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Die junge Bäuerin lehnte am Zaun, von Bie-
nen umsummt. Sie trug schon schwer an ihrer
Mutterbürde und hoffte, in der nahenden Stunde
die Hand des heimkehrenden Mannes in der
ihren zu halten. Ihre Zöpfe flössen herab wie
bernsteinklarer Honig. Da kam die Kunde, daß
er auch tot und im russischen Lindenwalde begra-
ben sei. Schwankend schritt das junge Weib in
die Kammer.

Vom alten Acker her aber klang ein heim-
licher Ruf: Da brauste eine Schar Bienen von
den Strohkörben auf und suchte summend in
den dunklen russischen Wäldern das Grab des
jungen Bauern.

Thymian und dunkelblaue Glockenblumen
überdeckten es. Aus ihren Kelchen sogen die
Zmmen bittersüßen Honig und flogen zurück in
die Heimat.

Die junge Frau war aufgestanden. Sie hielt
einen starken Knaben an der Brust, der sie mit
den klugen des Vaters anlachte. Immer wieder
suchte sie die neuerwachten, wohlbekannten grauen
Sterne, und vermeinte, den Liebsten noch einmal
als Kind ans Herz zu drücken. Sie lächelte nach
den übcrstandcnen Leiden, denn ihr Herz war stark
und fromm.

Der alte Bauer betrachtete das Kind. Er trug
eine triefende, goldklare Honigwabe in der Hand
und sprach: „Iß, Tochter und gieb auch dem
Jungen davon. Es schadet ihm nicht. So gut
war unser Honig noch nie, er duftet nach Linde
und Wald."

So feierten die Söhne Heimkehr. Der alte
'Acker aber lächelte trübe aus tausend Runzeln
und Narben. Else *>. Holten

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’f ward all wedder gand!

Dat kann nich ümmcr Frühjahr sin,

Dak kann nich ümmer Sommer wesen,

Wat schad't! De Harwst, de bringt den Win,
lln süh, dor linnen an den Rhin,

Oor geiht't all los mit Druwenlejcn!

Oe Win, de giwwk uns nigen Maud —
t ward all wedder gand!

lln wenn dat ümmer Frühjahr wir:

De Ros', de is nich tan verkehren,
lln dat bcgrismult ') di denn führ,

Denn gcwt jo gor kein Plnnnncn mihr,

Denn gewt kein Appel nn kein Beeren!

Na ja, nn kik nich so benantT) —

’t ward all wedder gand!

lln läppt de Tid jug alltan gan: ®)

Ai west doch Schapskvpp alltauhopen!

Patzt np, war ick jng seggcn dauh:

Ai kaent nich danzen ümmertan,

Ai möt't jo doch ok Strikschanh lvpcn!

Wer Sieden führen will, dei danh't —

’t ward all wedder gand!

lln wat de lütten DirnS bedräppk:

Dei hcwwn mi ümmer gand gefollen,

De gcl nn brun nn swart bezöppk:
lln wenn mi in den Weg ein läppt,

Denn hür ’k noch lang nich tan de Dllrn"

A wo! Denn gläuht noch heit mi» Bland —
r ward all wedder gand!

lln ward dar denn bi lütten kalt,
lln ward vk rusig^) all dat Weder,
lln snst de Wind ok därch dat Holt,
lln ritt hei af, war mär°) nn alt,
lln smikk hei dal de gclcn Blöder:

Sekt du di fast man Up den Haut —

’t ward all wedder gand!

Paul W a r n ck c

i) würde dich anführen. -) betreten. :;) schnell. ') Schlitt-
schuh. 5) rauh, unwirtlich. G) mürbe.

Der Galopp

Von Münchhausen redivivus

„Keinen Zoll dürfen sich Herr Baron aus dem
Sattel heben. Mit der Reithose, wie Herr Baron
eine haben, muß man den Sattel dabei bis aufs
Pferd durchreiten; die ist wie von Eisen. Das
Pferd ruhig laufen lassen! Das galoppiert schon
allein; die Alice ist überhaupt nicht tot zu Kriegen,
die rennt bis nichts mehr von ihr übrig ist. Also
um 10 Uhr, Herr Baron. Gehorsamster Diener!"
Mit diesen Worten entließ mich der Trainer William
aus dem Tattersall des Herrn H. Opphop.

Etwas ermüdet ging ich nach Hause, frühstückte
Gänseleberpastete und Burgunder und setzte mich
mit der „Morgenpost" auf die Sofalehne. Doch
nicht lange saß ich, als ich mich wieder ganz
frisch fühlte. Da hielt es mich nicht mehr. Mein
Entschluß stand fest: ich mußte heute noch einen
Galopp reiten.

In einer Viertelstunde war ich im Tattersall.
William war durchaus nicht etwa erstaunt, mirf)
schon wieder zu sehen, !m Gegenteil, er schien mich
erwartet zu haben. Denn er sprach Kein Wort,
lächelte selbstbewußt wie immer und führte mich
auf den Hof, wo der Reitknecht mit der Rappstute
Alice stand, die fertig gesattelt war. Ich sprang
mit zwei Schritt Anlauf, ohne die Steigbügel zu
benutzen, in den Sattel, und fort ging es.

Durch den gepflasterten Torweg donnerte ich
hinaus. Einige Menschen drückten sich ängstlich
an die Wand. Draußen fuhr gerade die Elektrische
vorbei, aber als mich der Führer sah, faßte er an
einen Griff über sich am Wagen, grinste und fuhr
lautlos rückwärts.

