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Tunnelarbeiter beim Sprengen

Der Fördertürme stumpfe Ketten beben
Und kreisen um der Räder Zahngebiß,

Ans Schächten steigend zum Geräusch, zum Leben..
Zum Dunkel wieder, das sie niederriß.

Abwärts die Fahrt aus Licht im Übervollen,

Der Förderkorb springt steinschwer in die Nacht.
Ein letzter Tagschein löst sich in den Stollen.

Ein Menschenrufen hallt verhundertfacht.
Graniltie Wände tragen Rieseltropfen
Und stoßen steil zur Dämmerung hinauf,

Ich höre laut das Herz der Erde klopfen,
Geheimnisvoll scheucht es die Stille auf.

Schwer drückt die Dunkelheit der Stollenbetten,
Und der Laternen fackelirrer Schein
Flicht an den Wanden blaffe Funkelkette».

Wie schwarzer Marmor spiegelt das Gestein.

Vor Kohlenflözen kauernde Gestalten ...

Weiß leuchten Arme, wenn ein Hammer fällt.
Und Leiber recken sich beim Hackenspalten,

Wenn Eiseti Risse in die Mauern spellt.

Rastloses Wirken stiller Menscheurotten,
Reichtum der Erde wird durch Arbeit frei.
Kippwagen halten. Müde Pferde trotten
Mit starren Blicken schemenhaft vorbei...

Und gleitend endlos reihen sich die Wagen,

In vollen Bunkern schüttert das Gestein.

Der Werktag wartet. Eisenkörbe tragen
Es aufwärts. Tausend Schlote ragen.

Ein Riesenvolk will an der Arbeit sein.

Hellmuth Ungcr

Der letzte Zug

Der Abend von sieben Uhr an^ gehörte ihr.

Tagsüber arbeitete sie in einem Stlckereigeschäft,
den Kopf tief über den Rahmen gebeugt, den
schmerzenden Rücken gekrümmt.

Um sie schwatzten und lachten die arbeitenden
Mädchen, während ihre Finger die Radel durch
den Stoff zogen und fliesten. Wie das Summen
und Brummen der Fliegen an heisiem Sommer-
tag klang es, unaufhörlich und einschläfernd.

Im Frühling strich milde, duftige Luft herein,
im Winter aber war es stickig und Heist in dem
langen, schmalen Raum, an dessen Wänden in
schwarzen Rahmen allerlei Stickvorlagen und
Muster hingen

In der Ecke glühte der Ofen mit leisem Knistern.

Vor den Fensterscheiben sanken langsam tanzend
die Flocken nieder und verdeckten wie zarte, weiße
Schleier die dunkle Mauer des gegenüberliegenden
Hauses.

Endlos dehnten sich dis Stunden, bis Feier-
abend war, bis sie durch stille, weiße Straßen dem
Hause zuschritt, in dem sie ihr Zimmer bei einer
Putzmacherin hatte, ein kaltes, kahles Zimmer, an
dessen Wänden Buntdrucks hingen, die sie billig
gekauft hatte Ihr Atem stieg gleich Rauchwolken
zur schrägen Decke empor, zu der Gasflamme, die
leise zischend weißes Licht verbreitete.

An den Fenstern wuchsen Blumen, starr, kalt
und weiß, sich höher und höher rankend gleich
tropischen Pflanzen.

Draußen knisterte die Kälte und alles war still.
Rur hin und wieder knirschten Schritte durch den
weißen Hof.

Wenn der Frühling kam, quoll schwer und
süß der Duft des Fliederbaumes durch das Fenster,
strich leise, wie zarte Hände, über ihre Stirne.

Der Mond stand hell am tiefblauen, diamant-
überströmten Himmel. Sein klares Licht ließ die
Blätter und Blüten weiß scheinen, als läge Schnee

Heinrich Kley (München

auf ihnen. Sie blickte über ein Meer von Dächern
hinweg, sah hello, starre Fensteraugen ins Weite
träumen und hörte das Liebesfauchen und Schreien
der Katzen.

Hin und wieder klang ein Flüstern, ein leises,
frohes Lachen aus dem Hof empor. Und dann
war wieder alles still.

Ein Jahr nach dem anderen glitt an ihr vorüber.

Der Winter, kalt und weiß, der Herbst mit
buntem Pinsel, und der Frühling, quälend ttnd
durchduftet. Jedes Jahr flüsterte und lacl>te es
unter dem Fliederbaum, jedes Jahr schritten Paare
versunken und langsam an ihr vorüber.

„Hast Du keinen Bräutigam?" fragten die
Mädchen, mit denen sie zusammenarbeitete.

„Natürlich — jeden Abend geht sie doch zum
Bahnhof!" rief ein blondes Ding mit runden
Backen.

„Wie sie rot wird — die Jana — seht, wie
sie rot wird!" lachten sie. Jana neigte den Kopf
noch tiefer auf den Rahmen, ihre Hände zitterten.
„Wann heiraten Sie denn?" fragte die Blonde
vertraulich, „mein Bräutigam will schon im Herbst
— aber ich nicht — ich will noch meine Jugend
genießen — meine Freiheit, nachher ist doch Schluß
mit allem. . ."

Jana schwieg.

Um sie herum sprachen die Mädchen von Liebe

Jeden Tag. Sommer, Frühling und Winter,
ehe sie in ihr Zimmer zurückkehrte, ging sie zum
Bahnhof. Stand still an dem Gitter, das sie vom
Steig trennte und wartete auf die Züge, die die Men-
schen von Stadt zu Stadt trugen, nach Ländern,
die warm und bunt waren und erfüllt vom Ge-
sang seltsamer Vögel. Sie kannte die Ankunft-
und Abfahrtzeiten, sie wußte, wo die Züge hielten,
sie kannte die Strecken, als sei sie selbst oft ge-
fahren.

Die große Halle, hellerleuchtet von Bogenlam-
pen, war erfüllt von Rufen und Hasten. Regungs-
los stand sie inmitten all der Unruhe.

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Register
Heinrich Kley: Tunnelarbeiter beim Sprengen
Kuky: Der letzte Zug
Hellmuth Unger: Der Stollen
 
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