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Vom Alten, der ins Gestern ging

Don Alfred Grün ewald (Wien)

Ein Greis wird einst von seltnem Wahn erfaßt:
„Nie wieder soll es morgen sein. Ich trage
Schon lang genug bergauf des Daseins Last.

Ich will ins gute Gestern meiner Tage."

Wie stellt
Ihrs an ?"

„Ins Gestern wollt Ihr, Freund? -

So fragten sie. Da lächelte er leise:

„Go manchen Gipfel mühvoll ich gewann.

Nun geht's talab, und sanfter wird die Reise."

„Wohl geht's talab und in die Grube auch
Zu schwerem Schlaf." Sie sagten es mit Flüstern.
„Schon längst berührte ihn des Todes Hauch,

And Schatten seine Ginne schon umdüstern."

Die Tage kamen und verwichen. Stets
Blieb ein verklärter Glanz im Blick des Toren.

Er sprach: „Ein Wind ist wach. Don gestern weht's
Mir Duft ins Herz. Es singt in meinen Ohren.

Besonnte Weiten seh ich und ein Haus,

Umhegt von Pappeln, die Willkommen nicken." —
Sie flüsterten: „Bald löscht sein Kerzlein aus,

Und lauter Dunkel ist vor seinen Blicken.

Und im verstopften Ohr wird Schweigen sein.

Zu Moder wird er selbst und seine Lieder."

Er aber lächelte tagaus, tagein.

Und einmal sprach er froh: „Ich sah sie wieder.

. Sie fragte mich, wo ich so lange blieb
Und zeigte mir, wie schön die Sterne scheinen.

Gar süße Rede uns die Zeit vertrieb.

Wir lachten viel. Doch mußten wir auch weinen. -

- Verheißend weht von gestern her der Wind.

Ich spür' den kühlen Dust an Stirn und Wange. - "
Ein andermal erzählte er: „Das Kind,

Wir sahn es beide nicht, schon lange, lange.

Nun ist es wieder da. - Es stand im Gras
Und pflückte gelbe Blumen. Falter kamen,

Und einer still auf seinen Haaren saß
Und flog nicht fort. Wir riefen seinen Namen.

Und unsre Stimmen klangen hell und weit,

Als hätten Wald und Wiesen mitgeklungen.

Die Sonne selber sang vor Seligkeit.

Da lief's herzu. Wie hielten wir's umschlungen!

Ich geh talab und geh mit leichtem Schritt.

Don gestern weht ein Wind. Gesänge tönen.

Und freundliche Gestalten ziehen mit.

Gelind sind Tag und Nacht, die sich verschönen." -

So sprach der Alte, schritt ins sanfte Tal,

Und viele, viele stiegen aus dem Grabe.

Bald hatte er Gefährten ohne Zahl
Und ward beglückt mit langverlorner Habe.

Und mancher kam, den er dereinst gekränkt,

Und war versöhnt. Es kamen Brüder, Schwestern.
Und was mit ihnen tief hinabgesenkt,

Stieg wieder auf aus dem erlösten Gestern.

Und alle Liebe der erloschnen Zeit
War wieder heimgekehrt aus dunklen Landen.

Die Mutter im geblümten Feierkleid
Und auch der Dater waren auferstanden.

Sie blieben ihm zur Seite Tag und Nacht
Und halfen freudig ihm, den Weg vollbringen.

Er schritt hinab und dennoch stieg er sacht.

Und heimlich wuchsen seiner Seele Schwingen.

Und als der Lächelnde zu sterben kam,

Da hatten alle ihn ans Ziel geleitet.

Und eine Abendröte wundersam
War feurig übern Himmel ausgebreitet.

Der Bahnhof von O.

Hinter den sanft geschwungenen blauen Höhen
der Cöte Lorraine sank die Sonne. Die langen
Zeilen der Bahngeleise leuchteten rot von ihrem
letzten Widerschein, und die schmutzigen und zer-
sprungenen Fenster des kleinen Bahnhofgebäudes
schmückten sich mit ihrem friedlichen Lichte. Ein
Zug mit Munition beladen lag ein wenig außer-
halb der Station. Der Posten, das Gewehr unterm
Arm, ging langsam an der Wagenreihe auf und
ab: er sah in die Pracht des Abends, mit einem
Blick, als sähe er sie über heimatlichen Feldern
leuchten. Aus dem französischen Weiler, der etwas
tiefer unten im Wiesengrunde lag, kam ab und
zu das Brüllen einer Kuh zu uns herüber.

