„Sie haben versprochen, daß Sie warten —"
sie stockte.
„Ich will Sie ja nur zum Sofa führen, da-
mit Sie Platz nehmen, wir plaudern bis das
Essen kommt."
„Bitte, bitte, erlauben Sie, daß ich hier bleibe
und setzen Sie sich. Lassen Sie mich allein hier
stehen, bis das Essen kommt. Nachher — —"
Mißgestimmt tat ich ihr den Willen. Ich fand
es ein wenig lächerlich, abschlagen könnt' ich's ihr
aber nicht, ihre Stimme bat so flehentlich.
Wohl eine Viertelstunde verging, sie stand unter-
dessen unbeweglich am Fenster. Plötzlich drehte
sie sich um, ihre Augen hefteten sich an die Türe,
sie zitterte an allen Gliedern. Ich sprang auf,
wollte zu ihr hin, da trat mein Bursche ein. Er
stellte die Schüssel auf den Tisch, legte das Eß-
zeug hin, zog den Pfropfen aus der Flasche. Ich
goß Wein in das Glas, das Mädchen stand, die
Hände rückwärts an die Fensterbank gestemmt.
Mein Bursche entfernte sich.
„Wollen Sie sich bedienen?"
Sie kam an den Tisch, mit kleinen, steifen
Schritten, setzte sich. Ich schob die Schüssel vor
sie hin, hörte wie ihre Zähne zusammenschlugen,
hielt ihr das Glas an den Mund. Sie trank,
schob's fort, griff mit zitiernden Händen nach dem
Eßzeug. War nun das Fleisch zu hart oder das
Messer stumpf, es gelang ihr nicht, das Fleisch
zu zerschneiden. Sekundenlang mühte sie sich ver-
gebens, ihre Augen traten aus den Höhlen, die
Nasenflügel bebten, weißer Schaum trat in die
Winkel ihres Mundes. Da warf sie plötzlich
das Eßzeug weg, packte mit beiden Händen das
dicke Stück Fleisch vom Teller und biß hinein.
Sie riß mit ihren Zähnen daran, würgte die
Bissen halbzernagt durch die Kehle, man konnte
es von außen an ihrem schlanken, weißen Halse
sehen. Uber ihre Hände, die feinen Hände einer
orientalischen Prinzessin rann der braune, dicke
Saft.
Ihr Gesicht war entstellt, jetzt im Augenblicke
der Befriedigung trat der Ausdruck tierischen Hun-
gers darauf, unoerhüllt, gierig, roh. Eine Kamee,
die sich vor meinen Augen zur Groteske verzerrte.
Ich schauderte. Sie aß, in rasender Eile würgte
sie alles hinunter, was vor ihr lag, Fleisch, Brot,
bis nichts mehr da war. Dann seufzte sie tief
aus befreiter Brust, ihr Blick fiel auf ihre Hände.
Sie errötete bis in den Ausschnitt ihres Kleides,
schaute sich ratlos um.
Ich schob ihr mein Taschentuch hin, hastig trock-
nete sie die Finger ab. Ihre Augen füllten sich
mit Tränen.
„Wann haben Sie zuletzt gegessen?"
„Vorgestern fand ich zwei Zwiebeln in einem
Garten."
„Und seither?"
Sie schüttelte den Kopf.
Mich fröstelte.
Ich stand auf, mit ängstlichen Augen folgte
sie mir. Ich nahm einen Hundertkronenschein
aus meiner Brieftasche, hob ihren Mantel vom
Sessel.
„Gehen Sie heim, liebes Kind," — sagte ich.
Verständnislos schaute sie mich an, dann als
sie begriff, daß ich ihr den Mantel hinhielt, sah
ich dies Gesicht sich zum zweiten Mal verwandeln.
Als flammte ein Licht in seinem Innern auf, das
alle Schatten aufsog, so löste sich die Angst plötzlich
in helle Freude, die sich blitzschnell über das
schmale Oval verbreitete.
Nie habe ich's geahnt, daß Auge, Mund, jeder
Zug für sich so jubeln könne auf einem Men-
schenantlitz.
Im Nu hatte sie den Mantel um, die Hand-
schuhe ergriffen, den Schleier festgesteckt, ich fand
kaum Zeit, ihr den Geldschein in die Tasche zu
schieben.
„Dank, Dank," — flüsterte sie, lachte und
weinte, huschte aus dem Zimmer.
Eine Minute später, ich stand noch am selben
Platz, flog die Tür wieder auf, ein Papier flatterte
herein, die Tür schlug zu. Der Hunderlkroncn-
schcin lag vor meinen Füßen.
