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Sein Weihnachtsbaum *

Beim Stabe der Armee, der der Haupt- joBm

mann seit seiner Genesung vom Lungenschuß
zugeteilt war, hatte man ihn gern, obwohl sich * lil

Bölderndorfs eigentlich sehr reserviert und IMMsSpl
beinahe abseits stellte. Die geräuschvollen ^

Kasino-Abende mochte er nicht. Jedesmal, dp-
wenn er wegen seiner frühen Drückebergerei KxJ
zur Rede gestellt, erniahnt, beschimpft oder
verhöhnt wurde, pflegte er gelassen seine be- fl^R^' ?
rühmten Rauchringel zu paffen, in die Luft uä

„Kann mir einer verraten, was nach |$|
zwölfe noch Vernünftiges zu Tage gefördert

Das konnte in der Regel keiner mehr
ganz überzeugend. Obwohl der kleine Tram- «&-

netter die Scherbe martialisch in sein schniales
Lausbubengeficlit klemmte und eifrig ver-
sicherte, er habe gestern zwischen zwölf und
zwei den Armeerabbiner sozusagen zum
Christentum bekehrt. Auf jeden Fall seien sie
sich menschlich naher getreten. „Naja," sagte
Bölderndorfs, „wenn ich das Hütte ahnen
können, Herr Rabbiner." Der lächelte diplo-
matisch vor sich hin. „Ich bemühte mich, Herrn s&pM
von Trautvetter in die hygienischen Vor-
schriften des Talmud einzuführen: er erklärte, Sag8Hw|
das alles fei ihm ungemein sympathisch."

„Also doch nicht viel versäumt," sagte
Bölderndorfs und stand gelassen auf.

^ „Hochmut kommt vor dem Falle, mein '

„Wenn das Strebertum sogar im Kriege
nicht auszurotten ist, fange ich auch nod) an.

Gottogott, man kann doch auch ohne die
Karmesinhose so glücklich sein!" Der lange
Raven deklamierte das inbrünstig wie ein Kriegs-Weihnacht
Glaubensbekenntnis. Man glaubte es ihm
ohne weiteres.

Bölderndorfs sah in seinem Quartier, hatte sichs
bequem gemacht und sah die Post durch. Zeitungen,
Ansichtspostkarten, Rechnungen, ein Brief seiner
Frau — er sparte ihn immer für zuletzt auf —
dann: ein ganz fremder dicker Brief mit dem Post-
stempel seines Vororts — rasch öffnete er ihn.

Sehr geehrter Herr Hauptmann!

Es ist nun doch der Tag erschienen, an dem
wir Ihren Einfluß erbitten müssen, unhaltbare
Zustände . .. sehr unangenehme Folgen . . . Ihre
Frau Gemahlin führt derartige üble Nachreden
über uns . . . Berleumdungsklage . . . das Le-
ben im Hause derart zu vergraulen, daß wir aus-
ziehen sollen, um letzt wieder in den ersten Stock
zu gelangen. Besagter Zweck dürfte sich kaum
erreichen lassen, indem wir in der Lage sind, sowie
im Begriffe stehen, uns des Hauses käuflich zu
versichern, welches uns kontraktlich zufteht.

So ersuchen wir Einstellung Ihrer Manipu-
lationen .. . unseren Hausangestellten den Dienst
bei uns verlieren zu lassen, oder zu kündigen und
neue Kräfte unter Mithilfe ihrer Getreuen im Orte
durch Verhöhnen fern zu halten.

Ein Beispiel: . . . ."

Und nun folgte auf das ausführliche Beispiel
eine Nutzanwendung, eine neue Klage, ein neues
Exempel, eine dringende Beschwerde wegen der
Wasserleitung, der Waschküche und dem Badeofen,
der beinah explodiert wäre, eine Warnung wegen
Kinderlärms, wegen unerlaubten Singens und so
seitenlang fort. „Unsere Lebensbedingungen lassen
wir uns nicht abschneiden. Sie sehen, es find
ernste Dinge, für welche wir eine Lösung herbei-
zuführen wissen werden."

Unterschrift: Frau Eleonore Mathilde Rade-
macher-Wriezen.

Völderndorff ließ das Aktenstück sinken und
lachte hell auf. Diese beiden spinösen Frauenzim-
mer im Obergeschoß, die während des Krieges
eingezogen waren, entwickelten ja eine erstaunlich
breite Front. Sie eröffneten das Minenfeuer,
drohten unverblümt mit einem Angriff, mit einem
Vorstoß zum ^mindesten. Welch eine wunderliche
verschrobene Sprache in diesem Brief! Habitueller

Verfolgungswahn, gekreuzt mit Kriegs-
psychose, würde der Stabsarzt sägen.' Heimat,
traute deutsche Heimat — jawohl! So siehst
du aus. Eine prächtige Stelle aus einem
schönen Roman, er konnte sehr wohl von
Rudolf Herzog sein, kam Völderndorff in den
Sinn: „Im Westen sank die Sonne. Die
Rebenhügel spiegelten sich im Rhein. Ein
Mann stand auf dem Söller seines Hauses.
Deutschland! sagte er, und eine Träne rann

ihm über die Wange."

Das Telefon klingelte. Der Chef des
Stabes persönlich. Wieviel schwere Munition
zum Abschnitt C unterwegs sei. Wieviel
Gasgranaten? Der General der Artillerie
habe gesagt — ja, der kann nie genug kriegen.
Aber Material müsse doch auch vor. Werde
sofort Befehl geben, Herr Oberst . . .