Aus dem Stationsgebäude drangen die Stim-
men der Verwundeten, die in dem mit Staub,
Lehm und Blut beschmutzten Wartesaal auf Stroh
lagen. Der Arzt und ein Sanitäter gingen zwischen
ihnen hin und her; es waren lauter schwere Fülle.
Wir standen untätig auf deni vom übergewaltigen
Verkehr grundlos gewordenen kleinen Platz um-
her und erwarteten die Autoniobile, mit denen
wir an die Front sollten Die französischen
Artilleriestellungen ans der Cöte Lorraine gaben
noch immer heftiges Feuer, dem unsere Geschütze
ruhig und zielbewußt antworteten. Der Feuer-
schein aus den Rohren blitzte heller im dämmerig
werdenden Abend. Eine endlose Zeile holpernder
Bauernwagen, von französischen Landbewohnern
gelenkt und von deutschen Soldaten bewacht,
kam die Landstraße herab, um den Inhalt des
Munitionszuges zu holen. Ein Major ritt auf
einen, mit Lehn, bespritzten Pferde voraus. Wagen
nach Wagen fuhr an den Zug heran, wurde mit
Granaten und Patronenkisten beladen und be-
wegte sich schwer und langsan, den gleichen Weg
zurück. Ich forschte in den Gesichtern der fran-
zösischen Bauern, während sie unter lauten Rufen
den Soldaten halfen, die Kugeln aufzuladen, die
ihre tapsern Söhne töten sollten. Aber in ihren
beweglichen Mienen waren Haß und Leid um
Frankreichs Schicksal gut verborgen hinter unter-
würfiger Dienstbeflissenheit. Zuviel schnellbereite
deutsche Waffen gab es ringsumher, und über-
dies mar es das Brot der „Boches", von dem
man sich nährte.

Autoniobile rasten vorüber, Meldereiter auf
staubigen Pferden kamen im raschesten Trabe,
banden ihre Tiere an und liefen die Treppe zum
obern Stock des Stationsgebäudes hinauf, wo
Offiziere, über Telephone und Karten gebeugt,
arbeiteten. Provianlkolonnen schoben sich langsam
mid schwerfällig die aufgeweichte Straße entlang.
Dazwischen marschierten müde kleine Trupps von
Leichtverwundeten, die zu Fuß von der Front
kamen, um in der Station auf den Lazarettzug
zu warten. Ihre bärtigen Gesichter und ihre
grguen Uniformen waren unkenntlich vor Schmutz.
Aber sie waren guter Dinge und freuten sich auf
den Kaffee und auf die Ruhe. Der Sanitäter
kam aus dem Hanfe gelaufen, untersuchte ihre
Verbünde, richtete hier und dort ein wenig, und
bald lagen sie alle uni das Stationsgebäude her
auf Decken und Stroh und streckten ihre tapferen
Soldatenglieder.

Ein Freiwilliger war unter ihnen mit einem
Schuß durch die rechte Hand; ein blasser, schmaler
Iunge, der sein geistliches Studium der Bibel
und Lehren der Liebe verlassen hatte und aus-
gezogen war, um für Ehre und Reich zu hassen
rmd zu sterben. Er lag ein wenig abseits von
den andern: in seinen leidenschaftlichen Knaben-
augen'brannte ein großes und verwirrtes Fragen.
Vielleicht saß zu Hause seine Mutter hinter
kleinen, roten, kümmerlichen Stubennelken und
wollte es noch immer nicht begreifen, wie man
ausziehen konnte, um zu töten, — wenn man
doch berufen war, zu segnen. Man hatte von
dem Iungen gesprochen, ick, wollte mich ihm eben
nähern, um ihn anzusprechen, da zog ein seltsames
Bild meine Aufmerksamkeit auf sich.

