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Rembrandt’s Geburtszimmer in Leyden

Hans von Bartels -{•

Stunde zerschlagen, was unberührt ihm gehört
zutiefst in der Seele?"

Und der Junge, Blonde bei sicl>: „Was nur
fordert er? Bin ich ein Kind?! Was will er mit
den Gesetzen, den Dingen, die heute vergessen sind
wie alte Weissagungen? Ich! Ich!! was ich bin:
das bin ich durch mich nur geworden! Ich habe
mich selber geboren! Durch mich allein! Vielleicht
wohl half mir das Leben dazu, dem ich mich hin-
gebe, dem ich gehöre, das mich treibt, formt, knetet,
stürzt und erhöht! Ach — das alles versteht er ja
nicht! Was will er nur! Gesetze? Als ob die
seinen je Geltung gehabt! Und dann: Wir haben
im Graben geweint! wir haben gemordet, geblutet,
gelitten, geschrien! wir!! Bah — was weih er
davon!"

Das Schweigen blieb.

Und der Alte: „Wann nun kommt endlich
das „Verzeihe mein Vater! Ich war hart!", wann
kommt die Sohneshand, die ich streicheln will?
Wann der Blick seiner Treue, den ich allzeit ge-
liebt? Das kann doch sonst Blut meines Blutes
nicht sein?"

Und der Junge, nach langer Pause, während
welcher sie an einer mattbesonnten Mauer schritten:
„Er ist mein Vater..."

Und er sah ihn an: Faltenzerwühlt die Stirn..
auf den gebeugten Schultern hatte lastend und
grinsend oftmals die Sorge gesessen. „Um ihn?"
Auch um ihn. Und der Mund: hatte der je
anders als in Liebe gesprochen? Er stand nun
einmal in einer verstorbenen Zeit. „Sollte denn
nun mit einem Male Mißtrauen sein? Nein!.."

Eine von Abendsonne warme Straße hatte sie
ausgenommen. Auf des Sohnes Lippen standen
jetzt Worte .. Leise bewegten sie sich .. Die Stunde
der Müdigkeit rührte ihn an.

Da brach der Trotz empor: „Nein!! Ich nicht
zuerst! Er soll es fühlen, daß ich kein Knabe
mehr bin! Ich bin Mann geworden da draußen...
Was nun will er? Warum redet er nicht? Wa-
rum heute nicht, wo ich ihm sagen könnte, wie
groß meine Liebe, wo ich alles ausschülten könnte
vor ihm: wüste Begierden und Qual und Lust
und Lachen.. Warum klingt gerade jetzt nicht
die Stimme, die milde, gütige Stimme, die meine
Jugend umgab .. Warum kommt es nicht, das
,Sieh mal, Junge . .‘ und ,Ich weiß ja . ‘ oder
,Ich verstehe Dich ja . .‘ Warum gerade heute
nicht!?"

Und als sie über den Platz mit dem Brunnen
schritten, der plätschernd sprang, da klang es in
ihm: „Liebe... Es ging um Liebe... Hatte er
Angst, daß das Mädchen ihm Liebe nahm . .?
,Zu Deinen, Besten . so sagte er ja. Also:
Egoismus!"

Und nach wenig Schritten: „Der Vater.. Wie
das klang .. Der Vater .." Durch den er lebte ..
dem er glich.. Überall lachten gemeinsame Freu-
den, gleiche Ziele, gleiche Instinkte ..

Beide schwiegen noch, als sie dem Hause näher
kamen. Es schien ihnen, als wanderten sie — zwei
Parallelen, die nie sich berühren — in die Un-
endlichkeit des Raumes hinaus . . .

Der Alte dachte: „Er wird es finden. Ich
muß ihm Zeit lassen."

Der Junge schrie bei sich: „Nie! nie! Ich
habe meinen Stolz. Ich kann nicht! Ich will
ihn .. werde ihn .. hassen, wenn er nicht spricht.."

Und dabei drängte es ihn mehr und mehr
hin zu dem Alten, der sein Vater war, und wäh-
rend er künstlich den Haß entflammte, fühlte er
sich fähig, niederzufallen und die guten, hageren
Finger zu küssen ...

Und während der Alte mehr und nrehr sicl>
verschloß und sich fröstelnd mit einem Male sehr-
einsam sah, sprach er einen Segen über das blonde
Haupt seines Knaben.

Beide schwiegen. Sie kamen an das Haus.
Trennten sich . . ohne Gruß . . schweigend .

Liebe Jugend!

Sin Bekannter von mir hatte sich verheiratet.
Sein Fleischlieferant, ein behäbiger Metzgermeister,
gratuliert ihm zu diesem Ereignis und meint dabei:
„Ihr Fraa kenn ich aach; nit wohr, es isch so
e blond Frache, so rum e Zentner!"

Mem Bursche, die perle eines Dieners, war
zur ärztlichen Untersuchung vorgeladen. Als ich
mich nach seiner Rückkunft über das Ergebnis er-
kundigte, bemerkte er achselzuckend: „kserr pauxt-
mann, der Stabsarzt hat uns gekündigt."

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[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Hans v. Bartels: Rembrandts Geburtszimmer in Leyden
 
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