Also, wo waren wir doch? In Deutsch-
land waren wir, und „eine Träne rann ihm
. . ." ach nein, lieber nicht. Es gab ja noch
ein anderes Deutschland, wo es licht war
und klar und warm, ohne Zänkereien und
sentimentales Tränengeriesel, ohne gespreizte
Rechthaberei. Ein Deutschland, das Kraft
gab und fröhliche Zuversicht. Aufatmend griff
Völderndorff nach dem Briefe seiner Frau.
„Diese Hexen da oben — schrieb sie — bringen
uns wirklich langsam zur Verzweiflung. 3d)
will von ihren kleinen Schickanen nicht viel
Worte machen, aber es ist doch so, daß wir
uns fürchten, fröhlich zu fein, weil sie dann
über uns sofort zu pochen anfangen. Dabei
sind die Kinder ausnehmend brav. Ich
möchte alles vermeiden, was Anlaß zu Streit
geben könnte.

Aber es gibt doch auch Gren-
zen in der Rücksichtnahme. Ich habe den Ein-
druck, daß sie uns dllrchaus hinaus haben
wollen, und der Hauswirt hat denn auch
neulich ganz unschuldig Fräulein gefragt, ob
es wahr fei, daß wir ziehen wollten? Er
hätte schon einen neuen Mieter. Vielleicht kündigt
er uns zu Weihnachten Jetzt einen Umzug —
es wäre eine schöne Bescherung.

Ach und dazu dies Weihnachten ohne dich,
zum zweitenmal in unserer Ehe. Kommst du
nicht doch? Die Kinder hoffen immer noch, du
würdest ganz plötzlich draußen vor dem Fenster
stehen, in der Dämmerung am heiligen Abend wie
voriges Jahr, wo ich gerade den Baum putzte
und keine Ahnung hatte. Da sah ich wie zufällig
hinaus in den Vorgarten — ich fühlte deinen
Blick — und sah zwischen den Sträuchern einen
Mann stehen. Was will der denn? Warum starrt
er so herein? So ein unverschämter Mensch? Und
dann warst du es.

Manchmal in der Dämmerung, wenn alles
so recht trostlos ist, drinnen und draußen, grau,
grau, nebelschwer und einsam, ertappe ich mich,
wie ich hinausschaue auf denselben Fleck und dich
zu sehen meine, wie damals. Ach, diese Dezem-
bertage im Kriege und hinter dem Kriege! Sie
nehmen kein Ende und erdrücken einen mit ihrer
Schwere. Und nun noch diese lieblichen Aussich-
ten, auf die Straße gesetzt zu werden! Ich wollte
doch, du kämst zu uns, und wir könnten alles
bereden. Ich finde mich nicht mehr durch. Nur
die Kinder, die rappeln einen immer noch auf."

Mit einigen Kindergeschichten endete der Brief
etwas erleichtert. Im Ganzen war er doch so
schwer befrachtet mit Herzeleid und unausge-
sprochenem Tagesverdruß, wie Völderndorff es
von feiner tapferen Frau nicht gewöhnt war. Er
hatte sie nie als seine „kleine Frau" empfunden
und behandelt, seinem schwerblütigen Wesen war
das Verhältnis mancher Kameraden zu ihren
„Weibchen" unverständlich. Kleine Mädchen —
ja, die ließ er allenfalls gelten. Kleine Frauen —
läppisch.

Nun aber kam sie doch zu ihm wie eine kleine
Frau, garnicht germanische Heldenmutter: zum
Weltschmerz aufgelegt, zum Heulen geneigt, ver-
zweifelt über die Ungerechtigkeit der Welt. Und
in drei Tagen war Weihnachten. Wie gerne hätte
er sie überrascht. Aber es ging nicht, dienstlich
nicht, und auch menschlich hielt ers für beffer. Die

Joh. Schult

Christkind kommt!

Wekhnachtslegende aus der schönen Zeit
vor dem Krieg

An den Fenstern des U-Zugs schweben
Engelgestalten, ihre Flügel beben

Im Luftwkrbel-es ist Weihnachtszeit,

Es schneit und schneit.

Zylinder, Brillanten, Moskatl, Calais,
Sekt und Parfüm, Offizier, Banquier,
Still unter allen mit Atigen so blau
Sitzt eine wunderholde Frau.

Der v-Zug rast wahnsinnig weit,

Es schneit und schneit.

Die holde Fraue wonnesam

Ist kein Fräulein, keine Oranäe Dame:

Ihr Haar ist schlicht, ihr Hals ist bloß,

Und ein Knäblekn sitzt auf ihrem Schoß,
Wie eine Wolke ist ihr seliges Kleid,

Es schneit und schneit.

Nur manchmal unter all den Gesichtern
Flimmert ihr Haupt mit himmlischen Lichtern
Und sie lächelt märchensern
Und spricht: „Bald kommt der

Bethlehemstern.''
Süß und heimlich sreun sich beid,

Es schneit und schneit.

An den Fenstern des v-Zuges beben
Engelgestalten, ihre Flügel schweben

2m Luftwirbel-es ist Weihnachtszeit,

Es schneit und schneit. Josef Wtuckler
Register
Johannes Schult: Kriegs-Weihnacht
Hans Mellin: Sein Weihnachtsbaum
Josef Winckler: Christkind kommt
 
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