Ueberhaupt schien ich einiges Aufsehen zu er-
regen. Nun, ich schrieb das meinem eleganten
Reitanzug und dem herrlichen Tier zu.

Nach sehr kurzer Zeit schon war ich im Grunc-
wald. Irl) sauste ventre ü-terre hindurch, ohne
mich um Wege zu kümmern und setzte einfach
über Büsche und Sträucher hinweg. Ein beson-
deres Vergnügen machte es mir, um jeden Schutz-
mann eine elegante, ganz enge Volte zu reiten.

Einen solchen Galopp hatte die Welt noch nickt
gesehen, keinen Zoll hob ich mich im Sattel, und
Alice hatte eine Gangart eingeschlagen, daß die
Gegend nur so vorbeiflog. Nach ungefähr 10 Mi-
nuten kam ich an einem Bahnhof vorbei. An
der Uhr sah ich, daß ich im ganzen 20 Minuten
unterwegs war. Da stand auch der Name des
Bahnhofs: „Luckenwalde"! „Unmöglich", badjtc
ich, „du hast in 20 Minuten 50 km zurückgelegt".
Ich versuchte auszurechnen, wieviel ich in einer
Sekunde hinter mich brächte. Doch mir schwin-
delte, denn eben sauste ich an Bitterfeld vorbei,
und in der Ferne grüßte mich auch schon der
Giebichenstein bei Halle. Da gab es einen kleinen
Ruck unter mir: der Sattel war schon durchge-
rieben — so tadellos war mein Sitz! — und die
Reithose war wie aus Eisen. In der nächsten
Minute stiion saß ich auf den bloßen Rückenwir-
beln des Pferdes. Die hielten ja vorerst. Es
hatte keine Gefahr! Von vorne nach hinten durch-
fegte ich den Sattel, wenn man ihn noch so nennen
konnte.

Halle stog vorüber. Doch schon hinter Cor-
betha gab es abermals einen Ruck: auch die
Rückenwirbel waren glatt durch, aber mein Sitz
und die Haltung des Pferdes waren einwandfrei.
Bei Weißenfels kostete es mich schon einige Mühe,
die Zügel richtig zu halten, denn ich rutschte immer
tiefer und saß bereits in einer ausgehöhlten Mulde.
Jetzt galt es, den richtigen Moment abzupassen,
damit bei der unvermeidlichen Trennung des Bor-
derpferdes vom Hinterpferd nicht eine Katastrophe
eintrat, die leicht zu meiner Vernichtung hätte
führen können. Angesichts Naumburg vollbrachte
ich dies Meisterstück. Schon kurz hinter Weißen-
fels hatte ich die Hinterhand des Pferdes, mit
der Rechten zurückgreifend, erfaßt und in dem
Moment, wo ich im nächsten Augenblick durch-
fallen mußte, zog ich die beiden Teile des Pferdes
mit energischem Ruck zusammen. Lautlos fügten
sie sich ineinander.

William hatte recht: Alice war nicht totzu-
kriegen. Trotzdem sie ein gut Stück kleiner geworden
war, lief sie immer noch ihren rasenden Galopp.
Ich fing wieder an, etwas mehr auf meinen Sitz
zu achten. Doch jetzt ging der Abreibungsprozcß
so schnell von statten, daß ich bereits nach weiteren
fünf Minuten, bei Weimar, lediglich auf den vier
Beinen weiter galoppierte. Es erforderte die ganze
Kunst eines geübten Reiters, nicht die Balance
zu verlieren und einen vorschriftsmäßigen Sitz
beizubehalten. Bis Bebra ging es noch einiger-
maßen. Aber nun näherte ich mich auf den !m
prächtigen Galopp dahinstiebenden vier Fesseln so
bedenklich dem Erdboden, daß ich für meine nächste
Zukunft bange war. Kurz vor Kassel wußte ich
mir nur mehr so zu helfen, daß ich mit einem
überaus geschickten Sprung mit allen vieren auf
die übriggebliebenen Hufeisen sprang. So hielt
ich es denn noch bis Altenbeken aus. Dann aber
wurde mir die Stellung zu anstrengend,— abgesehen
davon, daß die glühenden Eisen redjt unangenehm
wurden — und ich ließ Mich mit einem geschickten
seitlichen Sprung auf den Straßenrand fallen.
Noch in der Ferne hörte ich das melodische Ge-
klingel der im rasenden Galopp durchgehenden
Hufeisen.

So sclinell mich meine Beine trugen, rannte
ich aufs nächste Postamt, um nach allen Richtungen
zu telephonieren, daß man gegen hohe Belohnung
die vier Hufeisen aufhalten möge. Trotz aller
Anstrengung aber gelang es nicht, ihrer habhaft
zu werden.

Wie ich später hörte, hatten sie sich getrennt.
Die beiden Linken galoppierten in Baden umher —
ein Schrecken für nächtliche Wanderer — während
die beiden rccl>ten das Hannöoersche und Kurhessen
unfidicr machten.

Eines Tages aber — William ließ mich rufen —
standen die vier wieder in ihrem Stall, ungedul-
dig scharrend und nad) Nahrung verlangend: sie
waren blättchendünn geworden.

Wie sie sich wieder zusammengefunden haben
und ihren alten Stall finden konnten, wird wohl
stets ein Rätsel bleiben.

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Register
Münchhausen redivivus: Der Galopp
Richard Pfeiffer: Esel
Paul Warncke: 'T ward all wedder gaud!
 
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