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PANTA RH1

Wandernde Wolken über der Welt,

Wehende Winde darüber —

Alles fließt vorüber . > .

Wie ein großer Strom ist die Welt.

W>e im Stromesgrund ein Stein
Mußt du liegen bleiben.

Droben drängen uriö treiben
Blendende Wellen im Sonnenschein.

Sehnsuchtbitter starrst du hinauf
Nagend und stagend immer:

Was ist über dem Schimmer?

Uber dem Wogen- und Wolkenlauf?

Ach, du Narr deiner einsamen Dual,
Törichter Frager im Grunde, —

— Niemals wird dir Kunde,

Eh nicht trocken der Strom einmal!

Dann wird Ruhe und Klarheit fein —

Aber an diesem Tage
Verstummt auch deine Frage.

— Die Welt wird fein wie ein großer Stein.

A. DE NORA

*

Der Winzer

Am Sonniag, nach der Kirche, schreitet
Der Winzer, ein getreuer Knecht,

Den Berg hinan. Sein Schatten gleitet
Im Sonnenlicht vorauf, es breitet
Die Rebe üppig ihr Geschlecht.

Vom grauen Kopf zieht er die Haube,
Er murmelt, wie ein Beter fast:

Ich muß dich brechen, liebe Traube!
Gereift im grünen Rebenlaube
Bist du daheim —• und nur ein Gast.

Mein Pflegekind ist deine Rebe,

Dich halt ich wie mein Kindeskind.
Wenn ich das scharfe Messer hebe —
Stirb sag' ich nicht, ich sage: Lebe,
Gleich allen die von Erde sind.

Ihr müßt ja in die Kelter fallen,
Zertreten und vergoren sein.

Bis wieder Winzerlieder schallen,

Geschah das Wunder dir und allen
Und meine Traube ward zu Wein!

Oswald Schmidt

*

Lied des Knechtes

Ich Hab nicht Zeit hinauf zu sehn,

Ich muß meine kotige Landstraße gehn,

Muß mühsam durch die Pfützen steigen
Und meinen Kopf unter Lasten neigen.

Ich lass den Himmel Himmel sein
Und schau vergnügt in die Pfützen hinein.
Drin seh ich Wolken und Vögel und Licht,
Und die Sonne schmerzt meine Augen nicht.

Friedrich Wallisch

Relterlferi E Wolteieck (Pasing)

Ein Paar blaue Seidenstrnmpfe

Nach dem Schwedischen des Hemer Wanberg

Deutsch von Werner Peter Larsen (München)

Ein jeder von uns weih, daß eine gewisse Rubrik
unserer Tageszeitungen tagtäglich höchst eigentüm-
liche Anzeigen aufweist; oder hat nicht etwa ein
jeder schon so etwa auf der letzten Seite des An-
zeigenteils etwa folgendes gelesen:

„Auf dem Wege vom Volkshause bis . . . eine
rote Seidenbluse verloren: der Wiederbringer er-
hält" usw. usw. oder:

„Ein völlig neuer Bisampelz im Auto Rr.. . .
von... bis. . vergessen worden: der ehrliche
Finder wird zum allermindesten mit einem betören-
den Lächeln belohnt. ..."

Run habe iä> vor einiger Zeit aber die merk-
mürdigste Anzeige dieser Art gelesen, und die lautete
folgendermaßen:

„Auf dem Heimwege vom Apollo-Theater ein
Paar blaue Eeidenstrümpfe verloren. Den Wie-
derbringer belohnt ein dankbarer Blick aus einem
Paar blauer Augen."

Folgte die genaue Adresse der Dame, die ihre
blauen Seidenstrümpfe verloren hatte.

Ich muß gestehen, daß ich, nachdem ich diese
Anzeige gelesen hatte, zu mir selbst ganz laut
sagte: „Hm, hm. . .. Aha, aha!"

Ich will nicht verhehlen, daß meine Phantasie
mir die Dame, die nun keine blauen Seidenstrümpfe
mehr hatte, als sehr berückend, zugleich aber auch
als sehr leichtsinnig ausmalte.

Ich bitte Sie: wie kann ein Mensch auf offener
Straße so ohne weiteres feine Seidenstrümpfe ver-
lieren? — — Ich dachte eine kleine Weile über
die Angelegenheit nach und sah im Geiste ein
blitzendes, blaues Augenpaar und einen feinen,
stolzen, koketten Mund vor mir . . .

„Fein wäre es schon, diese blauen Strümpfe
zu finden," sagte ich zu mir selbst, „denn es ist
klar, daß du auf diese Weise die Eigentümerin
würdest zu sehen bekommen . .. Aber, nun ja,
hast du denn etwa auch mal Glück? Kannst du
dich überhaupt entsinnen, schon jemals in deinem
Leben Glück gehabt zu haben?! Die blauen Eei-
denstrümpfe finden immer andere Glücklichere als
du!"

