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Kathi und Kätde
k-nltr Heiil")!ief
Ich Opfer der Wissenschaft
Lisa
Bon
Ocstcrrricher
genauen
Kathi und Käthe stehen einander ge-
genüber.
Käthe, die früher auch Kathi hieß,
war Kathis Vorgängerin in unserem
Hause und ward nun ihre Nachfolgerin.
Kathi, die uns auch schon einmal ver-
lassen hatte, um sich in eine Käthe zu ver-
wandeln, damals, als sie fortging, um
zu heiraten, verläßt uns nun für immer,
da fiel) ihr Ehctraum verwirklicht.
Nie wieder will sie die Kathi wer-
den, und wenn es ihr in der Ehe noch
so schlecht erginge. —
Eine verheiratete Käthe hat die Ver-
pflichtung, die Käthe zu bleiben, bis an
das Ende ihres Lebens.
Für mich allerdings will sic die Kathi
bleiben, um sich von ihrer Nachfolgerin
auch nach außen hin zu unterscheiden.
Sie sagt zum Abschied zur Käthe:
„Ich lege Ihnen unser Fräulein ganz
besonders ans Herz. Wir waren gute
Freunde, wir beide und der Herr dort
im Rahmen."
Käthe unterzieht das Bild einer
Musterung.
Das Ergebnis lautet: „Mir könnte dieser Mensch
mit dem finsteren Blick nichts abgewinnen!"
Kathi ist im Innersten verletzt. Finsterer Blick,
wiederholt sie, als ob man ihr gesagt hätte:
Finstere Sonne.
„Der Herr hat in Wirklichkeit nie finster drein-
geschaut. Und wenn es vielleicht einmal der Fall
war, ohne daß ich es sah — was macht das aus,
wenn einer sonst immer freundlich ist?"
„Hat er sich aber gerade so photographieren
lassen müssen?"
„Vielleicht gefällt er sich mit dem finsteren Ge-
sicht. Iä, mache dock, auch beim Photographieren
das Gesicht, von dem ich annehme, daß es mich
besonders gut kleidet."
Kallsi und Küthi können sich übet den Herrn
im Rahmen nicht einigen.
Käthe verharrt dabei, daß ein Mensch, der
böse ausschaut, auch böse ist.
Kathi wiederholt immer wieder: „Sie sprechen
nur so, weil Sie ihn nicht kennen."
Da Kathi zu Besuch kommt, gilt ihre erste
Frage dem Herrn mit dem finsteren Blick.
Käthe hat einen Trumpf in der Hand: „Ihr
feiner Herr war in der Stadt und hat sich beim
Fräulein gar nicht blicken lassen. Das nenn' ich
ein schöne Liebe."
Kathi verbeißt den Schmerz der Enttäuschung
und sagt:
„Denken Sie siä>, daß Eie eine böse Wunde
hatten und die ist nun so weit verheilt, daß nur
die Narbe Sie an die Wunde erinnert. Werden
Sie hingehen und die Narbe aufreißen, so daß es
wieder eine Wunde ist? Und wenn Sie es nicht
tun, sind Sic darum schlecht zu nennen? Der Herr
und unser Fräulein waren zwei Herzen und ein
Schlag. Nun sind sie zwei Herzen und eine Narbe.
Wenn der Herr nicht zum Fräulein kommt, schmerzt
die Narbe. Wenn er käme, würde die Wunde
aufbrechen."
„Aber ich höre doch, daß der Herr jetzt eine
Andere liebt — das könnte er doch nicht, wenn
es so wäre, wie Sie sagen".
„Daß ich meinen gebrochenen Fuß nun wieder
gebrauchen kann, beweist nicht, daß er nicht ge-
brochen war. Daß der Herr wieder liebt, streicht
seine Liebe zum Fräulein nicht aus.
Aber man muß ihn kennen, um Alles zu ver-
stehen."
Die Kathi kennt den Herrn, wie mein Herz
ihn kannte.
Die Käthe kennt ihn nicht, wie mein Verstand,
der ihn nie verstehen wird.
iMl
Magenfcagen
.0er Bandwurm war' jn nun glücklich weg, kferr Soktor. Aber dafür habe
Ich fetzt Mitesser, für die ich absolut die Macken nicht aufbringcn kann/
Wahn und Wünsche
Als die Blätter rot wie Blut
Bon den Bäumen tropften —
Ach! wie uns die Herzen klopften:
Mut, nur Mut!
Kamerad,
Zur Weihnacht,
Za zur Weihnacht,
Da wird alles, alles gut.