Die verdämmernde Straße herab kamen sechs
Landsturmleute und ein Gefreiter mit aufge-
pflanzten Bajonetten: sie führten einen Trupp
Franktireurs, junge Burschen mit zerrissenen
Kleidern und bösen Mienen. Mitten unter ihnen
schritt ein Geistlicher, ein älterer Mann, der mit
seinem grauenden Haar und seinem beschmutzten
priesterlichen Gewand einen peinlichen, schlecht zu
ertragenden Anblick bot. Er ging in Reih und
Glied mit den andern. Aber plötzlich, während
wir mit kaum unterdrücktem Groll den ehrlosen
Schützen cilTstegeusahen, setzte der Geistliche fick)
nieder. Er setzte sich mitten in Staub und Schmutz
der Straße, so unvermittelt, daß die hinter ihm
Schreitenden fast über ihn gestürzt wären.

Eine Verwirrung entstand, die Soldaten schlossen
sich enger um die Gefangenen, die Bajonette leuch-
teten. Wir -liefen hinzu und ich befragte ihn .. .
„Ah, pa,“ rief er und seine schwarzen Augen
funkelten vor Wut, „est-ce bien uns tapon,
äs kairs marehsr un vieil komme? Oh, quels
terribles animaux, ces Boches\* Ich redete
ihm zu, aufzustehen, aber er erklärte hartnäckig,
daß er nicht einen Schritt weiter gehen werde.
Die braven Landsturmleute standen wütend und
ratlos dabei. Sie wollten noch diese Nacht zu
Fuß mit ihren Gefangenen Rietz erreichen und
schienen nicht übel Lust zu haben, diesem pflicht-
vergessenen Priester, der aus der Kirche heraus
auf ihre Kameraden geschossen Hatte, gewaltsam
auf seine Beine zu >>elfen. Ein Offizier kani aus
der Station und lief auf die Gruppe zu. Der
Gefreite erstattete Bericht. Ia, was war da zu
machen!? Es war Befehl gekommen, gefangene
Priester wie Offiziere zu behandeln, also blieb
nichts anderes übrig, als ihn mit dem nächsten
Zuge weiter zu befördern. Man teilte ihm das
mit, und er stand augenblicklich auf. Sein langes,

' schwarzes, beschmutztes Gewand hing an ihm
herab wie ein Wimpel der armen, kleinen Kirche,
die er entehrt hatte. Wir standen finster und
ohne Achtung um ihn herum. Da kam der Arzt
aus deni Hause und rief schon von weitem dem
Oberleutnant zu: „Der Artillerist nüt dem Kopf-
schuß stirbt und verlangt einen Priester; darf der
Gefangene da sein Amt versehen?" — „Selbst-
verständlich, obgleich er's nicht verdient."

Der Arzt wandte sich höflich mit seinem harten
pommerschen Französisch an den Geistlichen. Aber
da richtete der sich zu feiner ganzen hageren Höhe
auf. Aus seinen Augen brach der blinde und
verderbliche Haß eines irregeleiteten Volkes, er
riß mit einer leidenschaftlichen und as-
ketischen Hand sein Kleid über der Brust
zusammen, als fürchte er jede Berührung
auch _ nur seines Gewandes niit diesen
Deutschen. So stand er: die ersten schwa-
chen Sterne schienen über seinem Haupte,
das nichts von der Liebe wußte. „On '
ne donne pas de pretre aux chiens qui
crevent.“ Der alle gute Doktor fuhr
ordentlich zurück bei dieser Antwort. Das
braune Gesick,t des Offiziers wurde blaß
vor Wut. „Soldaten," sagte er und seine
Stimme war stahlhart, „den bringt Ihr
nach Metz!" Sie verstanden ihn alle sofort.
Der Gefreite kommandierte, die Leute reih-
ten sich neben die Gefangenen, einer nahm
den Pfarrer rechts, der andere links unterm

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Register
Alfred Grünewald: Vom Alten, der ins Gestern ging
Heinrich Nisle: Vignette
E. v. Uhde: Der Bahnhof von O...
 
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