Parzen Paul WoHT-Zamzow
Nachtwanderung
Wenn nachts de Mand an 'n Himmmel fteiht
Un dvrch dat Finster biestern beit,
Stillswiegend an de Wand henstrahlt
Un alls vull Schien un Schatten malt,
Uck an min Lager sliekt heran, —
Denn fangt min Seel tau reisen an.
Sei richt sich hoch un makt sich fric
Un lett den Liew in Slap taurü,
Spannt ehre witten Flüchten ut,
Un heidi geiht ’t ut Finster rut
Herin int keuhle, blaffe Licht,
Un swengt sich up un swewt un stiggt.
Un stücht un stücht, — o wat svr Lust!
Hoch oewer Wolk un.Nebeldust,
Wiet oewer See un Barg un Dal,
Un rauht sich nich ein einzig Mal;
Un Jrdenkram un Leid un Gram,
Dat sackt na unnen alltausam.
Dat is so firn, so weltenfirn!
Bloß Mandschien noch un golle Stirn;
Sei gähn ehr» ewig ollen Gang.
Dat givt so wunneoseuten Klang;
Un mine Seel, — kannt anners sin?
Sei stimmt mit Hellen Juchzen in.
Ganz sacht verblassen Mand un Stirn,
Un min leiw Seel mutt heimwärts kihrn;
Mitn letzten Strahl kömmt sei taurü. —
Un morgens sinn ick still sör mi
Un seh»' mi, wo ick gab un stah.
Weit nich, worüm, — weit »ich, wonah . . .
Martha Müller
*
Die Begegnung
Bon Dietrich
Ab und zu tropfte es von den hohen Palmen
über die Gummibäume zur Erde. Die Sonne
schien trüb durch die Glaswände herein.
„Hier also treffen wir uns wieder?" begann
er das Gespräch, nachdem sie einander eine Weile
stumm angesehen, „hier unter der Acacia arraata..."
Sie schwieg und sah ihn nur an. Er sprach
weiter:
„Wir, die einzigen Besucher, die an diesem
frühen Morgen im botanischen Garten sind, treffen
uns gerade hier zufällig wieder. Zufall, das war
ja die einzige Bedingung, unter der wir uns die
Erlaubnis gaben, einander wisderzusehen."
Eie schwieg und sah ihn nur an.
„Und nun hier im Palmenhaus .. . denn die
Jahre haben Frieden zwischen uns gebreitet. Hier
sind wir unter lauter Pflanzen. Die Tiere suchen
einander. Aber die Pflanzen wachsen zufällig
nebeneinander. Hier könnte es vielleicht möglich
sein, das friedliche, geschwisterliche Dasein, meinst
du nicht? .... im Palmenhaus? Früher, als die
Palmen noch nicht so in der Überzahl waren, hieß
es Urwaldtreibhaus. Manche Palmen wachsen auch
im Urwald. . . . Doch komm nun, ich will dich
gleich hier herumfllhren und dir alles erklären,
wie einst im zoologischen Museum."
Sie schwieg und sah ihn nur an. Aber er
hörte ihre Gedanken.
„Es macht mir immer noch Freude, wenn du
mir zuhörst! Und ich trage nun einmal so den
Drang in mir, zu erklären oder vorzulescn oder
selbst etwas auszusinnen. Ich muß immer etwas
zu geben haben. Und damals — du nahmst stets so
freudig, so in Selbstverständlichkeit, ohne Phrasen,
das machte mich sehr froh. .. Doch nun hör mich
an. Hier die Acacia armata aus Australien: Das
Adjektiv „armata" bezieht sich auf die kleinen,
dornenartigen Blättchen an allen Asten, es könnte
aber auch mit der gelben Farbe der Blütenblätter
Zusammenhang haben. Gelb ist ja stets aktiv.
Weißt du übrigens, warum es keine blauen Rosen
gibt? — Weil Blau eine völlig passive Farbe ist.
Aber die Rose hat ja auch Dornen und die teuerste
trägt ein bronzegoldenes Gelb. Wenn auch die
Mehrzahl die Medialfarbe Rot hat. ■-
Laß uns weitergehen, vorbei an der riesigen
Ukapolostylis 8apiüa, die wie ein grünes Säulen-
kapitäl den blauen Himmel trägt. Und hier die
Camelia japonica. — Aber ich spreche immer von
Blüten und sollte doch von den Pflanzen selber
reden. In ihnen schließt sich das Blau des
Hinimels und das Gelb der Sonnenstrahlen als
Chlorophyll zur Harmonie zusammen. Auch das
Rot ist eine Harmonie..."
