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Deutsche Ernte

S o m in c r f c l d

Bon Bernhard Flemes (Hameln)

Die K a r d e n d i st e l

Mitten in dem Kartoffelfelde fleht hoch und
stachlicht eine üppige Karde. Vielleicht haben sie
die Hacker bei ihrer Arbeit übersehen. Vielleicht
ist sie erst später rasch aufgeschossen. Die Kartoffeln
blühen in einem matten Lila. Ihre Fruchtbarkeit
durchquillt die lockeren Dämme, ballt sich straff
und fest zusammen.

Ein Tag wird kommen, an dem Männer und
Frauen ihre heimlichen Knollen an Tageslicht
heben, Säcke prall damit stopfen, Feuer werden
prasseln und ln blauem Abendduft still und rot
verglühen. Und die Lebenszuversicht wird die
heimwärts ratternden Wagen dankbar geleiten.

„Was bist du gegen uns?" höhnen die Kar-
toffeln die Karde.

„Ein schlichtes Gewächs," antwortet sie und
wiegt ihre violette Krone und ihr kraftvoll schön
gefügtes Gezweig.

„Nicht mal eine Kuh getraut sich an dich."

„Nein, denn ich habe Stacheln."

„Warum hast du sie? Wir bieten uns allem
Geschöpf freiwillig zur Nahrung."

„Ihr mögt recht haben. Es ist mir selbst mit-
unter leid um mein Stachelgewand. Aber ich Hub
es mir nidjt gegeben."

„Prunkst du noch mit deiner Bescheidenheit?
Du willst dich andern nicht geben, nur um dein
zweckloses Leben zur Samenreife recht ausbreiten
zu können. Und nimmst uns doch nur Licht und
Nahrung weg!"

Die Karde stand ganz zerknirscht.

Da kam ein schöner, roter Schmetterling, setzte
sich auf ihren schimmernden Blütenkopf, hob ein
wenig die Flügel, senkte seinen Rüssel und flog
erquickt davon.

„Natürlich — mit solch nichtsnutzigem Ge-
sindel gibst du dich ab!" begehrten die Kar-
toffeln auf.

Die Karde hörte sie nicht mehr. Das dünne
Fädlein beginnenden Fruchtens senkte sich in sie
und durchspann sie mit süßen Schauern der Ewigkeit.

*

Bachlauf

Wo der Bach aus den Feldern sich dem Dorfe
nähert, verschwindet er im hohen Grase, und nur
ein leises Murmeln, die rosigen Blütenfackeln des
Hirschkolbens, die Baldriangewächse, die fleisch-

Maria del Pilar, Prinzessin von Bayern

farbcnen Kuckuckslichtnelken, blauroten Knaben-
kräuter und Blutweideriche, die stark duftenden
Spiräen verraten seinen schlanken Weg. Korn-
felder konimcn bis an den Bachrain. Wildroscn-
gcbüsche betreuen ihn.

Sein feines Liedlein ist nicht so heimlich, daß
es nicht die Sehnsucht eines Mädelchens zu locken
vermocht hätte. Das hohe Bachgras bewegt sich.
Ein Blondschopf mit roter Bandschlcife leuchtet
und darunter ein weißes, zartes Körperchen. Das
patscht mir kurzen Beinchen im Wasser, sitzt nackt
im Ufergrase und macht sich Ketten aus den Pap-
pusstielen des Löwenzahns. Als die Kette fertig
ist, wird sie um den braunblonden Hals ge-
schlungen, und ein lustiges Platschen undPrutschen
beginnt. Dabei singt die Kleine: „Wasser, Wasser,
immer immer Wasser," und wird nicht müde, es
in dem gleichen Tonfall zu wiederholen, der sich
innerhalb einer Terz bewegt und beim zweiten
„immer" zu einer Quarte ansteigt.

Ist sie still, so plätschert der Bach allein mit
allerlei krausen Figuren, die auch eine Terz nicht
übersteigen.

Da kommt ein Ruf aus dem letzten Hause des
Dorfes.

„Liese!"

Scharf schrillt es durch die Luft.

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Register
Bernhard Flemes: Sommerfeld
Maria del Pilar Prinzessin von Bayern: Deutsche Ernte
 
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