zweigen dieser Bäume und trug ihre wel-
kenden Blätter davon, eine Schafherde graste
an den Hängen dieser Hügel, und von der zer-
brochenen Zinne des Schlosses flatterte eine
dreieckige Fahne. Ich glaubte zu träumen und
sprang verstört in die Höhe, tastete, griff nach
allem, was meine Hände erreichen konnten,
um mich zu überzeugen, daß ich wach war, und
in Wahrheit erlebte, was sich in langen Jah-
ren in mir vorbereitet hatte, und ging wie in
einem tiefen Rausch.

Gleichzeitig jedoch versuchte ich, mir mit den
wenigen, schwachen Kenntnissen, die ich damals
besaß, klar zu machen, daß es sich um Associa-
tionen handelte, durch rein äußerliche, entfernte
Ähnlichkeiten hervorgerufen, die sich in mir
bis zu dieser Autosuggestion gesteigert hatten.

Unwillkürlich war ich in der Richtung nach
dem Schlosse gegangen und fand dort in der
Meierei einen alten Kastellan, der mich be-
reitwilligst durch alle Hallen und Räume des
verfallenen Gebäudes führte, in dem mir jeder
Stein bekannt vorkam, als hätte ich lange
Zeit darin gelebt. Zuerst war er von einer
aufdringlichen Redseligkeit, wurde jedoch von
Schritt zu Schritt schweigsamer und sonder-
barer, sah mich scheu von der Seite an und
antwortete auf meine spärlichen Fragen immer
mürrischer und widerwilliger. In einem Turm-
gemach, das wohl einmal als Kerker gedient
haben mag, sah ich ihn mir genauer an, und
erschrak aufs tiefste. Er lehnte an der Wand
und starrte mir ins Gesicht mit einem hilflosen,
verstörten Ausdruck. Da trat ich auf ihn
zu, und sagte mit einem mühsamen Versuch,
zu scherzen: „Sagen Sie, spukt es hier nicht
auch manchmal?"

Er zuckte zusammen wie unter einem Schlag
und sagte mit einer tonlosen, gebrochenen Stimme:
„Das wissen Sie doch am besten, Sie sind ja jede
Nacht hier!"

Wie ich in meine Herberge zurückgekommen
bin, weiß ich nicht mehr. Die erste Zeit nachher
schien es mir wieder, als hätte ich das alles nur
geträumt, dann aber erinnerte ich mich, daß ich
die Bäume, die Mauern mit meinen Fingern be-
rührt, daß ich dem Alten meine Hand gegeben
hatte, erinnerte mich an den Ton seiner Stimme,
und man bestätigte mir auf meine Erkundigungen,
daß seine Gestalt keineswegs eine Ausgeburt meiner
Phantasie gewesen war."

Wild schwieg lange. Die Stille und das Dunkel
machten Per Krog derart nervös, daß er sich rasch
erhob und das elektrische Licht aufflammen ließ.

Roger Wild lag noch immer in der gleichen
regungslosen Stellung in seinem Klubsessel. Nun
richtete er sich halb auf, und seine Züge belebtet
sich sichtbar.

„Und wie suchst Du dir diese zum mindesten
recht sonderbare Begebenheit zu erklären?" fragte
Per Krog nach einer kleinen Pause.

„Das Logischste, also Wahrscheinlichste ist,"
antwortete Wild in einem gänzlich veränderten,
trockenen, sachlichen Ton, „daß ich in der hoch-
gradigen Erregtheit meiner Autosuggestion dem
Alten damals all meine eigenen inneren Erlebnisse
suggeriert habe, und er mir aus dieser Suggestion
heraus geantwortet hat. Derartige Menschen wie
der Alte, die jahrelang einsam und abseits nur
mit sich selbst beschäftigt sind, sind ja die besten
Medien."

„Wie Du selbst," sagte Per Krog und sah
ihn lächelnd an.

„Als ich dann in London bei einem Trödler
dieses Bild sah, kannst Du dir ja denken, daß ich
es mir erstand, erstehen mußte, um jeden Preis...
Vielleicht halte ich darin den Schlüssel zu diesem
Erlebnis in der Hand."

„Das Bild hier_?" fragte Per Krog ver-

blüfft.

„Vielleicht hat es einer meiner Vorfahren be-
sessen und lieb gehabt.... vielleicht hat es einer
niemer Vorfahren gemalt .... vielleicht . . . .?"
schloß Roger Wild mit einem sonderbaren, melan-
cholischen Lächeln.

582
Register
Rudolf Schwarz: Büste
Friedrich Eisenlohr: Suggestion
Fritz Fleischhauer: Sommerbeginn
Alfred Grünewald: Bitte
 
Annotationen