Er schwieg einen Augenblick. Sie sah ihn nur
an, ganz wie hinabgetaucht in seine Gedanken.
Da fuhr er fort:
„Ja, auch das Rot ist eine Harmonie. Denn
sowohl kann Gelb sich über Kupfer und Zinno-
ber dahin steigern wie Blau über Lila und Rosa,
die Vorahnungen jenes Purpuraugenblicks. Und
derselbe ist es wiederum, in welchem die Pflanze
ihr Grün bildet, wie der des abstrakten Rot im
Blute."
Als er das sagte, sah sie verwundert zu ihm
auf:
„Wie kommst du auf das Blut?"
„Nur vergleichsweise . . ." Dann aber blickte
er schüchtern zu Boden. „Doch du hast recht, ich
verirrte mich, wir sind ja im Palmenhaus und
nicht im zoologischen Museum."
„Wenn du dich "irrtest, dann müssen wir wieder
scheiden."
„Ja, die Irrtümer scheiden uns und die Zu-
fälle führen uns immer wieder zusammen."
Sie reichte ihm die Hand:
„Bis zum nächsten Zufall — lebe wohl."
„Lebe wohl."
*
Vater und Sohn
Bon Hans Franke
Sie wandelten in die Stunde der Dämmerung
hinein. Schweigend; denn plötzlich, ganz mit einem
Male, waren ihre Stimmen beide abgeluochen,
irgend etwas hatte eine Kluft zwischen sie gerissen,
ihre Gedanken trugen Gewalt nun. Wie durch
eine Berührung mit Unbekanntem trugen sie Er-
staunen, Anklage, Verachtung, Haß und Verspotten.
Und der Alte, Grauhaarige dachte: „Wie darf
er so reden?! Ist so ihm das Gemüt denn ver-
giftet, daß er den Vater nicht ehrt? Und wie kann
es geschehen, daß — selbst wenn irre Gedanken
es denken — er es Wort werden läßt, das mich,
den Alten, trifft wie die rohe Hand eines Trun-
kenen? Warum nur Anklage dem, der immer
nur Liebe gebracht? Warum muß er in dieser
586
sie stockte.
„Ich will Sie ja nur zum Sofa führen, da-
mit Sie Platz nehmen, wir plaudern bis das
Essen kommt."
„Bitte, bitte, erlauben Sie, daß ich hier bleibe
und setzen Sie sich. Lassen Sie mich allein hier
stehen, bis das Essen kommt. Nachher — —"
Mißgestimmt tat ich ihr den Willen. Ich fand
es ein wenig lächerlich, abschlagen könnt' ich's ihr
aber nicht, ihre Stimme bat so flehentlich.
Wohl eine Viertelstunde verging, sie stand unter-
dessen unbeweglich am Fenster. Plötzlich drehte
sie sich um, ihre Augen hefteten sich an die Türe,
sie zitterte an allen Gliedern. Ich sprang auf,
wollte zu ihr hin, da trat mein Bursche ein. Er
stellte die Schüssel auf den Tisch, legte das Eß-
zeug hin, zog den Pfropfen aus der Flasche. Ich
goß Wein in das Glas, das Mädchen stand, die
Hände rückwärts an die Fensterbank gestemmt.
Mein Bursche entfernte sich.
„Wollen Sie sich bedienen?"
Sie kam an den Tisch, mit kleinen, steifen
Schritten, setzte sich. Ich schob die Schüssel vor
sie hin, hörte wie ihre Zähne zusammenschlugen,
hielt ihr das Glas an den Mund. Sie trank,
schob's fort, griff mit zitiernden Händen nach dem
Eßzeug. War nun das Fleisch zu hart oder das
Messer stumpf, es gelang ihr nicht, das Fleisch
zu zerschneiden. Sekundenlang mühte sie sich ver-
gebens, ihre Augen traten aus den Höhlen, die
Nasenflügel bebten, weißer Schaum trat in die
Winkel ihres Mundes. Da warf sie plötzlich
das Eßzeug weg, packte mit beiden Händen das
dicke Stück Fleisch vom Teller und biß hinein.
Sie riß mit ihren Zähnen daran, würgte die
Bissen halbzernagt durch die Kehle, man konnte
es von außen an ihrem schlanken, weißen Halse
sehen. Uber ihre Hände, die feinen Hände einer
orientalischen Prinzessin rann der braune, dicke
Saft.
