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Kameraden bei der Truppe sollten nicht sagen: Bei
den Stäben, natürlich, da gibts Urlaub. Und uns? —
Abhärtung, mein liebes Weib, wir sind immer noch
nicht hart genug.

Ist es denn überhaupt so dringend notwendig, Wcih-
nachten zu feiern? Ein Fest der Liebe und Welt-
versöhnung im Namen und Gedenken des milden
Heilandes, ein Freudenfest, während die Welt in
blindem Hast erstarrt, sich blutig selbst zerfleischt?
Wahrlich, Gottes Wege sind über alle Begriffe dunkel
und »nerforschlich. Entweder man hat den Glauben
an die verborgene Güte alles Geschehens, oder man
hat ihn nicht. Und wenn man ihn nicht hat-

Also in drei Tagen war heiliger Abend.

Völderndorff legte einen Briefbogen zurecht und
schrieb seiner Frau, daß von einer Überraschung
diesmal keine Rede sein könne. Und überhaupt denke
er gar nicht an Weihnachten, sondern an den Krieg,
weil das momentan das Wichtigere sei. Aucl> an die
beiden Drachen über ihr denke er nicht, der Hauswirt
könne ihn gern haben, und am heiligen Abend werde
er einen Ricsenbericht machen, der ihn schon lange
drücke. So. „Abhärtung ist das einzig Richtige,"
murmelte er und schloß befriedigt den Umschlag.

Die drei Tage vergingen rasch genug. Die Eng-
länder waren recht unruhig, vielleicht bereiteten sic etwas
vor. In diesen kurzen trüben Nebeltagen mußte alles
doppelt auf der Hut sein. So eine richtige Weihnachts-
Überraschung war denen da draußen schon zuzutrauen.

Es war spät, als Völderndorff abends aus dem Ge-
schäftszimmer nach Hause ging. Den Kopf voller Zahlen
vonKolonnenundMunitionsersatz,schleuderte er gemäch-
lich durch die stockdunklenGassen der kleinen französischen
Stadt. Hie und da ein Licht spalt zwischen den Läden. Aus
der Ferne ab und zu das dumpfe Gepolter der Front.

Er blieb stehen, lauschte, fdjüttette den Kopf. Nein,
das war alles normal. Schließlich hatten die Tom-
mies Ruhe und Sammlung nötiger als wir. Er trat
ins Haus. Der Bursche rumpelte aus der Küche
heraus, nahm ihm in feierlicher Haltung den Mantel
ab, riß die niedrige Stubcntüre auf. —

„Franz — bist d» verrückt? Was soll denn das?"

„Herr Hauptmann entschuldigen, aber, nämlich, ick
habe mir so gedacht. Weil wir nu doch bet Büumekcn
da so mitgeschleppt haben, von vor zwee Fahren, bind
de gnädge Frau hat de Kerzen geschickt, llnd ick soll
dct man ganz heimlich machen, hat se geschrieben."

Auf dem Tische aufgebaut stand ein verschrumpeltes,
struppiges, kleines Tannenbäumchen in einem Blu-
mentopf. Goldne und silberne Reflexe blitzten im Lichte
der fünf winzigen gelben Wachskerzen. Es duftete
richtig nach Wachs im Zimmer. Franz grinste, immer
noch in strammer Haltung.

„Wo hast du den Baum gestohlen, Franz?"

„Aber Herr Hauptmann — icke un stehlen!" Franz
hustete beinahe gekränkt. „Det is doch unser Wcih-
nachtsbnum von anno fuffzehn. Den müssen der Herr
Hauptmann doch noch kennen."

- „Unser — ach so! Den hast du gerettet?"

„Wenn der Herr Hauptmann dor>> befohlen haben.
Un man könne doch nie nich wissen, haben Herr
.Hauptmann gesagt, wie lange der Krieg noch dauern
tut. Un Weihnachten kommt alle Fahr wieder. Wo
bod) die H'inncr det Bäumeken für Herrn Haupt-
mann geputzt haben."

„Soso. Nun sag mal, wo hast du denn den Baum
die ganze Zeit über gehabt?"

„Na, dort auf denSchrankc habe ick ihn gestellt gehabt,
neben den gelben Löwen vons Kamin und mang de
leeren Zigarrenkisten. Un den ollen Lampenschirm habe
ick druffgesetzt, damit daß er nich so verstauben täte."

Pause. — „Und was ist mit dem Topf da, Franz?"

„Ick glaube, Gänsebraten, Herr Hauptmann. Bon
de gnädge Frau. Aber so gewiß weiß ick det nich.
Ick meene man bloß."

Völderndorff lächelte. Franz grinste versöhnt. „Na,
dann schönen Dank auch, Franz. Und ich werde nieiner
Frau schreiben, daß du alles tadellos besorgt hast.
Den Braten versuchen wir morgen. Gut Nacht." Er
reichte ihm die Hand. Franz ging —

Da war nun das alte Fest, das er hatte aus-
iperren wollen wie einen lästigen Besucher, doch zu
shm gekonrmen, und hatte ihm sein grünes Wahr-
zeichen mitten ins Quartier gepflanzt. Grün, — nein,
grün war dieses griese verhutzelte Tännlein grade nicht.
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