Aber die Strümpfe ließen mir doch keine Ruhe...
Ein Tag ging, der zweite — die Anzeige tauchte
immer wieder an der gewohnten Stelle in der
Zeitung auf: „Auf dem Heimwege vom Apollo-
Theater ein Paar blaue Seidcnstrümpfe verloren.
Den Wiederbringer belohnt ein dankbarer Blick
aus einem Paar blauer Augen." Teufel noch ein-

mal, sollte ich denn wirklich nicht einmal ein
Paar Strümpfe finden können?!

Und eine höhniscl>e Stimme in mir selbst
kicherte und lachte und sprach:

„Ich schwöre dir — ich schwöre dir bei
allem, was du willst: du findest sie nicht —

du findest sie nicht-findest sie nicht-"

Als die Anzeige zum viertcnmal erschien —
was für die Leser keine Aufforderung zum
Inserieren sein soll, wohlgemerkt! —, als die
Anzeige also zum viertenmal erschien, da end-
lich ging mir ein Licht auf: ich hätte gerade
Hüpfen mögen vor Freude, weil ich endlich
begriffen hatte, daß ich das Paar blauseidene
Strümpfe in der Tat niemals finden würde ...
Was aber stand mir im Wege, sie in einem
beliebigen Geschäft zu kaufen und sie der Ber-
licrerin zu überbringen? Gesagt — getan! Ich
ging in das nächstbeste große Strumpfwaren-
geschäft, und als id) drinnen war, wähnte ich
mich am Ende meines Zieles... .

„Sie wünschen —?" fragte die Verkäuferin
zuvorkommend.

„O, nur eine Kleinigkeit.. . Ein Paar
blaue Damen-Seidenslrümpfe ..."

„Bedaure sehr: es ist alles ausverkauft...
erst gestern noch das letzte Paar . . . Aber
wenn ich Ihnen sonst etwas zeigen dürfte. . .
in lila oder in rosa ..."

„Ich danke," sagte ich. Ich war geradezu
beleidigt. Und ging weiter.

Ich ging so etwa durch alle Strumpfwarenge-
fchüfte der Stadt, ich ging durch alle Geschäfte, die
Damenartikel führten — dieselbe Antwort überall:

„Bedauern sehr: alles ausverkauft..

Ich nahni mir ein Auio und fuhr in den Vor-
städten von Geschäft zu Geschäft: dieselbe Ant-
wori:

„Alles ausvcrkauft. . ."

Ja, sollte es denn wirklich nicht möglich sein,
in der ganzen Stadt ein einziges Paar blaue Seiden-
strümpfe aufzutreiben?!

„Es ist absolut unmöglich!" sagte eine jede
Verkäuferin im Brustton der Ueberzeugung.

Man darf vieles glauben, aber man darf nicht
alles glauben, was selbst die bestglüubigsie Ver-
käuferin sagt: gegen Abend erwarb ich das letzte
Paar blaue Seidenstrümpfe, das sich noch im gan-
zen Umkreis der Stadt befand ... Ich fuhr heim,
legte mich zu Bett und stand am nächsten Morgen,
mit meinem Strumpfkarton unter dem Arm, nuri)
vielerlei Mühfalen endlich vor der Wohnungstür
der „Dame mit den blauen Augen."

Eine Dienerin führte mich in den Salon: und
nicht lange danach erschien auch bereits ihre Herrin,
eine stattliche blonde Dame von eleganter Figur...

„Du — ?" rief sie unwillkürlich aus. „Du bist
es —? Ja um Gotleswillen, Mensch, von wo
hast denn Du bloß meine Adresse erfahren?! Wir
haben uns ja seit der Schule nicht mehr ge-
sehen! .. ."

„Ja," sage ich, „um Himmelswillen . . . ent-
schuldige, bitte, aber deine Adresse ist doch klar
und deutlich in der Anzeige genannt..."

„Ja, bringst du mir etwa auch Strümpfe?"
fragt sie und will sicl> vor Lacl>en ausschütten.

„Strümpfe . ..?" sage ich. „Ja . . . gewiß . . .
aber nun sag mir doch mal, wie kannst du denn
bloß so ungeschickt sein, deine Strümpfe zu ver-
lieren?"

„Ja ..." sagt sie, „wie ich meine Strümpfe
verloren habe? Hahahaha! Wie bist du doch noch
immer dumm! Aber nun komm mal erst da in
den kleinen Salon herein!"

Ich trete also in den kleinen Salon.

„Siehst du," sagt sie, indem sie neben mir Platz
nahm und plötzlich einen ganz anderen, beinahe
bekümmerten Gesichtsausdruck bekam, „ich habe
natürlich nie im Leben ein Paar blauseidene Strümpfe
verloren, sondern es war nur die Rot, die mich
erfinderisch gemacht hat. Ja, weißt du, ich bin da
am Apollo, aber ich habe seit drei Monaten schon
keinen Heller Gage mehr gekriegt — nun, da mußt
du dir doch also selbst sagen können: von was soll
ich nun eigentlich leben — ?I"

782
Register
A. De Nora: Panta Rei
Oswald Schmidt: Der Winzer
E. Woltereck: Reiterlied
Friedrich Wallisch: Lied des Knechtes
Hemer Wanberg: Ein Paar blaue Seidenstrümpfe
 
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