Ihr Gesicht war entstellt, jetzt im Augenblicke
der Befriedigung trat der Ausdruck tierischen Hun-
gers darauf, unoerhüllt, gierig, roh. Eine Kamee,
die sich vor meinen Augen zur Groteske verzerrte.
Ich schauderte. Sie aß, in rasender Eile würgte
sie alles hinunter, was vor ihr lag, Fleisch, Brot,
bis nichts mehr da war. Dann seufzte sie tief
aus befreiter Brust, ihr Blick fiel auf ihre Hände.
Sie errötete bis in den Ausschnitt ihres Kleides,
schaute sich ratlos um.
Ich schob ihr mein Taschentuch hin, hastig trock-
nete sie die Finger ab. Ihre Augen füllten sich
mit Tränen.
„Wann haben Sie zuletzt gegessen?"
„Vorgestern fand ich zwei Zwiebeln in einem
Garten."
„Und seither?"
Sie schüttelte den Kopf.
Mich fröstelte.
Ich stand auf, mit ängstlichen Augen folgte
sie mir. Ich nahm einen Hundertkronenschein
aus meiner Brieftasche, hob ihren Mantel vom
Sessel.
„Gehen Sie heim, liebes Kind," — sagte ich.
Verständnislos schaute sie mich an, dann als
sie begriff, daß ich ihr den Mantel hinhielt, sah
ich dies Gesicht sich zum zweiten Mal verwandeln.
Als flammte ein Licht in seinem Innern auf, das
alle Schatten aufsog, so löste sich die Angst plötzlich
in helle Freude, die sich blitzschnell über das
schmale Oval verbreitete.
Nie habe ich's geahnt, daß Auge, Mund, jeder
Zug für sich so jubeln könne auf einem Men-
schenantlitz.
Im Nu hatte sie den Mantel um, die Hand-
schuhe ergriffen, den Schleier festgesteckt, ich fand
kaum Zeit, ihr den Geldschein in die Tasche zu
schieben.
„Dank, Dank," — flüsterte sie, lachte und
weinte, huschte aus dem Zimmer.
Eine Minute später, ich stand noch am selben
Platz, flog die Tür wieder auf, ein Papier flatterte
herein, die Tür schlug zu. Der Hunderlkroncn-
schcin lag vor meinen Füßen.
Parzen Paul WoHT-Zamzow
Nachtwanderung
Wenn nachts de Mand an 'n Himmmel fteiht
Un dvrch dat Finster biestern beit,
Stillswiegend an de Wand henstrahlt
Un alls vull Schien un Schatten malt,
Uck an min Lager sliekt heran, —
Denn fangt min Seel tau reisen an.
Sei richt sich hoch un makt sich fric
Un lett den Liew in Slap taurü,
Spannt ehre witten Flüchten ut,
Un heidi geiht ’t ut Finster rut
Herin int keuhle, blaffe Licht,
Un swengt sich up un swewt un stiggt.
Un stücht un stücht, — o wat svr Lust!
Hoch oewer Wolk un.Nebeldust,
Wiet oewer See un Barg un Dal,
Un rauht sich nich ein einzig Mal;
Un Jrdenkram un Leid un Gram,
Dat sackt na unnen alltausam.
Dat is so firn, so weltenfirn!
Bloß Mandschien noch un golle Stirn;
Sei gähn ehr» ewig ollen Gang.
Dat givt so wunneoseuten Klang;
Un mine Seel, — kannt anners sin?
Sei stimmt mit Hellen Juchzen in.
Ganz sacht verblassen Mand un Stirn,
Un min leiw Seel mutt heimwärts kihrn;
Mitn letzten Strahl kömmt sei taurü. —
Un morgens sinn ick still sör mi
Un seh»' mi, wo ick gab un stah.
Weit nich, worüm, — weit »ich, wonah . . .
Martha Müller
*
Die Begegnung
Bon Dietrich
Ab und zu tropfte es von den hohen Palmen
über die Gummibäume zur Erde. Die Sonne
schien trüb durch die Glaswände herein.
„Hier also treffen wir uns wieder?" begann
er das Gespräch, nachdem sie einander eine Weile
stumm angesehen, „hier unter der Acacia arraata..."
Sie schwieg und sah ihn nur an. Er sprach
weiter:
„Wir, die einzigen Besucher, die an diesem
frühen Morgen im botanischen Garten sind, treffen
uns gerade hier zufällig wieder. Zufall, das war
ja die einzige Bedingung, unter der wir uns die
Erlaubnis gaben, einander wisderzusehen."