Und als leichenweiß und rein
Flocken fielen auf uns nieder,
Rann cs warm durch kalte Glieder,
Warm wie Wein:
Kamerad,
Zu Ostern,
Za zu Ostern,
Da wird Friede, Friede sein.
Und als liebegrün entglomm
Alle Welt und funkelnd glühte,
Licht in uns ein Beten blühte,
Gläubig fromm:
Kamerad,
Zu Pfingsten,
2a 311 Pfingsten,
Heil'ger Geist, 0 komm, 0 komm!
Wogt das Korn schon wie ein See . .
Wann, 0 wann? wird Friede reifen?
Antwort hohle Winde pfeifen,
Wehe, weh:
Kamerad,
Nicht eher,
Za nicht eher,
Bis die Welt vergeh, vergeh.
Otto Mölke
Bon
Hans Reimann
Weich geschlagen, aus dem Leim ge-
gangen und nur noch teilweise vorhan-
den, diktiere ich aus Bett Nr. 601 der
Chirurgischen Abteilung mühselig die fol-
genden, wenigen Zeilen:
Von Herzen verfluche ich hiermit die
statistische Wissenschaft benebst der schäd-
lichen Erfindung des Adreßbuches.
Ich sollte nämlich für die Iubiläums-
Fcftschrift der neuorlhodoxen statistischen
Jahrbücher einen Beitrag liefern, tun-
lich unter Berücksichtigung philologischer
Gesichtspunkte. Augenblicklich nahm ich
die Sache in Angriff und zog zu diesem
Behufe das Adreßbuch zu Rate. So-
dann begab ich mich, wissenschaftlich in-
teressiert und einen scharfumrissenen phi-
lologischen Vorsatz im Auge (kann man
so sagen?), in das Geschäft des Matthias
Sturzbichler.
Der Herr war nicht zugegen, aber
seine Gattin warf mir auf die höflich
vorgebrnchtc Frage, ob ihr Mann ein
rechter Süffel sei, einen vieldeutigen Blick und ein
mäßig großes, zur Hälfte mit Lauge gefülltes,
einem Wasserkübel ähnelndes Gefäß an den
Kopf.
Ich dankte und empfahl mich.
Hierauf lenkte ich meine Schritte nach dem
Geschäfte des Korbinian Knefelbeck. Daselbst er-
kundigte iri) mich bei dem Eigentümer ohne son-
derliche Umschweife, ob er Quartals- oder ununter-
brochener Dauer-Säufer fei.
Auf einmal lag id) auf der Straße und wurde
des besonderen Glück,es teilhaftig, von dem Auto-
mobil einer hochgestellten, von mir leidenschaftlich
verehrten Persönlichkeit sorgsam überfahren zu
werden.
Ich winkte zwei Dienstmannen herbei, mietete
sie, zog mein Adressenverzcichnis und ließ mich zu
der Firma I. B. Lenzian transportieren.
Dort begrüßte mich ein mild lächelnder, mit
allem Konifort der Neuzeit ausgeftattcter Greis
und fragte nach meinem Begehren.
Ick, platzte ihm mit der Frage in das wohl-
wollende Angesicht, ob er saufe.
Was und wie, fragte der Greis, ob er richtig
vernommen habe — ob ich gefragt habe, ob er
saufe, ob er was, ob er?
Ich wiederholte meine Frage in deutlicher Aus-
sprache und —
Hier setzt mein Erinnerungsvermögen aus. Aber
ich weiß mit Sicherheit, daß ich lange Zeit auf
der Polizeiwache zugebracht habe — — der All-
gütige mag wissen, warum.
Auf jeden Fall hatte ich nach dem Besuche bei
der Firma I. B. Lenzian keine Lust mehr, meine
Nachforschungen auf die restlichen Adressen aus-
zudehnen. In einem einzigen Laden habe ich
schließlich noch vorgesprochen: die beiden Dienst-
mannen ließen nicht locker.
Ich hätte cs nicht tun sollen: denn, wie die
Dinge liegen, bin ich zu langfristigem Aufenthalt
in dieser philantropisch-therapcutischen Klinik ge-
zwungen.
Griffeste Messer haben ihre Schattenseiten (mein
Gedächtnis arbeitet intermittierend. Der eine Dienst-
mann hat das Unternehmen mit dem Leben gebüßt!)
Ich habe nicht das rechte Geschick, statistisch
wichtiges Material unter Berücksichtigung philo-
logischer Gesichtspunkte zu sammeln.
Nie werden die neuorthodoxen statistischen Jahr-
bücher meinen bahnbrechenden Beitrag veröffent-
lichen können.
Nie wird die Welt erfahren, was ich zu ur-
kunden willens war: ob die Redensart „Saufen
wie ein Bürstenbinder" zu Recht besteht.
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A-