Eie schwieg und sah ihn nur an.
„Und nun hier im Palmenhaus .. . denn die
Jahre haben Frieden zwischen uns gebreitet. Hier
sind wir unter lauter Pflanzen. Die Tiere suchen
einander. Aber die Pflanzen wachsen zufällig
nebeneinander. Hier könnte es vielleicht möglich
sein, das friedliche, geschwisterliche Dasein, meinst
du nicht? .... im Palmenhaus? Früher, als die
Palmen noch nicht so in der Überzahl waren, hieß
es Urwaldtreibhaus. Manche Palmen wachsen auch
im Urwald. . . . Doch komm nun, ich will dich
gleich hier herumfllhren und dir alles erklären,
wie einst im zoologischen Museum."
Sie schwieg und sah ihn nur an. Aber er
hörte ihre Gedanken.
„Es macht mir immer noch Freude, wenn du
mir zuhörst! Und ich trage nun einmal so den
Drang in mir, zu erklären oder vorzulescn oder
selbst etwas auszusinnen. Ich muß immer etwas
zu geben haben. Und damals — du nahmst stets so
freudig, so in Selbstverständlichkeit, ohne Phrasen,
das machte mich sehr froh. .. Doch nun hör mich
an. Hier die Acacia armata aus Australien: Das
Adjektiv „armata" bezieht sich auf die kleinen,
dornenartigen Blättchen an allen Asten, es könnte
aber auch mit der gelben Farbe der Blütenblätter
Zusammenhang haben. Gelb ist ja stets aktiv.
Weißt du übrigens, warum es keine blauen Rosen
gibt? — Weil Blau eine völlig passive Farbe ist.
Aber die Rose hat ja auch Dornen und die teuerste
trägt ein bronzegoldenes Gelb. Wenn auch die
Mehrzahl die Medialfarbe Rot hat. ■-
Laß uns weitergehen, vorbei an der riesigen
Ukapolostylis 8apiüa, die wie ein grünes Säulen-
kapitäl den blauen Himmel trägt. Und hier die
Camelia japonica. — Aber ich spreche immer von
Blüten und sollte doch von den Pflanzen selber
reden. In ihnen schließt sich das Blau des
Hinimels und das Gelb der Sonnenstrahlen als
Chlorophyll zur Harmonie zusammen. Auch das
Rot ist eine Harmonie..."
Er schwieg einen Augenblick. Sie sah ihn nur
an, ganz wie hinabgetaucht in seine Gedanken.
Da fuhr er fort:
„Ja, auch das Rot ist eine Harmonie. Denn
sowohl kann Gelb sich über Kupfer und Zinno-
ber dahin steigern wie Blau über Lila und Rosa,
die Vorahnungen jenes Purpuraugenblicks. Und
derselbe ist es wiederum, in welchem die Pflanze
ihr Grün bildet, wie der des abstrakten Rot im
Blute."
Als er das sagte, sah sie verwundert zu ihm
auf:
„Wie kommst du auf das Blut?"
„Nur vergleichsweise . . ." Dann aber blickte
er schüchtern zu Boden. „Doch du hast recht, ich
verirrte mich, wir sind ja im Palmenhaus und
nicht im zoologischen Museum."
„Wenn du dich "irrtest, dann müssen wir wieder
scheiden."
„Ja, die Irrtümer scheiden uns und die Zu-
fälle führen uns immer wieder zusammen."
Sie reichte ihm die Hand:
„Bis zum nächsten Zufall — lebe wohl."
„Lebe wohl."
*
Vater und Sohn
Bon Hans Franke
Sie wandelten in die Stunde der Dämmerung
hinein. Schweigend; denn plötzlich, ganz mit einem
Male, waren ihre Stimmen beide abgeluochen,
irgend etwas hatte eine Kluft zwischen sie gerissen,
ihre Gedanken trugen Gewalt nun. Wie durch
eine Berührung mit Unbekanntem trugen sie Er-
staunen, Anklage, Verachtung, Haß und Verspotten.
Und der Alte, Grauhaarige dachte: „Wie darf
er so reden?! Ist so ihm das Gemüt denn ver-
giftet, daß er den Vater nicht ehrt? Und wie kann
es geschehen, daß — selbst wenn irre Gedanken
es denken — er es Wort werden läßt, das mich,
den Alten, trifft wie die rohe Hand eines Trun-
kenen? Warum nur Anklage dem, der immer
nur Liebe gebracht? Warum muß er in dieser
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